Eichstätt. – Deutlicher hätten Landrat Alexander Anetsberger und Oberbürgermeister Josef Grienberger den Unterschied kaum wahrnehmen können. Nach dem voll besetzten Eichstätter Volksfestzelt besuchten sie gemeinsam das Caritas-Seniorenheim St. Elisabeth in Eichstätt. Das heißt: Eintreten durften sie nicht in die Einrichtung, sondern sie versammelten sich mit Angehörigen, Bewohnern und Mitarbeitenden auf dem Vorplatz für einen „Besuch vor der Tür“. Ohne tagesaktuellen Test und Maske ist ihnen der Eintritt in die Pflegeeinrichtung verwehrt. So wollen es die derzeit gültigen Regeln zum Infektionsschutz, die nun durch den Bundestag erneut bestätigt und ab Oktober sogar verschärft wurden. Für die Betroffenen Grund für diesen Aktionstag – besonders in Zeiten des Pflegenotstands.
„Das sind ja Parallelwelten, die sich da auftun“, sagte Anetsberger, nachdem ihm Einrichtungsleiterin Irene Stiegler den Aufwand der Infektionsschutzbestimmungen im Heim verdeutlicht hatte. „Hier haben wir das Volksfest und daneben gibt es eine Welt, die mit enormen Einschränkungen zu leben hat.“ Er zeigte sich froh über seinen spontanen Entschluss, an der Aktion teilzunehmen. Am Morgen erst hatte er aus dem Radio davon erfahren. Sein Impuls sei gewesen, in Eichstätt beispielhaft vor Ort Solidarität mit den Menschen in allen voll- und teilstationären Einrichtungen zeigen. Die lebhafte Diskussion mit den Angehörigen, Mitarbeitenden und Führungskräften vor der Tür von St. Elisabeth, habe seine Sicht auf die Lage verändert, gab er zu. „Einrichtungen befinden sich ja nicht im luftleeren Raum.“ Dem müsse man Rechnung tragen und die Maßnahmen anpassen. „Sonst wird die Ungerechtigkeit noch viel mehr empfunden“, sagte Anetsberger.
„Personal fehlt“ – selbst für Aktionstag
Mit dem „Besuch vor der Tür“ folgten die Seniorenheime des Caritasverbands für die Diözese Eichstätt dem bundesweiten Aufruf des Verbandes katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD), um auf die angespannte Situation in der Pflege aufmerksam machen. Initiatorin der Aktion war die Abteilungsleiterin für Wohnen und Pflege, Hedwig Kenkel. Nicht alle der 20 Seniorenheime hätten so aktiv an der Aktion teilnehmen können wie beispielsweise Eichstätt, Spalt, Herrieden oder Berching. Die Häuser in Freystadt, Dietfurt oder Weißenburg verzichteten auf den „Besuch vor der Tür“. „Ihnen fehlt schlichtweg das Personal“, sagt Kenkel. Doch die Banner und Plakate „Unsere Belastungsgrenze ist erreicht“ und „Infektionsschutz geht uns alle an und ist nicht allein Aufgabe der Pflege“ hängen an allen Fassaden der Caritas-Seniorenheime zur Mahnung. Zusammenhalt ist wichtig, betont sie. „Ohne ihn hätten wir die Corona-Zeit nicht überstanden“.
Geänderte Vorzeichen
Die Abteilungsleiterin stellt sich nicht gegen den Infektionsschutz und wolle auch die Auswirkungen einer Corona-Erkrankung nicht verharmlosen, wie sie betont. „Doch die Vorzeichen haben sich durch die Impfung und Omikron geändert“, sagt Kenkel. „Die letzten Corona-Ausbrüche in den Seniorenheimen zeigen, dass unsere Seniorinnen und Senioren die Krankheit durchweg gut überstanden haben. Oft zeigen sie gar keine Symptome“, erklärt Kenkel. „Jetzt ist das Pflegepersonal die schützenswerte Gruppe.“ Die Mitarbeitenden seien nach der Dauerbelastung der vergangenen Jahre am Ende. Dies zeige sich nicht zuletzt in einem erhöhten Krankenstand. Viele kehren dem Pflegeberuf komplett den Rücken, andere werden durch die Gesetze herausgedrängt, weil ab 1. Oktober eine vierte Impfung für das Pflegepersonal verpflichtend ist. Caritasdirektor Alfred Frank nennt die bereichsbezogene Impfpflicht ganz deutlich und bewusst: „Schwachsinn“. „Wir fordern die Regierung dazu auf, die Impflicht für Pflegeheime unverzüglich auszusetzen. Sie verursacht enormen Bürokratieaufwand und belastet die ohnehin schon angespannte Personaldecke der Seniorenheime“.
