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Zweijährige Mahdia fasst Vertrauen

KU-Studie zeigt Bedeutung von Familienbildung als Beitrag zur gelingenden Integration

Welche Effekte haben Familienbildungsprogramme auf die Integration von Geflüchteten mit Kindern? Dies hat Annette Korntheuer, Professorin für Grundlagen und Theorien Sozialer Arbeit an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU), seit 2018 im Rahmen einer deutsch-kanadischen Kooperation erforscht. Die Initiative für die internationale Studie ging von den kanadischen und deutschen Nichtregierungsorganisationen „Mother Matters“ beziehungsweise „Impuls Deutschland Stiftung e.V.“ aus. Gefördert wurde das Projekt vom kanadischen Ministerium für Einwanderung, Geflüchtete und Staatsbürgerschaft.

Familienbildung ist ein Beitrag zur gelungenen Integration, wie Annette Korntheuer, Professorin für Grundlagen und Theorien Sozialer Arbeit an der KU, mit ihrer Studie gezeigt hat. Foto: Schulte Strathaus/upd

Zwischen 2014 und 2018 kamen 144.000 Kinder unter sieben Jahren als Asylsuchende nach Deutschland. Eine ähnliche Entwicklung war im selben Zeitraum auch in Kanada zu beobachten. Korntheuer hat sich für die Studie speziell mit der Situation in Deutschland befasst und schildert: „Über 78 Prozent der zu uns geflüchteten Frauen sind zugleich Mütter. Es gibt zunehmend wissenschaftliche Belege dafür, dass geflüchtete Mütter in der Aufnahmegesellschaft mit stärkeren Barrieren als andere Neuzugewanderte konfrontiert sind. Die Teilhabe an Spracherwerb und Arbeitsmarkt zeigt sich eng verknüpft mit dem Geschlecht und der familiären Situation.“ Herausfordernd für Familien sei vor allem der begrenzte Zugang zu frühkindlicher Bildung und Kinderbetreuung.

Hier setzt die Impuls Deutschland Stiftung e.V. mit international etablierten Konzepten für Familienbildung an. Zielgruppe des Programms „Opstapje“ sind Kinder unter drei Jahren, bei „HIPPY“ (Home Instruction Program for Preschool Youngsters“ sind es Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Die ganzheitlichen Programme sollen die Eltern-Kind-Bindung stärken, Erziehungskompetenzen fördern und Kinder in ihrer Entwicklung unterstützen. Kern und – wie die Studie zeigt – Erfolgsrezept der Angebote ist das Prinzip von Hausbesuchen, die neben Gruppentreffen zentraler Teil der Familienbildungsangebote sind.

Zweijährige Mahdia öffnet sich

Meist sind es Mütter, jedoch auch Väter, mit häufig demselben ethnokulturellen oder sprachlichen Hintergrund, die sich vermittelt durch Koordinatorinnen mit den Familien treffen. Sie leben häufig im gleichen sozialen Umfeld beziehungsweise in der Nachbarschaft und sind nach Möglichkeit selbst ehemalige Teilnehmer des Programms, die für ihre Aufgabe geschult wurden. Ihre Besuche bei den Familien zu Hause finden in 14-tägigem Rhythmus statt.

Auch für die kognitive, sprachliche und emotionale Entwicklung helfen Familienbildung und Besuchsprogramme, wie die Studie zeigt – hier ein Sprachkurs an der KU bei einer Sommerschule für Geflüchtete. Foto: Klenk/upd

Während dieser Treffen, die etwa 30 bis 45 Minuten dauern, gehen die Besucher zusammen mit den Eltern Bildungsmaterialien durch, die zentral gestellt werden. „Häufig sind die Hausbesucherinnen in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe schon weiter. Sie sind damit Vorbild und Empowerment-Faktor“, sagt Korntheuer. In einem der Interviews, die sie mit ihrem Team geführt hat, beschreibt die Syrerin Nadia den positiven Einfluss der Hausbesucherin auf ihre zweijährige Tochter Mahdia beispielsweise so: „Sie fingen an, zusammen zu kochen, zusammen zu spielen. Ich hatte das Gefühl, dass sie ein wenig mit ihr interagierte. Das gefiel mir, weil das ihre Persönlichkeit stärkt.“ Sie habe festgestellt, dass ihre sonst eher verschlossene Tochter „Vertrauen in die Person gefasst hat.“

