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„Wie würden Sie Politik einem Außerirdischen vorstellen?“

Landtagsabgeordnete Eva Gottstein im Interview mit Schülerin Theresa Rehm

Eichstätt/München. – Wie kann Bayern weiterhin mit einer herausragenden Bildungspolitik an der Spitze Deutschlands bleiben? Warum brauchen wir dringend mehr Frauen in der Politik? Und weshalb ist das Ehrenamt mit all seinen motivierten und engagierten Menschen der Kitt unserer Gesellschaft? Mit solchen Fragen hat sich Eva Gottstein seit 15 Jahren auch als Mitglied des bayerischen Landtags beschäftigt. Die Freie Wählerin gehört zu den Vorkämpfern ihrer Partei in Bayern, Oberbayern und auch in Eichstätt, wo die ehemalige Lehrerin und Schulleiterin zuvor lange Jahre im Stadtrat und im Kreistag tätig war.
Zur kommenden Landtagswahl am 8. Oktober tritt die 74-Jährige nun nicht mehr an. Sie bleibe aber immerhin noch bis Ende Oktober die Ehrenamtsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung – ein Amt, für das man manchmal belächelt werde, das aber umso wichtiger sei, wie sie findet. Denn Ehrenamt und das Engagement für eigene Interessen, aber vor allem auch für andere Menschen sei der Kitt einer Gesellschaft und der Demokratie, wie sie nicht nur als Beauftragte sagt. Im Gespräch mit Schülerin Theresa Rehm, die mit ihr ihr allererstes Interview führte, verrät sie mehr über das, was sie bewegt.
Politik fängt in der Schule an, sagt Landtagsabgeordnete Eva Gottstein (FW), hier im Interview im Maximilianeum mit Schülerin Theresa Rehm. Foto: Zengerle
Rehm: Wie würden Sie sich und Ihren Beruf//Politik einem Außerirdischen vorstellen?

Gottstein: Das ist eine gute Frage. Was will ein Außerirdischer wissen? Also mein Beruf ist ja eigentlich immer noch Lehrerin, weil: einmal Lehrer, immer Lehrer, egal in welcher Funktion. Der Beruf, die Tätigkeit, die ich jetzt die letzen 15 Jahre ausgeübt habe, ist letztendlich, ein Vertreter des Volkes zu sein. Die Bewohner, die  unsere Erde bewohnen, sind natürlich daran interessiert, dass ihre Interessen durchgesetzt werden. Und da nicht jeder seine Interessen durchsetzen kann, brauche ich jemanden, der das erst für eine kleine Einheit in der Kommune, dann für eine größere Einheit, im Land, dann in Deutschland und dann auf der Erde macht. Und da haben wir Gott sei Dank ein demokratisches System, das heißt, die Leute suchen sich jemanden, dem sie vertrauen und der dann ihre Interessen vertritt. Das hab ich jetzt in den 15 Jahren zu machen versucht.

Warum sind Sie eigentlich von der Schule in die Politik gewechselt? War es in der Schule zu langweilig?

Ich war auch schon während der Schulzeit in der Politik. Ich war damals natürlich im wichtigen Ehrenamt Kommunalpolitik tätig – und bin das jetzt auch, seit ich dann in den Landtag gewählt worden bin, schon 15 Jahre fast. Das heißt, es war einfach die logische Folgerung meiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Stadträtin und als Kreisrätin, dass ich dann die nächste Ebene erklommen habe. Und das kann man dann nicht mehr neben der Schule machen, sondern man muss dann eines aufgeben.

Haben Sie ein Lebensmotto? Wenn ja, welches?

Ein Motto ist sicher die Lehre Immanuel Kants, das hab ich auch meinen Schülern immer beizubringen versucht: dieses lateinische „Sapere aude!“: „Wage, zu wissen“ oder „Habe den Mut, dich deines Verstandes zu bedienen!“

Welche Eigenschaften sind Ihrer Meinung nach wichtig für einen Politiker und welche davon haben Sie oder haben Sie nicht?

