Eichstätt. – Es ist eine gefährliche Zeit für Rehkitze. Während allenthalben über den Wolf und die Auswirkungen auf Viehhaltung, aber auch das Ökosystem diskutiert wird, ist die Gefahr für die jungen Rehe gerade eine ganz andere: die Mähwerke der Bauern. Rund 100.000 junge Rehe werden nach Schätzungen wie jedes Jahr Opfer der scharfen Klingen der Mähwerke – viele davon auch im Landkreis Eichstätt. Es sind grausame Szenen, die niemand sehen will – und sie sind vermeidbar. In der Region hat sich in den letzten Jahren durch den Einsatz von Drohnen mit Wärmebildkameras viel getan, wie verschiedene Akteure berichten. Aber es gibt noch viel Verbesserungspotenzial. Dennoch: Beinahe jeden Tag werden mehrere Rehkitze vor dem fast sicheren Tod gerettet – in diesem Jahr wohl bis Mitte Juni.
Von Stephan Zengerle
Es sind Bilder, die man auch als abgehärteter Landwirt nicht so leicht vergisst: Er könne sich noch gut erinnern, als er selbst vor Jahren noch auf dem heimischen Hof nördlich von Eichstätt in der Ausbildung gewesen sei, erzählt Hans Scharl. Damals seien noch keine Drohnen im Einsatz gewesen, sondern man habe die Felder noch zu Fuß begehen müssen. „Wir haben uns gefreut, als wir dabei ein Kitz gefunden und es gerettet haben“, erzählt der Kreisobmann des Bayernverbandes im Landkreis Eichstätt weiter. „Dann aber mussten wir feststellen, dass in demselben Feld noch ein anderes tot und zusammengemäht war.“ Das wolle niemand. „Das ist ein ganz schwieriges Thema. Kein Landwirt ist da glücklich darüber – ganz im Gegenteil: Es ist eher ein Alptraum.“
Vereinzelt „schwarze Schafe“ und hohe Strafen
Und zwar einer, der sich auch im Landkreis Eichstätt jedes Jahr wieder abspielt, aber eigentlich vermieden werden könnte und der auch gesetzlich geregelt ist: Die Landwirte stehen juristisch ganz klar in der Verantwortung, die unfreiwilligen Tötungen oder massiven Verstümmelungen der Jungtiere zu vermeiden. Aber hier gebe es trotz vieler positiver Entwicklungen durchaus auch vereinzelt „schwarze Schafe“ unter den Landwirten, die mehr tun könnten und eigentlich nach den Vorschriften auch müssten, so Scharl: Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig nicht darum gekümmert hat, seine Felder nach den Kitzen abzusuchen, muss bei einer Strafanzeige auch rechtliche Konsequenzen fürchten: Regelmäßig werden Landwirte von Amtsgerichten verurteilt – und zwar mit durchaus schmerzhaften Konsequenzen: Es gebe bereits häufig Urteile mit Strafen im vierstelligen Bereich, oft zwischen von 5.000 bis 10.000 Euro, berichtet Franz Loderer, Vorsitzender des Jagdschutz- und Jägervereins Eichstätt, der sich ebenfalls stark in dem Thema engagiert.
Trotzdem kümmern sich in seltenen Fällen einzelne Bauern offenbar nicht oder zumindest noch zu wenig um das Thema – auch in der Region. Unter der Hand erzählt ein hiesiger Landwirt von einem aktuellen Fall, in dem ein Berufskollege erst vor wenigen Tagen ein Rehkitz „zusammengemäht“ und sich erst einen Tag später darum gekümmert habe. Erst dann habe er das Jungtier entdeckt und von seinem Leid erlöst, so die Aussage. Abgesehen von solchen Einzelfällen, die sicher nicht repräsentativ sind, ist das Risiko für solche ungewollten Tötungen durchaus erheblich: Rund eine Million Rehe werde nach Schätzungen des Deutschen Jagdverbandes jedes Jahr im Frühjahr geboren. Je nach Schätzungen würden 80.000 bis 100.000 davon „ausgemäht“ oder „ver-“ oder „zusammengemäht“, wie das dann so heißt. Rechnet man andere Tiere wie junge Hasen, Rebhühner oder Wiesenbrüter hinzu, steigt diese Zahl nach anderen Schätzungen bereits auf rund 400.000.
Im an Wald und Wiesen reichen Flächenlandkreis Eichstätt ist das nicht anders. Genaue Zahlen zum Bestand und zu den Opferzahlen gibt es natürlich auch hier nicht. Und auch die Zahl der geretteten Rehkitze wird nicht so genau erfasst – und selbst wenn, würde man sie nicht so gerne bekannt gegeben, weil es dabei auch immer um eine komplexe Gemengelage aus Landwirten, Jägern, Waldbesitzern, Behörden, Abschussquoten und anderem mehr geht. Stattdessen freut man sich, dass sich eben schon vieles deutlich zum Positiven entwickelt habe in den letzten Jahren. Vieles funktioniere inzwischen sehr gut, die Zusammenarbeit zwischen Landwirten und Jägern habe sich hier deutlich verbessert, bescheinigt nicht nur Scharl, sondern auch Franz Loderer als Vertreter der Jäger, die naturgemäß sehr an dem Thema interessiert sind. Die Zusammenarbeit zwischen Jägern und Landwirten sei inzwischen sehr eng und die Technik biete immer bessere Möglichkeiten.
