Mit einem Mal sind Balu und Amy auf den Beinen. Die beiden mächtigen Hunde nehmen eine Position direkt am Zaun ein. Ihr Gebell dringt weit. Amy fletscht sogar kurz die Zähne und lässt ihr beeindruckendes Gebiss blitzen. Ein Wolf würde nun wohl Reißaus nehmen – und genauso ist das auch gedacht. Balu und Amy sind Šarplaninac, mazedonische Herdenschutzhunde und mitten in Bayern, im Altmühltal heimisch: auf dem Hof der Familie Eichhorn in Schernfeld. Sie sind dazu da, die Herden der Eichhorns mit rund 1000 Mutterschafen zu bewachen. Denn die Wölfe sind auch im Altmühltal endgültig angekommen, und der Mensch muss damit umgehen: zum Beispiel mit Herdenschutzhunden.
Grund zur Sorge für Schäfer oder auch Halter von Damwild gibt es durchaus: Seit etwa zehn Jahren durchstreifen einzelne Wölfe das Altmühltal. Bisher waren sie allerdings nur auf Durchreise. Doch nun gehen Experten davon aus, dass sich eine Fähe, ein weiblicher Wolf, dauerhaft niedergelassen hat. Wildkameras und Losungen legen diese Vermutung nahe. Der Wolf ist da, und er ist gekommen, um zu bleiben. Das untermauert eine weitere, aktuelle Wolfssichtung vom 18. Mai im westlichen Landkreis. Einer, der schon lange damit gerechnet hat, ist Willi Reinbold. Der Wolfsbeauftragte des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) Bayern plädiert für eine Ko-Existenz von Mensch und Wolf. Dabei spielt er die Problematik keineswegs herunter, nur ist er sicher, dass der Mensch seine Nutztiere wirkungsvoll vor dem Raubtier schützen kann und Konflikte vermeidbar seien. Die meisten Menschen lehnen Wölfe ab. Nachdem es zu einer Sichtung bei Beilngries gekommen war, vermeiden manche Familien den Waldspaziergang. Das Bild vom „bösen“ Wolf ist in vielen Köpfen fest verankert. Märchen zeigen Isegrim als Unhold. Reinbold möchte das ändern. Der Mensch selbst müsse vor dem Wolf keine Angst haben, wiederholt er oft. Und noch ein Satz gehört zu Reinbolds Standardaussagen: „Wir werden ohne Wolf nicht mehr sein.“
„Der Wolf kommt zu uns, weil er hier gut leben kann. Er findet Wohnung, Nahrung, und es gibt wenig Störung für ihn. Wenn das alles zusammenpasst, siedelt er sich an – wie jedes andere Tier auch“, führt er aus. In Europa, Russland nicht mitgezählt, leben heute wieder rund 20.000 Wölfe. In den vergangenen 40 Jahren sei dennoch kein Mensch ernsthaft zu Schaden gekommen, beruhigt der Wolfsbeauftragte. Meldungen über schwere Angriffe gibt es wohl, nur hätten sie nie verifiziert werden können. Dass es zu Begegnungen kommen könne, streitet Reinbold nicht ab. Sie seien aber selten. Und noch seltener komme es zu Vorfällen, bei denen Menschen vom Wolf „gezwickt“ werden, wie er sich ausdrückt. Der Eichstätter hat stets ein plastisches Beispiel parat: „Wer glaubt, dass der Wolf böse ist, muss auch glauben, dass der Storch Kinder bringt.“
„Kühe sind gefährlicher“
Außerdem: „Kühe sind gefährlicher“, betont der Wolfexperte – und meint das ernst. Denjenigen, die darüber lachen, führt er vor Augen, dass die Wiederkäuer regelmäßig Menschen tödlich verletzen – zum Beispiel, wenn sie ihre Jungen beschützen wollen. Begegnungen zwischen Spaziergänger und Wolf seien nicht unwahrscheinlich, führt Reinbold weiter aus. Das Tier kann am Tag bis zu 70 Kilometer zurücklegen. „Zu jeder Zeit, zu jedem Ort kann mir der Wolf gegenüber stehen“, weiß der Eichstätter Stadtrat. Meistens allerdings bleibt er, obwohl vielleicht in der Nähe, unsichtbar. „Wenn er uns registriert, meidet er uns. Er hat keine Angst vor uns und flüchtet nicht in wilder Panik. Er geht einfach gemütlich weiter.“ Manchmal aber, wenn der Wind entsprechend stehe und der Mensch leise sei, könne er vom Wolf schon mal übersehen werden. In einem solchen Fall sollte man stehen bleiben und sich als Mensch kenntlich machen, mit den Armen rudern und laut rufen. „Hau ab!“ zum Beispiel. Der Grund: Das Sehvermögen des Wolfes ist nicht das allerbeste. Ist die Distanz gering, gilt es, langsam zurückzugehen, aber nicht zu schnell. Das könnte tatsächlich den Jagdtrieb auslösen.
