Eichstätt. – Bei all den schlechten, diesmal die gute Nachricht zuerst: Einen russischen Atomschlag hält der Experte für beinahe ausgeschlossen. Ansonsten macht Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München, allerdings wenig Hoffnung auf ein gutes und schnelles Ende insbesondere für die ukrainische Seite in jenem Krieg mit Russland, der seit gut einer Woche die Welt bewegt. „Die Ukraine hat keine Chance“, stellt Masala klar. Aber Putin werde mit der bisher involvierten Truppenstärke das Land auch nicht auf Dauer halten können, so der derzeit gefragte Experte, der zuletzt regelmäßig in den Nachrichten oder in Talkshows wie bei Markus Lanz als Experte eingeladen war. Nun war er in der Region zu Gast, wenn auch nur virtuell: Auf Einladung des Ingolstädter Bundestagsabgeordneten Reinhard Brandl gaben die beiden Einblicke in ihre Sicht der Dinge und nahmen sich viel Zeit, die Fragen der rund 230 zugeschalteten Gäste zu beantworten. Hier ein Überblick über Fragen, Antworten und Themen, die die Experten, aber auch die Menschen bewegen.
Von Stephan Zengerle
Der 24. Februar 2022 wird als Zäsur in die Geschichtsbücher eingehen. Wladimir Putin hat seinen ganz persönlichen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet – erstmals seit Hitlers Überfall auf Polen rollen in Europa wieder die Panzer. Autokrat Putin hat damit nicht nur den ganzen Kontinent und weite Teile der Welt schockiert und 44 Millionen Ukrainer in unermessliches Leid gestürzt. Er hat dabei auch gleich die bestehende Welt- und Sicherheitsordnung vom Tisch gewischt. Fassungslosigkeit und Hilflosigkeit haben sich breit gemacht – gleichzeitig aber auch einen zuvor lange nicht gekannten Schulterschluss der Europäer und des Westens ingesamt ausgelöst. Frieden und Freiheit in Europa scheinen nicht mehr selbstverständlich, und Europa findet sich in einer neuen Welt wieder, die Reinhard Brandl als langjähriges Mitglied des Verteidigungsausschuss des Bundestags, und Carlo Masala in einer ausführlichen Diskussion einzuordnen versuchten.
„Deutschland ist aus einem Traum aufgewacht“ – mitten in einem realen Albtraum
„Ich habe das Gefühl, das Deutschland in den letzten Tagen aus einem Traum aufgewacht ist“, bilanziert Brandl: Dem Traum, dass sich in der modernen Weltordnung jeder Konflikt friedlich und regelbasiert lösen lasse. Aus dem geplatzten Traum ist man sozusagen in einem sehr realen Albtraum aufgewacht, der nicht so schnell verschwinden wird – das glauben auch die Diskutanten der Videokonferenz. Allerdings sei man jetzt auch wach und so einig, wie er es zum Beispiel selten zuvor im Verteidigungsausschuss des Bundestags erlebt habe, so CSU-Politiker Brandl, der sich seit Jahren intensiv mit Verteidigungs- und Rüstungspolitik beschäftigt hat. „Das Bittere“ daran sei aber auch, dass die osteuropäischen Länder diesen Traum vom dauerhaften Frieden eben nicht mitgeträumt, sondern schon lange gewarnt hätten – allerdings mit mäßigem Erfolg, wie Brandl mit Blick auf Deutschland selbstkritisch sagte.
Die deutsche Wende in der Außenpolitik der letzten Tage aber sei richtig – die Waffenlieferungen ebenso wie die harten Sanktionen und das Bekenntnis zu einer neuen, stärkeren Bundeswehr und einer besser integrierten, echten europäischen Verteidigungspolitik. Es seien „bittere Tage für Europa“, wenn man nun feststellen müsse, dass es ähnlich wie in Äußerungen Trumps auch in der Weltsicht von Wladimir Putin nicht darum gehe, gemeinsam Lösungen zu finden, sondern darum, Staaten zu unterdrücken und Macht auszuüben – das Recht des Stärkeren also, das Putin gerade für sich reklamiert. „Das ist nicht unsere Vorstellung von internationaler Politik und Verhandlungen, die China und Russland ausüben. Wir müssen lernen, damit umzugehen.“
Propaganda: „Denazifizierung“ eines jüdischen Präsidenten?