Also ich denke, ein Politiker muss auf jeden Fall einmal organisiert sein, sonst geht er unter in dem politischen Trubel. Dann muss er abgehärtet sein, denn Politik ist ein hartes Brot. Dann muss man empathisch sein, sonst kann er die Nöte der Bürgerinnen und Bürger nicht verstehen. Und dann muss man kreativ sein: Man muss manchmal überlegen, was man machen kann, selbst wenn ganz viele ja immer sagen: ,Das geht nicht‘. Ich denke, der Politiker muss dann überlegen, wie es geht. Er muss fleißig sein, er sollte pünktlich sein – das bin ich eher nicht. Er muss hart im Nehmen sein – ich nehme immer noch manches persönlich, was ich nicht persönlich nehmen sollte. Dann muss man sicher kommunikativ sein, kommunikativ natürlich auf zwei Seiten: einmal natürlich mit den Mitstreitern, den Mitbewerbern, Konkurrenten. Und: Ich muss erkennen, wo ich wie rede. Ich denke zu einer Schulklasse oder zu einem Außerirdischen muss ich anders sprechen, es anders formulieren, als wenn ich bei Akademikern bin. Durchsetzungsfähig sollte ein Politiker auch sein und natürlich auch langfristig am Ball bleiben. Er muss natürlich auch eine gewisse Geduld haben. Er muss auch zuhören können. Ich kann schon zuhören, aber ich bin zu ungeduldig, weil ich oft halt schon weiß, was bestimmte Leute sagen: Die machen zehn Sätze und ich weiß es eigentlich nach drei Sätze, und dann bin ich wirklich manchmal nicht höflich.

Ihre letzte Landtagssitzung hatte Eva Gottstein am 20. Juli. Im Oktober tritt sie nicht mehr an – ist aber dankbar für viele Jahre politischer Arbeit in und für Bayern. Foto: Zengerle

Wenn Sie nur noch einer Person eine einzige Frage stellen dürften, wen würden Sie was fragen?

Schwierig. Ich denke, irgendjemanden aus der Kirche: den Bischof oder den Papst, und zwar, warum es so läuft, wie es gerade läuft. Oder natürlich meinen Mann, warum er mich geheiratet hat (lacht). Das ist jetzt schon sehr privat. Aber da überlege ich immer noch manchmal (lacht).

Seit wann interessieren Sie sich schon für Politik? Auch schon als Jugendliche?

Das kommt auf die Definition von Politik an. Also ich denke, Politik ist ja nicht nur die institutionalisierte Politik, wie wir es jetzt über das Parteiensystem haben. Politik ist in dem Fall, denke ich, alles. Denn in dem Moment, wo du dich über deine eigenen Interessen in der Gesellschaft engagierst, hast du etwas mit Politik zu tun, wenn man von der griechischen Definition von „polis“, vom Gemeinwesen, ausgeht. Dann fängt das an beim Klassensprecher, beim Schülersprecher, bei der Mitarbeitervertretung. Das hab ich alles schon gemacht, und das war auch Politik, und dann kam natürlich erst die klassische Parteienpolitik.

Was waren in Ihren 15 Jahren als Landtagsmitglied Ihre Highlights und Tiefschläge? Und was hätten Sie vielleicht gerne anders gemacht?