Anders sieht es mit freilaufenden Hunden aus, die in das Revier des Wolfes eindringen. Die wird er angreifen, und auch ein mittelgroßer Hund hat dann kaum Chancen. Und noch jemand ist gefährdet: Schafe und andere Weidetiere. Die holt sich der Wolf gern – wenn er denn kann. Gegen ihn helfen Schutzeinrichtungen, wie Elektrozäune oder spezielle Hunde. Kurzfristig kann auch ein mit Lappen versehener Zaun helfen: einfache Stofflappen, am besten aus blau-weißer oder schwarz-gelber Farbe. Die Signalfarbe Rot nutzt übrigens nichts. Denn Wölfe sind rot-grün-blind. Reinbold hat immer ein paar Rollen solcher Bänder oder Lappen im Kofferraum. Früher hat man Wölfe mit solchen beflaggten Leinen gejagt, sie vor die Flinte des Jägers oder in eine Falle getrieben. Der Ausdruck „Durch die Lappen gehen“ stammt aus dieser Zeit. Die Wirkung ist allerdings zeitlich begrenzt; Wölfe sind kluge Tiere, die schnell lernen. Auf Dauer hilft nur ein Grundschutz, der allerdings individuell auf die Weidetiere bezogen ausfällt. „Wolfsabweisende Einrichtungen“, so lautet der Begriff. Eine davon sind Elektrozäune. „Mit 12.000 Volt“, gibt Reinbold ordentlich Gas. Und die Erdung sei wichtig. Er empfiehlt einen steifen Zaun, nicht das Euro-Netz, obwohl dieses billiger ist und leichter zu handhaben. 90 Zentimeter sollte es hoch sein.
Alfons Eichhorn hat auf seinem Hof, der auf Schafzucht spezialisiert ist, einen solchen Zaun bereits, um seine zwei Herden zu schützen. Die Spannung beträgt mindestens 2000 Volt. Die gesamte Anlage, zu der eine Photovoltaikanlage, eine Batterie und eine Kamera gehören, ist in einem Anhänger verpackt. Solche Einrichtungen gibt es bisher nicht fix und fertig zu kaufen, sondern sie müssen für den eigenen Bedarf zusammengestellt werden, erklärt auch Eichhorn. Aber die Einrichtung ist auf der Höhe der digitalen Zeit: Über Mobiltelefon wird der Schäfer informiert, wenn die Spannung abfallen sollte und auf dem Tablet empfängt er Bilder von der Kamera. Auf noch etwas hat er zu achten: Die Stromtaktung muss recht eng sein. Normalerweise wird ein Wolf erst einmal am Zaun schnuppern. Dann müsse es für ihn schon richtig „schnalzen“, damit er die Flucht er- greift. Die Höhe des Zauns von 90 Zentimeter an sich wäre kein Problem für ihn. Er schafft mühelos auch 1,50 Meter und mehr. Zum Schutz reichen die 90 Zentimeter, bestätigt auch Reinbold.