Denn ein Zurück werde es wohl schon allein mit Putins Russland nicht geben – selbst wenn der Kremlchef inzwischen eine Normalisierung der Beziehungen gefordert hatte. So einfach werde man im Westen nicht vergessen, dass er Macron und Scholz erst ins Gesicht gelogen und dann einen brutalen Angriffskrieg angezettelt habe, so Masala. Von seinen „Maximalforderungen“ werde der Kremchef wohl ohnehin nicht abrücken. Die Ukraine aber könne ihrerseits darauf unmöglich eingehen – schon weil es praktisch ihr Ende als souveränder Staat bedeuten würde: Sie würde zu einem wehrlosen Vasallenstaat Putins – ähnlich wie Weißrussland unter Lukaschenko es wohl spätestens jetzt geworden sei.
Putin rücke aber nicht auf Kiew vor, um das ganze Land zu besetzen, sondern weil er den Streitkräften der Ukraine die Fähigkeit entziehen wolle, zu operieren, erklärt Masala. Sein zweites Ziel sei es, die derzeitige ukrainische Regierung zu entfernen – unter dem Deckmantel der sogenannten „Denazifizierung“. Zwar gebe es in der Ukraine durchaus rechtskonservative Kräfte wie die „Asow-Brigaden“, aber die seien letztlich unbedeutend, würden stattdessen in der russischen Propaganda völlig überhöht und letztlich nur als Vorwand für einen völlig ungerechtfertigten Angriff genutzt.
„An diesem Krieg ist alleine Russland schuld“ – da waren sich Brandl und Masala absolut einig. Das Zynische daran sei natürlich, dass nicht nur die Argumentation des Kremls, der den angegebenen Kriegsgrund ja auch schon mehrfach geändert habe, einer angeblichen „Denazifizierung“ falsch sei, sondern, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj selbst Jude ist – was so gar nicht zur Vorstellung eines „Nazi-Regimes“ passen will. Ihn wolle Putin um jeden Preis aus Kiew vertreiben und stattdessen eine kremltreue Regierung installieren, so Masala.
Dreifach unterschätzt: „Fast lächerliche Operationsführung der russischen Streitkräfte“
Erstaunt zeigte er sich über die militärischen Fehler und die „unglaublichen logistischen Probleme“, die das russische Militär schon in den ersten Kriegstagen offenbart hatte. Nicht nur, dass Fahrzeuge wegen fehlendem Diesel liegen geblieben seien – es habe auch russische Soldaten gegeben, die schon zu Beginn des Krieges drei Tage lang nichts zu essen bekommen hätten, weil keine Feldküche da gewesen sei, so der Verteidigungsexperte kopfschüttelnd in der Videokonferenz. Es gebe wohl drei Gründe für die „fast lächerliche Operationsführung der russischen Streitkräfte“ in den ersten Kriegstagen.
Da sei erstens die Annahme gewesen, dass große Teile der Ukrainer die Russen als Befreier begrüßen würden – das Gegenteil war der Fall. Daher habe man zweitens die Kampfmoral der ukrainischen Streitkräfte massiv unterschätzt. Drittens habe man völlig unterschätzt, wie stark und wie einheitlich der Westen Russland, die Oligarchen und das ganze System Putin mit Sanktionen überzogen und Waffen an die Ukraine geliefert habe. Dennoch: Man dürfe die Lage nicht falsch einschätzen.
„Jeder in der Nähe erstickt“: Vakuumbomben und „gigantische Flammenwerfer“
Jetzt habe die zweite Phase des Krieges begonnen, und die Defizite würden schrittweise behoben. Die russischen Streitkräfte seien dabei, sich zu reorganisieren. Bei dem langen Konvoi, der in den letzten Tagen auf Kiew zugerollt war, sei auch viel Logistik mit dabei gewesen, so Masala. Dazu kämen inzwischen auch moderne Waffen wie thermobarische Bomben zum Einsatz. „Das sind Vakuumbomben. Dort, wo sie gesprengt werden, saugen sie allen Sauerstoff raus. Das heißt, Menschen ersticken – jeder, der in der Nähe ist“, erklärt der Militärexperte. Zudem habe man die sogennanten TOS-1-Systeme. „Das sind gigantische Flammenwerfer, die eine Fläche von 200 mal 400 Meter komplett in Brand setzen.“
„Es deutet vieles darauf hin, dass diese zweite Phase des Krieges eine viel härtere und blutigere wird“, fürchtet Masala. Die russische Operationsführung gehe immer mehr dazu über, nicht nur militärische, sondern verstärkt zivile Ziele anzugreifen. Durch die Bombardierung solle der Druck erhöht und der Widerstand gebrochen werden.