Für mich ganz persönlich ist das Highlight, dass ich den bayerischen Verdienstorden bekommen habe, weil das eine Würdigung meines Werkes ist, mit der ich nicht unbedingt rechnen konnte und wo ich einfach stolz drauf bin. Ich habe mich wahnsinnig gefreut, habe mich selber da auch nicht aktiv darum bemüht, und das ist schön. Ein Highlight ist für mich auch, dass ich im Kabinett vorsprechen durfte und im Prinzip, dass dann in der Schule die Projektwoche Alltagskompetenz in einer noch etwas einfachen Form umgesetzt wurde. Für mich wären diese Projektwochen noch in einer anderen Version vorstellbar, aber als Einstieg in diese Alltagskompetenz habe ich im Kabinett vorgesprochen. Das weiß ich noch, da hab ich gerade eine Jacke gestrickt. Meine Jacke war ziemlich vollendet, und da wurde ich in den Koalitionsausschuss geladen. Da ging es nochmal drum, ob wir ein Fach machen oder eine Projektwoche, und es sind nach wie vor noch ein paar Leute der Meinung, das ist ein Fach. Ich denke, wir brauchen Projektwochen. Aber wir brauchen natürlich in jeder Jahrgangsstufe eine Projektwoche zur Alltagskompetenz, wir haben jetzt nur erreicht, dass das mal in der Grundschule und in der weiterführenden Schule umgesetzt wird. Denn als Fach würde das heißen: Man braucht erstens einmal einen Lehrplan, dann brauche ich eine Lernzielkontrolle, also ich brauche eine Note. Und das ist für mich ein Widerspruch zu dem, dass ich eigentlich Alltagskompetenz vermitteln will. Und dann hab ich mein Strickzeug dabeigehabt und habe gesagt: „Das ist Alltagskompetenz, dass man auch heute noch stricken und häkeln kann!“ Das ist wie Fahrradfahren: Wenn man das einmal gelernt hat, dann verlernt man das nie. Dann war für mich sicher ein Highlight jetzt mit der GEMA, dass ich das durchsetzen konnte, auch wenn wir da noch ein bisschen Kommunikationsbedarf in der Öffentlichkeit haben. aber das liegt dann nicht an mir, sondern da brauche ich dann einfach auch das Sozialministerium, das das dann vielleicht auch einfach ein bisschen deutlicher rüberbringen.

Dass die Freien Wähler in den Landtag gekommen sind, war natürlich auch ein Highlight, weil der Knackpunkt war immer Oberbayern: Wir wären ja schon 1998 in den Landtag gekommen in den anderen Bezirken. Wir hatten überall schon über fünf Prozent, und es lag an Oberbayern: Da waren wir bei 2,5 Prozent, und ich konnte durch meine Tätigkeit als Bezirksvorsitzende Oberbayern Oberbayern entsprechend für den Gedanken gewinnen, in den Landtag zu kommen. Das war ja sehr umstritten, speziell in Oberbayern. Dass wir dann auch 2008 in Oberbayern entsprechend stark waren, sodass wir in den Landtag eingezogen sind, das hat mich wahnsinnig gefreut, weil ich dafür auch geackert habe wie ein Pferd.

Tiefpunkte gab es natürlich auch, vor allem im menschlichen Bereich, die halt auch in einer Fraktion passieren. So etwas wie Vertrauensbrüche hat es gegeben, und da glaube ich nicht mal, dass es an Mann und Frau liegt, sondern es liegt dann an Persönlichkeiten, wie schnell man so etwas wegsteckt oder nicht. Highlights waren auch die Reisen, die ich im Rahmen des Landtags gemacht habe. Da ging es schon auch sehr über den Tellerrand hinaus. Als ich stellvertretende Vorsitzende des Innenausschusses war, musste ich, als der Innenausschussvorsitzende Florian Hermann kurzzeitig vorher zwei Tage verhindert war, eine ganze Delegation leiten. Seitdem habe ich einen Orden von der spanischen Polizei, von den spanischen Sicherheitsbehörden, die ich da bekommen habe. Das war in der Zeit, als die ersten die Flüchtlingsströme waren. Da waren wir in Sevilla. Ich habe auch in dieser Landtagszeit wahnsinnig viel gelernt. Wir waren auch einmal – das war mein Wunsch, auch als stellvertretende Innenausschussvorsitzende – in Indien, wo mein Anliegen speziell war, die Situation der Frauen in Indien zu beleuchten. Dort gibt es etwa eine App, nur für die natürlich, die ein Smartphone haben. Da kannst du eingeben: „Ich fahre jetzt mit dem Taxi Nummer so-und-so“. Und wenn du wieder aussteigst, sagst du: „Ich bin aus dem Taxi wieder ausgestiegen“. Ganz einfach, weil dort viele Frauenmorde und so weiter vorkommen. Also die haben da schon ein spezielles Sicherheitssystem für die Frauen. Das war schon auch immer interessant: die Nase mal über den Tellerrand hinaus zu strecken.