Geflüchtete Familien oft sozial isoliert

Korntheuer betont: „Hier zeigt sich, dass Bildung auch Beziehungsarbeit ist. In den Interviews merkten die Geflüchteten an, wie positiv es ist, wieder selbst aktiv zu werden und Menschen in der eigenen Wohnung willkommen zu heißen.“ Viele fühlten sich an ihr Leben vor der Flucht erinnert, als sie eingebunden waren in großen Familien- und Nachbarschaftsnetzwerken. „Hier in Deutschland sind sie oft sozial isoliert. Da wird der Besuch von jemandem, der vielleicht sogar die Herkunftssprache spricht, häufig als ein positives Highlight im Alltag empfunden.“ Gerade für geflüchtete Familien in ländlichen Gegenden seien die Besuche und Gruppentreffen oft die einzige Kontaktmöglichkeit und eine Chance, sich zu vernetzen.

Neben dem Aspekt von Vertrauen als Beitrag zu emotionalen Stabilisierung haben Korntheuer und die weiteren Forschenden in zahlreichen Fallanalysen und Online-Befragungen noch weitere positive Effekte feststellen können. So haben die Familienbildungsprogramme  eine Brückenfunktion zu den Institutionen der aufnehmenden Gesellschaft und fördern die kognitive, sprachliche und emotionale Entwicklung. Darüber hinaus fördern sie die Reflexion von Geschlechterrollen, Familienarbeit und Berufstätigkeit.

Zwar erfolgte die Untersuchung noch in der Zeit vor der Pandemie, aktuelle Praxisberichte aus den Programmen zeigen dennoch auch die Innovationskraft und Flexibilität der Beteiligten – etwa durch  „Walk and Talk“-Formate als Ersatz für Hausbesuche oder digitalen Austausch. Inhaltlich empfiehlt Korntheuer, den transnationalen Aspekt in den Programmen besser abzubilden: „Wenn ich Familienbildung ernst nehme, dann geht das nicht nur mit denen, die gerade hier sind. Bei geflüchteten Familien gibt es häufig noch andere Mitglieder irgendwo auf der Welt, die einbezogen werden sollten.“ Generell stellt sie fest, dass flexible Strukturen die Teilhabe fördern, zum Beispiel hinsichtlich der Altersgrenzen der Kinder oder der Zahl der am Hausbesuch beteiligten Familienmitglieder.

Familienbildungsprogramme helfen

Sie rät darüber hinaus, den zeitlichen Rahmen der Hausbesuche bei geflüchteten Familien von 30 auf 60 Minuten auszudehnen, um die verschiedenen Bedarfe zu adressieren. „Dafür brauchen die Hausbesucher zudem weitere Kompetenzen. Darum schlagen wir vor, sie zu Integrationslotsen auszubilden.“ An einigen Programmstandorten werde dies bereits umgesetzt. Integrationslotsen kümmern sich beispielsweise um die Wohnungssuche, die Organisation von Sprachkursen oder die Begleitung von Behördengängen. Zusätzlich empfiehlt Korntheuer Weiterbildungsangebote für die Hausbesucher und Koordinatoren – beispielsweise aus den Bereichen Asylrecht, traumasensible Pädagogik und Anti-Rassismus-Training – sowie eine Supervision. Jenseits dieser Verbesserungsvorschläge zeige sich laut Korntheuer aber bereits jetzt, „dass die Familienbildungsprogramme großes Potenzial haben, die Inklusion geflüchteter Familien in Deutschland zu unterstützen.“ Der Abschlussbericht zur Studie findet sich frei verfügbar unter https://edoc.ku.de/id/eprint/25487/

Quelle
upd
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