Stand des Krieges: „Putin steht militärisch gesehen nicht schlecht da“
Trotz aller Anfangsschwierigkeiten: „Putin steht militärisch gesehen nicht schlecht da“, sagt Masala. Der Einmarsch sei zwar in den ersten Tagen schwierig gewesen, aber nach und nach erreichten die russischen Streitkräfte nun dennoch ihre militärischen Ziele. Ziel sei es vor allem, Donezk und Luhansk mit einer Landbrücke zur Krim zu verbinden und vielleicht die Ukraine vom Zugang zum Meer abzuschneiden. Es fehle nur noch ein kleines Stück. „Lange wird die Ukraine nicht durchhalten.“
Spätestens in einigen Wochen werde man zumindest in einer Situation sein, in der die russischen Streitkräfte derart überlegen sein würden, dass entweder nur eine Kapitulation in Frage komme, oder sich der ukrainische Widerstand in den Untergrund verlagern müsse. „Putin ist geschwächt, Putin hat Probleme“, fasst Masala zusammen. „Aber wenn sie das militärische Bild nehmen, geraten die ukrainischen Streitkräfte trotz ihrer beeindruckenden Kampfmoral mehr und mehr ins Hintertreffen.“
Erhöte Alarmbereitschaft: „Wie weit wird Putin gehen?“
Aber die Frage stelle sich dennoch: „Wie weit wird Putin gehen, wenn es nicht nach seinem Willen läuft?“ Was die Ausrufung der erhöhten Alarmbereitschaft der russischen Atomstreitmacht angeht, gibt Masala Entwarnung. Das sei erst die zweite von vier Stufen und bedeute letztlich nicht viel mehr, als eine direkte Verbindung zwischen Putin und den Kommandos vor Ort herzustellen.
„Das Signal gilt uns: ,Haltet euch aus diesem Konflikt raus!’“, erklärt Masala. Schon 2014 bei der Annektion der Krim habe Putin so agiert – auch damals mit dem Ziel, den Westen davor zu warnen, in den Konflikt einzugreifen. „Aber wir brauchen keine Angst haben, dass das eskaliert und es zu einem Atomschlag kommt“, so der Experte. Es sei eine sehr kluge Reaktion des amerikanischen Präsidenten und der NATO gewesen, nicht nachzuziehen und sich damit nicht auf das Putin-Spiel einzulassen und eine Eskalationsspirale in Gang zu setzen.
Kaum Einblick: „Black Box“ Kreml
Dennoch fragen sich viele: Wie berechenbar ist der Kremlherrscher noch? Und gibt es jemanden, der ihn gegebenenfalls noch einbremsen könnte? „Das einzuschätzen, ist schwierig“, gibt Masala zu. Man habe auch in den Geheimdiensten keine gesicherten Informationen über die Entscheidungsprozesse im Kreml. „Für uns sieht es so aus, als ob Putin nur einsamer und alleiniger Entscheider ist“, sagt Masala. Aber ob das wirklich so sei, sei nicht ganz klar. „Es gibt ein paar Faktoren, die wir nicht wissen. Der Kreml ist wie eine Black Box“, so der Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr. Die Oligarchen und auch Teile der Zivilbevölkerung rückten zwar von ihm ab. „Aber wir wissen nicht, ob es im Kreml Personen und Figuren gibt, die bereit wären, Putin zu stürzen, oder ob seine Entourage nur aus blinden Gefolgsleuten besteht.“
In jedem Fall aber habe sich Putin sein ganz eigenes Weltbild zurechtgelegt. Er spreche nicht nur der Ukraine, sondern auch den baltischen Staaten das Existenzrecht ab. Sie seien Pseudostaaten, geschaffen von Lenins Bolschewiki, die Putin verachte. „Er verachtet auch den Kommunismus zutiefst“, erklärt Carlo Masala. Dennoch sehe er sich in der Tradition von Stalin und Zar Alexander dem Großen und wolle wie sie ein Großreich schaffen.
Rückendeckung: Absprache mit China vermutet
Mäßigen könne ihn letztlich nur China. Putin habe sich in den letzten Jahren immer mehr in Abhängigkeit Chinas begeben. „Die einzige Möglichkeit, auf ihn einzuwirken, hat China.“ Reinhard Brandl vermutet hier auch Absprachen zwischen Moskau und Peking. Das habe man auch im Verteidigungsausschuss ganz klar im Blick. Putin habe die Truppen für den Einmarsch in der Ukraine zum Teil von der Grenze zur Mongolei und zu China abgezogen. Dass er dort die Flanke geöffnet habe, spreche ganz klar für eine Absprache mit China, so Brandl. China habe schließlich wohl ähnliche Ambitionen im Bezug auf Taiwan.