Bis zu 23 Rehkitze an einem Tag gerettet
Als wir im Eichstätter Journal vor rund fünf Jahren bereits über das Thema berichtet haben und unter anderem zu Besuch bei der Firma „geo-konzept“ in Adelschlag waren, waren die modernen Drohnensysteme mit Wärmebildkameras und Farbdarstellung, die damals gemeinsam mit dem damaligen Präsidenten des Bayerischen Jagdverbandes Jürgen Vocke vorgestellt wurden, noch relativ neu und im Landkreis nur punktuell im Einsatz. Inzwischen hat sich das zu einem guten Teil geändert.
Es sind viele kleine und größere Netzwerke entstanden. Man arbeitet zusammen. Landwirte tauschen sich in Whatsapp-Gruppen mit den zuständigen Jägern aus, planen die Mäheinsätze – und die vorherigen Drohnenflüge. Das klappe an vielen Stellen sehr gut, erzählt Loderer. Inzwischen seien zu Hochzeiten bereits täglich vier verschiedene Drohnen im Einsatz – verschiedene Drohnenteams sind dafür in unterschiedlichen Teilen des Landkreises unterwegs. „Wir bringen den Tierschutz in die Wiese“, freut sich Loderer, der dafür auch selbst viel Zeit investiert. Er und viele andere Freiwillige stehen dafür regelmäßig früh morgens auf und fliegen in Absprache mit den Bauern deren Felder ab – so wie auch Albert Dirsch, der vor seiner eigentlichen Arbeit als Arzt regelmäßig morgens ab 5 Uhr auf den Beinen ist und seine Drohne über die Felder steuert – regelmäßig mit Erfolg.
Insgesamt rund zehn verschiedene Drohnenpiloten mit entsprechendem Drohnenführerschein seien regelmäßig im Landkreis im Einsatz. Der Jägerverband hat dafür einen eigenen Drohnenkurs angeboten – mit entsprechendem Erfolg: Bis zu 23 Rehkitze an einem Tag habe man so schon gerettet, erklärt Loderer. Auch wenn nicht jeder Tag gleich verläuft – oft sind is es eine zweistellige Zahl an Tieren pro Tag. Wer das auf mehrere Woche hochrechnet, kommt schnell auf beachtliche Zahlen.
„Da wäre noch Luft nach oben“
Und es könnte wohl noch mehr sein, wie Michael Muhr glaubt. Er ist selbst Landwirt, Jäger sowie Drohnenpilot und kennt sich als Verwandter der Macher bei „geo-konzept“ auch bestens mit der Drohnentechnik aus. Erst zwischen einem Viertel und einem Drittel der Wiesen im Landkreis werde beflogen, schätzen er und Franz Loderer. Mit den bestehenden Drohnen könne man bereits etwa rund 120 bis 130 Hektar abfliegen. „Da wäre also noch Luft nach oben“, so sein Fazit. „Wir fliegen zu wenig, für das, was gemäht wird.“ Er wünsche sich etwa 75 Prozent der relevanten Flächen, sagt er. Es gebe auch Areale, wo man recht genau wisse, dass dort keine Kitze gesetzt würden. Aber auch hier ändere sich bisweilen durch viele Spaziergänger im Wald das Verhalten der Rehe, die sich immer wieder auch zuvor ungewöhnliche Plätze aussuchten, sagen Jäger.
Tipp
Landwirte, die Kontakt zu den Drohnenpiloten wollen, können sich direkt an Franz Loderer wenden: +49 8458 4282. Infos gibt es im Internet unter www.jaeger-ei.de/
Inzwischen seien auch Landwirte aus fast allen Gemeinden mit dabei. Es gebe aber auch noch Ausnahmen, sagt Muhr. Natürlich könne man die Felder auch nach wie vor zu Fuß begehen, aber das sei viel zu unsicher, aufwändig und auch juristisch inzwischen fragwürdig. Dabei sei das Ganze inzwischen auch noch quasi ehrenamtlich organisiert – sprich: Es ist für die Bauern kostenfrei, bis auf Spenden oder eine Aufwandsentschädigung, versichert Loderer. Die Drohnen gibt es ab etwa 7.000 Euro, ihre Anschaffung durch eingetragene Jagdschutzvereine wird vom Bundeslandwirtschaftsministerium in diesem Jahr mit zwei Millionen Euro gefördert. Man müsse einfach nur dem Jäger oder Jagdschutzverein Bescheid geben und dann werde gemeinsam ein Termin gefunden. Dabei gab es auch schon so manchen Kraftakt: Man habe auch schon einmal alle 14 Felder eines Bauern an einem Tag beflogen und dann gemäht. In den letzten Wochen sei es ohnehin schon auch einmal zu einem kleinen Terminstau gekommen, sagt Scharl. Denn die regnerische Zeit Anfang Mai hat auch die „Mahd“ verschoben: Nach Christi Himmelfahrt mähten plötzlich viele Landwirte ihre Wiesen.