Es gibt unter Erwachsenen ja zur Zeit auch viel Politikverdrossenheit, warum sollten sich Jugendliche heute mit Politik beschäftigen?

Ich glaube, schon die Fragestellung zeigt, wo der Wurm ist: allein schon das „Ich muss mich mit Politik beschäftigen“. Denn das Leben ist ja Politik. Wie gesagt: Es fängt ja damit an, dass sie einen Klassensprecher wählen, weil sie wissen, wir wollen einen Ausflug machen und wir brauchen einen, der für uns spricht. Oder der Schülersprecher, das heißt, diese Interessenvertretung, die ich natürlich auch in einem Verein machen kann, die ich bei der Gewerkschaft machen kann – das ist Politik. Und von dem her ist für mich die Frage „Soll ich mich für Politik interessieren?“ schwierig. Ich denke, man soll sich grundsätzlich von Anfang an dafür interessieren, dass die Interessen, die eine Gruppe hat – und eine Gruppe besteht ja immer aus Stärkeren und aus Schwächeren – dass diese Interessen von dem, der über diese Interessen zu bestimmen hat, wahrgenommen werden. Das ist für mich Politik. Also ich bin manchmal traurig, oder hab mich auch natürlich dafür eingesetzt, und es  läuft auch jetzt schon besser. Wir brauchen Klassensprecherseminare, wir brauchen zum Beispiel die Schülermitverantwortung, die ist bei uns im Gesetz eigentlich gut verankert, aber die Schüler machen manchmal recht wenig daraus. Da müsste eigentlich die Politikbegeisterung beginnen. Natürlich gibt es auch das Thema Jugendparlament. Aber da sieht man ja: Da sind dann drei, vier Leute da. Ich habe auch schon ein Jugendparlament gehabt, als ich noch im Stadtrat war, und dann ist das wieder eingeschlafen. Also ich glaube, jeder Mensch sollte erfahren, dass er, wenn er sich einsetzt für seine oder für die Interessen von anderen, etwas bewirken kann. Und wenn er das merkt, dass er etwas bewirken kann, ist er auch motiviert, sich dann auch auf verschiedenen Ebenen zu engagieren. Wenn ich das als junger Mensch erkenne, dann gibt es für mich eigentlich gar keine Alternative, als sich entweder im Haus der Jugend oder in der Schule oder im Club oder wie auch immer einzubringen.

Bürgernähe gefragt: Landtagsmitglied Eva Gottstein mit einer Besuchergruppe im Landtag. Foto: oh
Wie würden Sie sagen, hat sich Politik durch Social Media verändert, was ist schwerer, was vielleicht leichter geworden?

Ich bin nicht in Instagram und so weiter, aber ich kann mich rausreden, ich bin nicht die Generation. Ich denke, ich sehe zwei Probleme, einmal ist es nicht mehr ein persönlicher Kontakt, und ich mag auch nach wie vor keine Videokonferenzen. Ich brauche das, wenn ich rede: dass ich sehe, wie jemand dasitzt. Ich versuche ja mitzukriegen, ob jemand mit meiner Antwort zufrieden ist oder nicht. Und das ersetzt noch kein Medium. Ich habe jedenfalls in Videokonferenzen nie auch letztendlich das rüberbringen können, was ich wollte. Ich denke, das macht es schwerer, und die Leute täuschen sich dann aber. Ich glaube, manche meinen, das ist ein Ersatz für menschliche Begegnungen, egal ob im privaten Bereich oder im beruflichen. Das ist manchmal gut für schnelle Informationen, aber es ersetzt nicht die menschlichen Begegnungen. Aber dass manche Menschen das glauben, ist für mich eine Gefahr, weil eben da auf einmal eine neue Welt          entsteht, die aber nicht dem entspricht, wofür wir geschaffen sind: dass wir unsere Sinne haben, wo wir schmecken, riechen. Ich rieche zum Beispiel hier jetzt vieles, ich spüre den Wind. Das mache ich alles nicht, wenn ich das über Video mache.