Umgekehrt habe der Westen so gut wie keine Möglichkeiten, auf Putin einzuwirken oder ihm eine Art „goldene Brücke“ zu bauen, um sich aus dem Krieg zurückzuziehen, sagte Brandl mit Blick auf eine der Fragen aus dem Publikum, ob es nicht besser sei, große Zugeständnisse an Russland zu machen. Putin habe Europa lange nicht ernst genommen. Er sei davon ausgegangen, dass der Westen ähnlich gespalten reagieren werde wie bei der Annektion der Krim 2014. Doch hier habe er sich getäuscht, so Brandl und Masala einhellig. Die Zeitenwende, die Bundeskanzler Scholz eingeleutet habe und die 100 Milliarden an Sondervermögen für die Bundeswehr, die er angekündigt habe, seien richtig. Aber Geld alleine reiche nicht. Es brauche auch einen Mentalitätswandel und einen Umbau der Prozesse und Strukturen der Bundeswehr. Es gebe viel zu viele „dysfunktionale Strukturen“ in der Bundeswehr.
Beschaffung bei der Bundeswehr: „System der organisierten Verantwortungslosigkeit“
Im Bereich der Beschaffung militärischen Geräts etwa gebe es ein „System der organisierten Verantwortungslosigkeit“. Es gebe viel zu viele „Vetospieler“, alles dauere viel zu lange und letztlich übernehme niemand Verantwortung für Fehler. Hier stimmte auch Brandl zu. Es müsse natürlich klare Regeln geben und alles sauber ablaufen, aber die Beschaffung müsse viel schneller und besser funktionieren, sonst würden auch die 100 Milliarden Euro nicht automatisch zu einer wirklich dauerhaften Verbesserung der Bundeswehr führen.
Wehrpflicht? „Teuer und wenig sinnvoll“
Ähnliches gelte auch für die Wiedereinführung der Wehrpflicht, die nun immer wieder diskutiert werde. „Aus dem Bauch heraus ist es vielleicht eine gute Sache“, so Brandl. „Aber aus militärischer Sicht würde es keinen großen Beitrag bringen.“ Denn Soldaten bräuchten heute immer mehr eine lange und intensive Ausbildung, die Wehrpflichtige nicht haben könnten. Deshalb kämen auch von Seiten der Bundeswehr keine solchen Forderungen mehr. Das sah zwar die ebenfalls zugeschaltete oberfränkische CSU-Bundestagsabgeordnete Emmi Zeulner anders, die einen solchen Dienst als ausgebildete Krankenschwester befürworte, wie sie sagte. „Ich bin sehr für eine allgemeine Dienstpflicht.“ So könnten auch junge Leute in den Beruf Soldat hineinschnuppern.
In Schweden habe man die Wehrpflicht wieder eingeführt, allerdings gedeckelt auf 10.000 Soldaten pro Jahr, erläutert Masala. „Aber wir haben bei der Bundeswehr aktuell nicht die Strukturen dafür.“ Wenn man die Wehrpflicht wiedereinführen wolle, werde das viel Geld kosten. Ein nicht unerheblicher Teil der 100 Milliarden Euro wäre dann wieder weg.
„Was uns gelingen muss, ist dass unsere Armeen langsam zusammenwachsen.“
Stattdessen sieht Brandl große Chancen in einer europäischen Integration der Verteidigung. „Mein Ziel ist es, irgendwann zu einer europäischen Armee zu kommen“, so der Verteidigungspolitiker – allerdings nicht als eine weitere, 28. Armee neben denen der EU-Mitgliedsstaaten: „Was uns gelingen muss, ist dass unsere Armeen langsam zusammenwachsen.“ Ein Großteil des niederländischen Heeres etwa unterstehe längst deutschem Kommando. Es gebe zahlreiche weitere solche internationalen Projekte. Es gehe darum, gemeinsam Fähigkeiten aufzubauen. Gemeinsam könne man so wieder militärisch stark werden und werde dann auch wieder von Männern wie Putin ernst genommen.
