Eichstätt. – Über kaum eine politische Entscheidung wird an den Stammtischen so viel hergezogen und manchmal auch gelästert, wie über den ein oder anderen Beschluss der Europäischen Union. Den Ursachen solcher Entscheidungen wollte der Kreisverband des Bayerischen Gemeindetags im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen an Ort und Stelle auf den Grund gehen. Deshalb hatte der ehemalige Kreisvorsitzende Werner Mößner bereits seit 2017 Kontakt zur Europäischen Kommission in Brüssel. Trotz mehrmaliger Versuche mussten die vereinbarten Termine Corona-bedingt ausfallen. Erst jetzt ist der Besuch mit der von der Interessenvertretung der Kommunen aus dem Landkreis organisierten Reise zustande gekommen. Allerdings waren einige der damals vorgesehenen Teilnehmer verhindert oder erkrankt, so dass die Reisegruppe durch neu gewählte Bürgermeister sowie Stadt- und Gemeinderäte ergänzt wurde.
Von Norbert Dengler
Zu Besuch beim Europabüro der bayerischen Kommunen
Nach einer neunstündigen Busfahrt wurde die Gruppe von Benedikt Weigl, dem Leiter des Europabüros der bayerischen Kommunen, zu einem Gedankenaustausch empfangen. Das waren seine ersten Gäste seit über zwei Jahren, als die Coronapandemie ausbrach. Weil rund 80 Prozent der Brüsseler EU-Entscheidungen Einfluss auf die kommunalen Belange haben, werden seit 1991 in einer Bürogemeinschaft mit Baden-Württemberg und Sachsen die Interessen von 3.400 Städten und Gemeinden und 117 Landkreisen sowie sieben Bezirken gegenüber den EU-Institutionen vertreten.
Daneben residiert eine Abteilung der Bayerischen Staatskanzlei als Vertretung des Freistaats zur Unterstützung des Staatsministeriums für Europaangelegenheiten in einem eigenen Gebäude als Verbindungsbüro und Repräsentanz. Darin sind alle Staatsministerien mit sogenannten „Spiegelreferaten“ vertreten. Leider konnten nur wenige Räume der imposanten Gebäude besichtigt werden, zu deren Erwerb und Renovierung Kosten von rund 30 Millionen Euro investiert wurden, wobei inzwischen aber ein erheblicher Wertzuwachs eingetreten ist. Dort gehen jährlich etwa 12.000 Besucher ein und aus.
Einblicke in die Brüsseler Demokratie – und Bürokratie
Eigentliches Ziel war jedoch die „Europäische Kommission“, die Exekutive der Europäischen Union. Leider tagte die EU-Präsidentin Ursula von der Leyen mit den Parlamentsabgeordneten zeitgleich in Straßburg, so dass kein Gespräch mit einem heimatlichen Parlamentarier möglich war. Allerdings stand deshalb für die Besuchergruppe an beiden Tagen das Hauptbesprechungszimmer für die 27 Kommissare (je Mitgliedsstaat einer) einschließlich der Vorsitzenden und ihres Stellvertreters für die Tagung zur Verfügung. Als Referenten und Gesprächspartner hatte die Kommission hochrangige Referatsleiter und kompetente Mitarbeiter aus den betroffenen Abteilungen abgeordnet. Zunächst erhielten die Besucher aus Altmühlfranken eine eingehende Darstellung der komplizierten Organisationsstruktur, den verschiedenen Referaten und Generaldirektionen sowie dem Ablauf der Entscheidungsfindung, dem Gesetzgebungsverfahren und der Wirkung von Verordnungen und Beschlüssen.
In den ein- bis eineinhalb Stunden dauernden Vorträgen wurden Themen behandelt, die der Organisator Werner Mößner, Günter Ströbel (Kreisvorsitzender und Bürgermeister der Gemeinde Dittenheim) und Friedrich Walter (Vorsitzender der Bürgermeistervereinigung) ausgewählt hatten. Während die „Tagungsteilnehmer“ ob der informativen Sachvorträge begeistert waren, waren die Referenten durchwegs erstaunt über die kompetenten Diskussionsbeiträge mit manch neuen Gesichtspunkten. Kein Wunder, zumal sich die Teilnehmerrunde mit ihrer langen Berufs- und Lebenserfahrung bei allen Themen, von Landwirtschaft über Gewerbe, Klima, internationalen Handel, Fortentwicklung und Probleme der EU bis hin zur Flüchtlings- bzw. Migrationsproblematik – auch unter dem Hintergrund der Ukraine – mit ihrer Erfahrung aus der untersten politischen und gesellschaftlichen Ebene die Vorträge aufwerten konnten.
Solnhofener Fossilie als Gastgeschenk
So wurde die Gruppe sogar aufgefordert, verschiedene, aufgezeigte und nicht bekannte Probleme (wie die Bürokratie bei der Beantragung von Förderungen) dem entsprechenden EU-Referat detailliert mitzuteilen. Aber nicht nur deswegen, sondern auch wegen dem kleinen Gastgeschenk, einer 140 Millionen Jahre alten Solnhofener Fossilie aus Kalkstein, werden sich die Referenten noch lange an die Gruppe erinnern. Betroffen und beinahe sprachlos waren die Politiker nach einer Darstellung zur Klimapolitik. Die aufgezeigten historischen Veränderungen und ein Ausblick in die nahe Zukunft, ließ alle Zuhörer in sich kehren und gab sicher auch Anstöße für die tägliche Arbeit in den Gemeinden, im Gewerbe oder auch in der Agrarwirtschaft. Das zeigte jedenfalls auch die spätere „Aufbereitung“ der Themen beim abendlichen Essen und dem folgenden Kneipenbesuch.
Obwohl fast alle europäischen Institutionen fußläufig erreichbar sind, blieb wegen dem reich gefüllten Terminkalender nur wenig Zeit, sich mit den Sehenswürdigkeiten und der Geschichte der Stadt zu beschäftigen. Trotzdem führte ein spontan engagierter Stadtführer unter anderem zum Atomium sowie zu weiteren markanten Stellen in der Innenstadt und vermittelte zur Abrundung geschichtliche und aktuelle Informationen.
Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ das großzügige Berlaymont-Gebäude, das Hauptquartier der Europäischen Kommission, das in Form eines Kreuzes im Europaviertel einer der vielen beeindruckenden Blickfänge ist. Insgesamt werden von der EU rund 32.000 Mitarbeiter beschäftigt. Weitere, von der EU genutzte Gebäude reihen sich straßenzugsweise in einem eigenen Stadtviertel – mit dem inoffiziellen Namen „Regierungsviertel“ – aneinander. Die Sicherheitsvorkehrungen bei den täglichen Besuchen stehen einer Kontrolle an internationalen Flughäfen weder vom Umfang noch in der Akribie unter keinem Gesichtspunkt nach. Als Fazit ist festzuhalten, dass der Besuch trotz der Strapazen bei der langen Fahrt sowohl für die Bürgermeister als auch für die Vertreter der Behörden einen exklusiven Mehrwert gebracht hat. So mancher Ärger am Stammtisch wird dadurch nicht unbedingt kleiner, aber vielleicht verständlicher.