Eichstätt. – Idyllisch und friedlich lag die „Colonia Dignidad“ abgelegen in der malerischen Natur der chilenischen Provinz. Doch ihr Name, der auf Deutsch so viel bedeutet wie „Kolonie der Würde“. Stattdessen ist sie nicht nur in Chile berüchtigt, sondern auch ein schwarzer Fleck in der deutschen Diplomatie: „Colonia Dignidad“ hieß die Siedlung, die 1961 der deutsche Sektenführer Paul Schäfer und seine etwa 200 Anhänger im Süden Chiles gründeten. Doch der Name der berüchtigten Siedlung klingt wie Hohn mit Blick auf die systematischen Menschenrechtsverletzungen an chilenischen und deutschen Staatsbürgern, die dort begangen worden sind. Bis heute ist die „Colonia Dignidad“ Gegenstand für die historische und politische Aufarbeitung – etwa auch im Hinblick auf die Verantwortung von deutscher Seite. Im Juni ist an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) dazu eine Tagung geplant, die nun bereits mit einer Online-Konferenz vorbereitet wurde.
Im Vorfeld der Tagung hat das Zentralinstitut für Lateinamerikastudien (ZILAS) einen virtuellen Runden Tisch veranstaltet – gemeinsam mit der Elisabeth-Käsemann-Stiftung, die sich für die kritische Auseinandersetzung mit autoritärer und konfliktärer Vergangenheit und ihren Folgen für Gesellschaften in Lateinamerika, Spanien und Deutschland engagiert. Benannt ist die Stiftung nach der deutschen Studentin Elisabeth Käsemann, die unter der Militärdiktatur in Argentien gefoltert und getötet wurde.
Im Mittelpunkt der Diskussion standen Fragestellungen nach der deutschen Rolle – etwa des Auswärtigen Amtes, des Bundesnachrichtendienstes, Behörden und Jugendämtern und der deutschen Botschaft in Chile rund um dem Komplex „Colonia Dignidad“. Zudem wurde thematisiert, wie die Erinnerung an die Verbrechen wachgehalten werden kann.
Regimekritiker gefoltert und getötet
Zu den Gästen des „Round Table“ gehörte die frühere Bundesjustizministerin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, die als damalige SPD-Abgeordnete für die Gruppe der exilierten Chilenen, die nach dem Putsch von General Augusto Pinochet nach Deutschland geflohen waren, zuständig war. Weitere Diskutanten waren der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, sowie die Historiker Prof. Dr. Friedrich Kießling, Universität Bonn, und Prof. Dr. Holger Meding von der Universität Köln und ZILAS-Direktor Prof. Dr. Thomas Fischer.
Moderatorin Prof. Dr. Sabine Kurtenbach, die als Politikwissenschaftlerin am German Institute for Global and Area Studies tätig ist, schilderte die engen Kontakte der „Colonia Dignidad“ mit Diktator Augusto Pinochet: „Auf dem Gelände der Siedlung wurden politische Kritiker gefoltert und getötet. Während des US-Embargos besorgte die Führung der Colonia dem Regime Waffen, wobei nach wie vor bestehende nationalsozialistische Netzwerke offenbar hilfreich waren.“ Über Jahrzehnte hinweg habe die bundesdeutsche Politik die „Colonia Dignidad“ als chilenische Angelegenheit betrachtet, obwohl die meisten Bewohner der Siedlung deutsche Staatsangehörige waren.
Däubler-Gmelin: „nicht genauer hingeschaut“
„Als wir damals versuchten, mehr herauszufinden, wurde uns schnell klar, dass nur Wenige ein Interesse daran haben, die Sache offiziell zu machen. Ich halte es für ein strukturelles Problem von deutscher Außenpolitik in den 70er- und 80er-Jahren, dass man dort nicht genauer hingesehen hat“, unterstrich Herta Däubler-Gmelin. Speziell die damalige Leitung der Deutschen Botschaft und die Führung der „Colonia“ hätten eine für beide Seiten vorteilhafte Beziehung unterhalten, wie der Historiker Prof. Dr. Holger Meding schilderte. Sein Bonner Kollege Prof. Dr. Friedrich Kießling stellte darüber hinaus für die damalige Haltung des Auswärtigen Amtes fest: „Um es vorsichtig auszudrücken: Die bundesdeutsche Außenpolitik in dieser Zeit war nicht auffällig orientiert an Menschenrechten.“ Dies habe in den 1970er-Jahren vor allem anti-kommunistische Hintergründe gehabt.
„Deutschland hat keinen Grund, sich als Musterknabe der historischen Aufarbeitung hinzustellen.“
Aus Sicht des Präsidenten der Bundeszentrale für Politische Bildung, Thomas Krüger, gelte es auch auf deutscher Seite, sich noch viel ausführlicher und kritischer mit dieser Zeit auseinanderzusetzen: „Deutschland hat keinen Grund, sich als Musterknabe der historischen Aufarbeitung hinzustellen.“ Während die Bundesrepublik etwa Fragen von Menschenrechten im Hinblick auf die DDR forciert thematisiert habe, hätten im Hinblick auf andere Staaten andere Interessen im Vordergrund gestanden.
Auch Studierende der KU beschäftigten sich in Lehrforschungsveranstaltungen mit der Thematik anhand von Archivmaterial unter Leitung von Christiana Hoth de Olano, wissenschaftlicher Mitarbeiterin an der Professur für Geschichte Lateinamerikas an der KU. „In Chile ist das Thema lange ein Tabuthema gewesen. Erst in den letzten Jahren konnte es mehr und mehr in der Öffentlichkeit platziert werden“, schildert sie. „Das hängt auch mit der Öffnung von Quellenbeständen wie beispielsweise 2019 im chilenischen Nationalarchiv zusammen. Die Forschung zur Colonia Dignidad konnte dadurch in den letzten Jahren stark vorangetrieben werden.“