Das andere ist natürlich, dass es dazu verleitet, völlig unüberlegt Dinge in die Welt zu posaunen und einem nicht bewusst ist, dass das halt bleibt. Deswegen bin ich persönlich zum Beispiel ganz, ganz vorsichtig. Ich habe auch schon mal eine E-Mail rausgehaut, wo ich mir gedacht hab: Das hättest du lieber nicht machen sollen. Also dieser Schritt, dass man normalerweise sein Hirn anschaltet, der fehlt. Eigentlich müsste bei jeder Mail oder auf Instagram oder anderswo noch ein Klick vorgeschrieben: Nach dem Motto „Hirn einschalten!“, und dann darf ich erst draufdrücken. Und diese Sperre ist nicht da – vor allem für Jugendliche, auch bei meinen Enkeln. Ich sehe es schon als gefährlich an, wenn man ihnen das in 30 Jahren nochmal so deutlich aufzeigt, würden sie vieles sicher anders machen. Aber das Netz vergisst eben nichts. Einen Brief kann          man verbrennen, immer noch. Also ich will diese Entwicklung nicht rückgängig machen. Aber, wie gesagt, ich denke, man sollte vorsichtiger damit umgehen. Und die Politik ist dadurch natürlich noch schnelllebiger und unüberlegter geworden.

Wenn sich Jugendliche zum Beispiel über Politik informieren wollen, wie sollten sie sich informieren und was sollte die Schule dabei tun? Was würden Sie als ehemalige Lehrerin für Tipps geben?

Also die Schule sollte erstmal dafür sorgen, dass alle Schüler lesen können, was heute nicht selbstverständlich ist, wenn man unsere Studien anschaut. Ich denke, es muss wesentlich mehr wieder am Verständnis von Texten gearbeitet werden. Ich denke wirklich, dass die Lesekultur, sich mit Texten zu               befassen – egal was man liest – wichtig ist. Also ich denke, man muss wissen, einen Odysseus hat es mal gegeben. Ich bin nach wie vor für einen Kanon der Liteartur, den man gelesen haben sollte. Wenn es eben jetzt heißt, auch der Faust geht drauf, dann tut mir das weh. Natürlich langweilt das Ding, aber wenn du dann einfach mal 70 Jahre alt bist, merkst du, dass du immer mal wieder Freude daran haben wirst. Ich war vor zwei, drei Wochen in Weimar, weil wir auf dem Weg an die Ostsee Pause gemacht haben und mein Mann und ich uns jetzt vorgenommen haben, mehr auch in Deutschland kennenzulernen. Die haben momentan eine Ausstellung anlässlich der Weimarer Verfassung, und dann siehst du das Schillerhaus, dann siehst du das Goethehaus dort. Dann hab ich gesagt: „Mensch, Peter, wir müssen unbedingt das alles jetzt nachholen.“ Ich war das letzte Mal im Goethemuseum in Frankfurt mit meinen Kindern. Das ist 30, 40 Jahre her.

Ich denke also, Schule soll dafür sorgen, dass viel Zeit genutzt wird, um sich mit Texten ernsthaft zu befassen. Ob das jetzt Kennedy ist oder Kant, oder ob das Sokrates ist oder Ovid. Es entgeht einem Schüler was, wenn er nicht die Liebesgedichte oder die Metamorphosen von Ovid gelesen hat. Die sind nicht jugendfrei, aber sie sind interessant. Schule kann Demokratie natürlich auch anders vorleben – über die Schülermitverantwortung, über das Schulforum. Das ist ein perfektes Instrument, wo Lehrer, Schüler, Eltern, Schulträger an einem Tisch sitzen, wichtige Entscheidungen für die Schule fällen können, und das sollte meiner Meinung nach viel häufiger genutzt werden. Das wäre für mich der beste Ansatz, in den Schulen die Schüler an Politik heranzuführen. Und ich glaube, dass es am wenigsten über mehr Sozialkundeunterricht geht.