Landkreis ist förderfähige „Wolfskulisse“
Diese eine Schutzeinrichtung hat Eichhorn schon länger. Jetzt will er sich eine zweite zulegen. Weil Schernfeld zur sogenannten Förderkulisse gehört, werden sämtliche Anti-Wolf-Maßnahmen zu 100 Prozent gefördert. Wenn ein Wolf durch Sichtungen, Tierkameras oder Kot ein halbes Jahr durchgehend nachgewiesen wurde, gilt dieses – sehr großzügig bemessene – Areal als Wolfskulisse und damit als förderwürdig. Dabei ist es gar nicht nötig, dass sich das Tier in unmittelbarer Nähe eines bestimmten Ortes aufhält – sein Revier ist sehr aus- gedehnt. In Schernfeld hat sich der Wolf noch nicht blicken lassen, aber es genügt der eindeutige Nachweis im westlichen Landkreis Eichstätt. Das zuständige Landesamt für Umwelt (LfU) „drängt sich dabei allerdings nicht auf“.
Mit anderen Worten: Der Viehhalter muss von sich aus aktiv werden. Für die Förderung muss er einen Antrag stellen, wobei er für die jeweilige Schutzeinrichtung drei Angebote einholen muss. Gar nicht so einfach, wie Eichhorn erfahren hat: Für die Kamera, die er benötigt, gebe es nur einen einzigen Anbieter. Auch eine zeitliche Frist ist zu beachten: Innerhalb eines Jahres muss der Antrag gestellt sein. Danach gibt es keine Entschädigungen mehr für gerissene Tiere. Übrigens: Im Gegensatz zu früher, als ein privater Fonds einsprang, zahlt jetzt der Freistaat Bayern diesen Schadensersatz. Auch wenn der Staat die Schutzeinrichtungen komplett übernimmt, bleiben die Weidetierhalter dennoch auf bestimmte Kosten sitzen. Den täglichen Aufwand mit Transport, Einrichtung und Aufbau des Zauns beziffert Eichhorn auf rund eineinhalb Stunden.
Amy und Balu bereits dezent im Einsatz
Zu den Abwehrmitteln gegen Wölfe, die vom Freistaat vollständig gefördert werden, zählen auch Herdenschutzhunde wie Balu und Amy. Starke und furchtlose Hunde, die es mit einem Wolf aufnehmen könnten. Allein schon ihr Gebell soll reichen, den Wolf zu vergrämen. Aber die Sache ist nicht ganz so einfach. Solche Rassen sind darauf gezüchtet, selbstständig zu agieren und eigenständige Entscheidungen zu treffen. Auf Kommandos hören sie nur bedingt. Als Alfons Eichhorns Sohn seine Meisterprüfung in der Lüneburger Heide machte, lernte er den Umgang mit Schutzhunden kennen und
Der Šarplaninac ist eine in Nordmazedonien und Serbien beheimatete Rasse, der dort seit Jahrhunderten als Herdenschutzhund eingesetzt wird. Erst nach 1970 verbreitete sich der Šarplaninac in Europa. Vorher war die Ausfuhr verboten. Der Šarplaninac erreicht eine Größe von bis zu 62 Zentimetern und ein Gewicht von bis zu 45 Kilogramm. Er besitzt dichtes langes Fell mit viel Unterwolle. Er ist, wie alle Herdenschutzhunde, sehr eigenwillig und gewohnt, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. In seiner Heimat war er oft über längere Zeit allein mit seiner Herde und dabei ganz auf sich gestellt. Dennoch gilt er als grundsätzlich gutmütig, treu und arbeitsfreudig. Auf Feinde reagiert er mit Vehemenz. Heute wird der Šarplaninac auch als Wach- und Schutzhund bei Militär und Polizei eingesetzt. Sogar als Familienhund ist er denkbar, immer vorausgesetzt, seine Familie berücksichtigt seine Herkunft und hat Erfahrungen mit dem Umgang mit Hunden. In die Hände unbedarfter Zeitgenossen gehört er nicht.
Auch Reinbold rät dringend, nur zertifizierte Herdenschutzhunde einzusetzen, diese seien sozialisiert gegenüber Weidetieren und Menschen. „Solche Hunde würden nie Menschen angreifen“, versichert er. Deshalb: Finger weg von Tieren zweifelhafter Herkunft, etwa aus den Händen unseriöser Züchter. Wobei Reinbold insgesamt einräumt, dass es einen hundertprozentigen Schutz nicht gebe. Aber: „Der Wolf nimmt, was leicht geht.“ Es gebe nur selten Verluste bei entsprechend geschützten Tieren. Wo Horrormeldungen auftauchen, wie etwa, dass Wölfe zwei Dutzend Damhirsche gerissen haben, stelle sich meistens heraus, dass keine wolfsabweisenden Schutzeinrichtungen vorhanden gewesen seien, bekräftigt Reinbold. Normale Weidezäune stellen eben kein Hindernis dar.