Besuchszeiten
Während sich der Alltag der Menschen normalisiere, müssten die Mitarbeitenden in der Pflege die restriktiven Gesetze zum Infektionsschutz weiterhin umsetzen, so die Botschaft. „Es ist schon fast peinlich zu sehen, was für einen Aufwand ich auslöse, wenn ich meine Mutter besuche“, sagt Siegrid Bauer. „Ich stehe ja nur hier und warte, aber das Personal muss rennen.“ Laut den Bestimmungen müssen die Mitarbeitenden Tests kontrollieren, Besuche dokumentieren und Angehörige auf das richtige Tragen der Masken aufmerksam machen, erklärt Einrichtungsleiterin Stiegler. Dies bedeute zusätzliche Zeit, die in der Pflege fehle. „Diese Bürokratie hat nichts mit unserem Kerngeschäft zu tun, nämlich der Sorge um die Menschen“, sagt sie.
Pandemiebedingte Mehraufwendungen nicht mehr refinanziert
Nicht zuletzt deshalb haben die Einrichtungen inzwischen meist feste Besuchszeiten. Viele bieten sogar Testungen an, sofern sie es personell stemmen können. Seit dem Ende des Rettungsschirms zum 31. Juli würden diese Tätigkeiten auch nicht mehr refinanziert, was die Planungssicherheit in der Pflege enorm erschwere und einen großen Kritikpunkt am geänderten Infektionsschutzgesetz darstelle. Abteilungsleiterin Kenkel sieht es kritisch, dass in der Bundestagsdebatte zur Neufassung des Infektionsschutzes kaum ein Abgeordneter darauf hingewiesen hat, welche enorme Belastung die Vorgaben für die Langzeitpflege, also für die stationäre Einrichtungen, Tagespflegen und ambulante Dienste habe. Im Fokus stünden Kliniken, Kitas und Schulen, aber nicht die Senioren in der Pflege, die sehr unter den Maßnahmen leiden. „Das ist ein Sozialstaat, der seine alten und kranken Menschen vergisst“, kritisiert sie. deutlich
Besuche werden reduziert
„Früher waren wir ein offenes Haus“, bedauert Gerhard Binder, Einrichtungsleiter in Berching. Heute sind die Besuchszeiten in den meisten Caritas-Seniorenheimen im Bistum reglementiert. „Die Gefahr wieder was ins Haus zu ziehen, ist einfach zu groß“, bestätigt der Einrichtungsleiter Robert Bengel aus Herrieden. An spontane Besuche im Seniorenheim sei deshalb nicht mehr zu denken. Tatsächlich schrecken die Hygiene-Regeln viele Menschen ab, die sonst einen ehemaligen Nachbarn oder Bekannten im Seniorenheim besucht hätten. „Wenn der Aufwand zu groß ist, wird es weniger gemacht“, meint Günther Schwarz, der seine Schwester regelmäßig in Spalt besucht. „Dabei ist es doch gerade das, was sie brauchen.“
Wunsch der Mitarbeitenden
„Was wäre denn Ihr größter Wunsch?“, fragt Landrat Anetsberger die Mitarbeitenden beim „Besuch vor der Tür“. Die Antwort der Pflegekräfte kommt zögerlich, denn jeder ist sich bewusst, dass angesichts der Personalknappheit eine Rückkehr zu einem normalen Betrieb kaum denkbar sei. Einrichtungsleiterin Stiegler sieht in der neuen generalistischen Pflegeausbildung eine Chance, in der die Ausbildung für verschiedene Pflegeberufe zunächst einheitlich verläuft. Die Entscheidung für oder gegen die Altenpflege falle dadurch nicht bereits beim Beginn einer Ausbildung. „Viele merken erst, wie schön und lebendig die Arbeit in der Altenpflege ist, wenn sie in anderen Bereichen geschnuppert haben.“ Stiegler setzt zudem auf die neue Personalbemessungsgrenze, die ab Juli 2023 in Kraft tritt. Dann könnten Einrichtungen in individuellen Einsatzbereichen auch Menschen anderer Qualifikationen oder beteiligter Berufsgruppen einstellen.
„Nicht jede Arbeit muss durch eine Pflegefachkraft erledigt werden.“ Trotzdem wird die Personalsituation in der Pflege schwierig bleiben. Das wissen auch die Fachkräfte. So ist Anita Harrers Wunsch für die Zukunft bescheiden. Sie arbeitet seit 24 Jahren gerne in der Pflege und scheut keinen anspruchsvollen Arbeitstag. Doch das Psychische belastet sie: „Aus dem Urlaub zu kommen und immer zu denken: Hoffentlich ist nichts.“ Es würde sie in ihrem Dienst bestärken, wenn dies künftig anders wäre.