Sind Sie für oder gegen ein Wahlrecht ab 16 und warum?

Ich bin selbst persönlich zwiegespalten. Ich bin absolut der Meinung, dass es im kommunalen Bereich Sinn macht, ja. Also ich denke, die Diskussion: „Der ist mit 16 noch nicht reif“, ist problematisch. Denn dann muss ich auch bei einem 50-Jährigen fragen, dann muss ich auch bei einem 100-Jährigen fragen. Also die Wahlmündigkeit, glaube ich, ist nicht altersabhängig. Was ich halt schade finde ist, dass man sich jetzt da ein bisschen so drauf konzentriert, und wir wissen aber eigentlich, dass auch die 18-Jährigen wenig wählen. Für mich ist das eigentlich Problem mehr: Wie können wir überhaupt höhere Wahlbeteiligungen zustande bringen, als jetzt, ab wann man wählen darf.

Sie sind ja Ehrenamtsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung und somit nah am ehrenamtlichen Engagement, spätestens seit der Corona-Zeit haben ja viele Vereine und Institutionen Nachwuchsprobleme. Wie sehen Sie hier die Situation?

Erstens mal muss ich klarstellen, das bin ich jetzt meiner Stellung als Beauftragte schuldig: Diese Nachwuchsprobleme haben nur bedingt mit Corona zu tun und sind auch nicht über das ganze Ehrenamt verbreitet. Wir haben Probleme in sehr historisch gewachsenen Ehrenamtspositionen, wo es eben um einen Vorstand geht, um einen Schriftführer, um einen Kassenprüfer. Wir haben aber eine Zunahme im projektbezogenen Ehrenamt, also zum Beispiel einen Spielplatz herrichten, die Dorferneuerung – also mehr an Projekten orientiert. Das heißt, der Zulauf zum Ehrenamt ist nach wie vor hervorragend. Von da her habe ich keine Angst. Von der Statistik her ist die zweitgrößte im Ehrenamt tätige Gruppe die der 14- bis 29-Jährigen. Das ist die zweitstärkste Gruppe. Die Über-65-Jährigen sind dagegen die schwächste Gruppe im Ehrenamt. Alle fünf Jahre erscheint ja dieser Freiwilligen-Survey, und da steht es halt zumindest so drin. Und einfach aufgrund dieser fünf Jahre als Beauftragte hab ich eigentlich keine Angst um das Ehrenam. Der Wille, sich zu engagieren, ist enorm. Meine Erfahrung ist aber auch: Wir brauchen mehr Hauptamt im Ehrenamt. Es funktioniert überall dort gut, wo entsprechende Unterstützung durch ein Hauptamt da ist. Der Landesbund für Vogelschutz zum Beispiel hat für jeden Bezirk einen Hauptamtlichen, der die Ehrenamtlichen betreut. Das merkt man einem Verband einfach an. Die haben in Oberbayern, Unterfranken und in allen Bezirken Büros, der als Hauptamtlicher die Ehrenamtlichen in diesem Bezirk betreut. Wir haben in den Landratsämtern zum Beispiel jetzt auch Hauptamtliche, die das unterstützen. Deswegen war ich auch neulich bei Herrn Anetsberger (d. R.: Eichstätter Landrat) und durfte auch nochmal meine Vorschläge unterbreiten, die er sich, denke ich, auch ganz aufmerksam angehört hat. Wir haben Kommunen, wo es Hauptamtliche gibt. Zum Beispiel war ich neulich in Gaimersheim. Da gibt es ein Büro, da steht „Vereine und Verbände“. Also da brauchen wir auf jeden Fall mittelfristig oder sofort eigentlich mehr Hauptamtliche, die sich um das Ehrenamt kümmern, das ist ganz klar. Ich hoffe, so etwas steht in einem nächsten Koalitionsvertrag, und die nächste bayerische Regierung macht das.