Die Tatsache, dass die Raubtiere nicht ein einzelnes Schaf reißen und es dabei bewenden lassen, sondern wahre Massaker anrichten können, schadet dem Ansehen der Wölfe zusätzlich. Steigern sie sich in eine Art „Blutrausch“ hinein, wenn sie eine Herde angreifen? Reinbold verneint. Es handele sich um „Purpose Killing“: Töten auf Vorrat. Die Wölfe nutzen die Gelegenheit, mehrere Tiere zu reißen, um sich später an ihnen gütlich zu tun. Würde man die Kadaver liegen lassen, würden sie die Wölfe nach und nach auch auffressen. Kein wirklicher Trost für die Herdenbesitzer.
Alfons Eichhorn aber hatte bisher noch nie Probleme mit Wölfen – und ist verständlicherweise nicht gerade traurig darüber. Denn wenn ein Wolf in eine Herde einbricht, geht es nicht allein um ein paar tote Schafe oder Ziegen. Die Herde flieht in wilder Panik – schlimmstenfalls auf die Gleise vor einen Zug. Außerdem ist sie künftig schreckhaft und wesentlich schwieriger zu leiten. Eichhorns Credo: „Die Wölfe sollen auf die Rehe gehen.“ Wenn sich einer auf Schafe spezialisiert habe, sei er bereits ein „Schadwolf“, und ein solcher werde wohl auch geschossen. Im Prinzip habe er nichts gegen den Wolf, sagt der Schäfer und setzt hinzu: „Wenn er mich in Ruhe lässt.“ Und genau dabei könnten Amy und Balu in absehbarer Zeit ihre Rolle spielen.
In der Natur spiele der Wolf eine große Rolle, wie Willi Reinbold ausführt. Er greift sich in der Regel alte und kranke Tiere. „Auf diese Weise können sich Krankheiten unter Wildtieren weniger leicht ausbreiten“, fügt der Wolfsbeauftragte des Landesbundes für Vogelschutz hinzu. Dabei ersetzt das Tier den Jäger nicht. Wie ihm ein Waidmann aus der Lausitz versichert habe, gebe es dort, wo schon lange Wölfe heimisch sind, nicht weniger Rehwild als vorher, so Reinbold. Allerdings sei das durchschnittliche Gewicht der Rehe von durchschnittlich zwölf auf 15 Kilogramm gestiegen. Die Tiere seien also allgemein kräftiger. „Bei uns bekommen auch schwache Rehe Nachwuchs.“ Mit einem Wolfsrudel würde sich das auch hier ändern. Und weil die Rehe ihr Verhalten ändern, käme auch der gewünschte Umbau zu Mischwäldern besser voran.
Übrigens: Wenn sich Wölfe in der Nähe von Siedlungen aufhalten, liegt das oft an den Rehen: Die nämlich wissen, dass ihnen hier kein Jäger schaden darf. Also suchen sie den Ortsrand auf, und die Wölfe folgen ihrer Beute. Da kann es schon mal vorkommen, dass ein neugieriger Wolf durch die Straßen streift, wie kürzlich in Köln geschehen. Der will dann aber so rasch als möglich raus aus dem Asphaltdschungel zurück in die Natur. Was die Verhaltensänderung von Wildtieren betrifft: Bei Wildschweinen könne man das bereits beobachten, weiß Reinbold. Einem aggressiven Keiler geht der Wolf zwar tunlichst aus dem Weg, und auch mit einer wütenden Bache ist nicht zu spaßen, aber wenn er einen Frischling in die Fänge bekommen kann, zögert der Wolf nicht. Das wissen auch die Wildschweine. Statt sich wochenlang in einem Maisacker häuslich einzurichten, suchen sie diesen nur noch sporadisch auf. Das freut dann auch wieder die Landwirte.