Die EU habe viele militärische, aber auch politische Baustellen. Klar sei etwa auch, dass man auch mit den Ländern auf dem Balkan reden müsse, wo Putin ebenfalls versucht habe, an Einfluss zu gewinnen und Länder wie Serbien an sich zu binden, so Masala. Diesen Ländern müsse man eine europäische Perspektive bieten, wie es auch der Soziologe Gerald Knaus bei Markus Lanz gesagt hatte, wo beide gemeinsam am vergangenen Montag zu Gast waren.
„Wenn die Ukrainer Zweifel gehabt haben sollten, dann hat Putin dafür gesorgt, dass es jetzt keine mehr gibt.“
Carlo Masala, Professor an der Universität der Bundeswehr München
Auch mit der russischen Propaganda müsse man umgehen. Putin nutze nicht nur im eigenen Land jede Gelegenheit, seine Propaganda zum Krieg und dem dekadenten, schwachen Westen zu zeichnen. Er versuche das auch im Westen selbst – über Social Media und seine Auslandssender wie RT. Die Einschränkung der kremltreuen Auslandssender seien wichtig. Und auch eine Stärkung der Deutschen Welle als unabhängigem Informationsmedium gerade in solchen autoritären Ländern wichtig, wie Zeulner und Brandl sagten. Aber letztlich habe Putin auch selbst mit dem Krieg für ein Verstummen bei vielen „Putinsprechpuppen“ geführt, so Masala. In Frankreich etwa habe die rechtskonservative Kandidatin und Putin-Freundin Marine Le Pen Hunderttausende von Flyern für den Präsidentschaftswahlkampf einstampfen lassen müssen, weil darauf ein Foto von ihr mit Putin zu sehen gewesen sei, erzählt Masala. Viele solche rechtskonservative Putin-Versteher wie auch in der AfD in Deutschland kämen nun in Erklärungsnot.
Weitere militärische Provokationen gegen Finnland und Schweden?
Putin jedenfalls habe die Geschlossenheit und Entschlossenheit des Westens massiv unterschätzt. Doch die Gefahr sei auch jenseits der Ukraine längst nicht gebannt. Deswegen sei es richtig, die NATO-Truppen an der Ostgrenze zu verstärken. Denn auch im Baltikum gebe es ähnliche Probleme: Wenn Putin hier die „Suwalki-Lücke“, also die schmale Grenze zwischen Polen und Litauen schließe, sei etwa das Baltikum, wo auch deutsche Soldaten stationiert seien, abgeschnitten und schwer zu versorgen. Militärisch hätten sie und die Streitkräfte dort Putin wenig entgegenzusetzen. Doch sie seien NATO-Verbündete. Mehr Gefahr sieht Masala daher auch für Finnland und Schweden, die nicht NATO-Mitglieder sind. Beide Staaten seien schon mit russischen Drohungen überzogen worden. Er halte es nicht für ausgeschlossen, dass hier weitere militärische Provokationen erfolgten.
Eine der wichtigsten Baustellen aber sei auch das Vorgehen gegen russische Propaganda und Cyberangriffe. Es brauche auch hierzulande ganz dringend wie etwa in Norwegen bereits im Schulunterricht viel mehr Augenmerk auf das Erkennen von manipulativen Inhalten, fordert Masala. Man müsse resilienter gegenüber Propaganda und dieser Art hybrider Kriegsführung werden. Hier müsse auch die klare Trennung zwischen äußerer und innerer Sicherheit in Deutschland überdacht werden, so Brandl. Es sei nicht mehr zeitgemäß, wenn bei der Gefahrenabwehr heute oft die Landespolizei zuständig sei, dann erst Bundesorgane und erst auf einer dritten Ebene die Bundeswehr. Der Feind komme heute bei uns nicht zuerst mit Panzern aus dem Osten, sondern oft in digitalen Kanälen.
Gerade aber rollen wieder russische Panzer aus dem Osten an – und haben Europa und den Westen zusammengeschweißt wie lange nicht. Manchmal erreicht man durch Skrupellosigkeit eben auch das Gegenteil dessen, was man eigentlich erreichen wollte: Menschen wachsen oft in schweren Zeiten, und sie rücken auch zusammen. Falls es der Ukraine tatsächlich an Staatlichkeit und Identität gefehlt hatte, wie Putin es immer darstellt, dann hat er sie nun hergestellt. „Krieg härtet diese Identität“, erklärt Masala. „Wenn die Ukrainer Zweifel gehabt haben sollten, dann hat Putin dafür gesorgt, dass es jetzt keine mehr gibt.“