Warum würden Sie jungen Menschen empfehlen, sich ehrenamtlich zu betätigen?

Aus dem gleichen Grund, warum ich sage: „Mischt euch in die Politik ein!“ Denn da gilt natürlich auch der Satz, den wir Kennedy zugeschreiben: „Frage nicht, was dein Land für dich tut, frage, was du für                   dein Land tun kannst!“. Natürlich hat jeder vom lieben Gott bestimmte Fähigkeiten bekommen – bestimmte Eigenschaften, die er natürlich wieder der Gemeinschaft zurückgeben kann und sich halt entsprechend einsetzen kann. Ich habe neulich bei einem Kindergartenbesuch einen ehemaligen Siemens-Mitarbeiter getroffen, der gesagt hat: „Ich habe genug Geld verdient, ich habe einen tollen Beruf gehabt, und jetzt möchte ich der Gesellschaft etwas zurückgeben, und darum helfe ich jetzt in dem Kindergarten und mache da das Management“ – und zwar ehrenamtlich. Wir haben aber auch viele Projekte, zum Beispiel das Projekt „Lernen durch Engagement“. Wir haben inzwischen die Schulen aufgefordert, dass die Schüler im Zeugnis einen Vermerk kriegen, wenn sie ein Ehrenamt ausüben. Ich persönlich glaube, das muss eine Bringschuld der Schule werden, nicht nur eine Bringschuld der Schüler. Ich denke, die ehrenamtliche Tätigkeit sollte in den Zeugnissen ganz klar einen festen Platz haben, auch als Anreiz, weil ganz viele Schüler machen ein Ehrenamt.

Welchen Titel würden Sie einem Buch über Sie geben?

Es gibt jetzt ein Buch über die Freien Wähler, und da hat der Armin Grein, der Gründer mehr oder minder der Freien Wähler, mir ein Kapitel gewidmet. Ich weiß jetzt nicht mehr, wie ich darin dastehe. Ich bin die einzige Frau, die erwähnt wird. Da bin ich auch stolz drauf zum Beispiel. Dieses Buch ist auch ein Höhepunkt. In dem erwähnt er meine Arbeit, und das tut einem ab einem bestimmten Alter dann auch ganz gut, weil als Lehrer und als Politiker kriegst du auch oft nicht so viel Lob, wie du manchmal meinst, dass du haben                        solltest, und das freut mich auch. Ein Buch über mich sollte einfach heißen „Eva Gottstein“.

Sie kandidieren ja jetzt nicht mehr, was haben Sie in Zukunft vor?

Das, wenn ich wüsste (lacht). Ich hab ja noch ein paar Ehrenämter, aber ich bin noch auf der Suche, dass ich vielleicht meine Expertise als Bildungspolitikerin oder als Ehrenamtsexpertin vielleicht noch wo einbringen kann – in einer Jury, in einem Gremium oder so. Ansonsten habe ich natürlich in der Freizeit doch oft zurückstecken müssen. Ich möchte einfach noch eben in Weimar zum Beispiel in das Schiller- und in das Goethehaus gehen. Ich mag einfach noch nachholen: Geschichte, Literatur, in Deutschland da noch ein bisschen auf Spurensuche gehen. Ich war neulich zum Beispiel, auch auf dem Weg an die Ostsee in dem Schloss Moritzburg, wo der Film „Aschenbrödel“ gedreht wurde, wo der Schuh als Bronzeschuh auf der Treppe ist. Das waren ja die Sachsenkönige, und ich hab das dann zum Anlass genommen, auch nochmal die Geschichte dahinter zu erfahren. Die haben ja einen Museumsshop mit entsprechenden Büchern und auch natürlich dieses Geschichtswissen. Ich denke, ich habe da sehr wenig Geschichtswissen von der Schule mitbekommen, und das will ich jetzt noch ein bisschen erfahren durch die Orte, die wir ja überall in Deutschland haben.

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