Aber das System sei ausbaufähig, und wenn alle rechtzeitig, also mindestens ein, zwei Tage vorher Bescheid gäben, finde man auch immer Lösungen, sagen er und Franz Loderer. Die Abstimmung funktioniere immer besser. Im Gemeindebereich Titting etwa gebe es eine Initiative, alle Wiesen zu erfassen und eine Übersicht zu erstellen, welche für die Silage früh und damit zur für die Rehe gefährlichen Zeit und welche später zum Heumachen gemäht würden, um planen zu können und sich gemeinsam abzustimmen.
Durch eine solche Koordination lasse sich der Ernstfall vermeiden, sagt Loderer, und auch Scharl wünscht sich, dass die Landwirte hier noch mehr tun. Als Bauernverband habe man mit den Jägern auch zur Finanzierung der Drohnen eine Kooperation und informiere die Mitglieder regelmäßig. Viele seiner Berufskollege aber nähmen das Thema ernst und täten ihr Bestes, damit es eben nicht zu unfreiwilligen Tötungen komme. Die Rehgeißen suchen in solchen Fällen oft lange verzweifelt nach ihrem Nachwuchs, der dann längst entsorgt ist. Und auch für das Tierfutter droht dabei Gefahr. „Vermähte“ Kitze würden zwar meist entdeckt, weiß Scharl. Aber gelangen sie ins Futter, können sie bei Kühen etwa den tödlich verlaufenden Botulismus, eine Vergiftung durch Bakterientoxine, hervorrufen. Wenn sie vorher erkannt und aus den Wiesen getragen werden, kann das nicht passieren.
Neun Hektar in eineinhalb Stunden und der „Drück-Instinkt“
„Mit der Drohne bin ich erst gestern morgen in eineinhalb Stunden acht bis neun Hektar abgeflogen“, erzählt Michael Muhr Ende Mai – in 50 Metern Höhe, sodass die Kamera jeweils in etwa 30 Meter breite Streifen abfliegen könne. Der Pilot steuere die Drohne, der Landwirt stehe am Feld und könne bei einem Fund an Ort und Stelle gelotst werden. Denn speziell in diesem Jahr sei es selbst aus kürzester Entfernung sehr schwierig, die Kitze oder andere Tiere zu finden, wie Muhr aus eigener Erfahrung weiß. Manchmal stehe man direkt davor und finde das Tier nicht – wenn da nicht die Anweisungen des Drohnenpiloten mit der Wärmebildkamera wären. Außerdem habe man auch in den letzten Tagen noch trächtige Tiere gesehen, sodass er davon ausgehe, dass die Rettung in diesem Jahr noch bis Mitte Juni ein Thema bleibe.
Das Problem ist das natürliche Verhalten der Tiere. Als Schutz vor Fuchs, Greifvögeln und anderen natürlichen Feinden hilft der „Drück-Instinkt“. Die Jungtiere fliehen in den ersten Lebenswochen auch bei großer Gefahr nicht, sondern drücken sich bis zum Schluss in ihr Versteck – auf der Flucht hätten sie in dieser Zeit gegen ihre natürlichen Feinde ohnehin keine Chance. Und weil das Gras im regenreichen Frühjahr auch noch sehr üppig gewachsen ist, entdeckt man die Kitze und andere, zum Teil seltene Tiere wie Rebhühner oder Wiesenbrüter eben auch beim sorgfältigen Begehen der Felder oft nicht – selbst Hunde finden Rehkitze kaum, weil sie praktisch keinen Eigengeruch haben. Und so helfen eben meist nur Drohnen mit Wärmebildkameras – und das an warmen Tagen auch nur am frühen Morgen, solange sich der Boden noch nicht aufgeheizt hat und die Temperaturdifferenz auf dem Bildschirm noch sichtbar ist – „dann aber mit fast 100-prozentiger Erfolgsquote“, sagt Loderer.
Nur kucken, nicht anfassen!
Wenn ein Kitz gefunden ist, darf es auch nur mit Handschuhen und einem Büschel Gras angefasst werden, damit es den menschlichen nicht Geruch annimmt. Denn sonst werden die Jungtiere von den Geißen nicht mehr angenommen. Deshalb warnt Hans Scharl auch so manchen unwissenden Spaziergänger vor falschen Schlüssen: Wenn man am Wegesrand eine Art Katzenkorb mit Rehkitzen darin entdecke, dann sei das zum Schutz der jungen Tiere. Denn die seien aus dem Feld geholt worden, um sie vor der „Mahd“ zu schützen. Wenn man sie freilasse, drohe die Gefahr, dass sie wieder zurück ins Feld liefen und doch Opfer der Mähwerkzeuge würden – auch das sei schon vorgekommen. Nach der Mahd würden die vor den Klingen geretteten Tiere natürlich sofort freigelassen.
Für Landwirt Dominik Rudingsdorfer aus Kesselberg ist die Drohne eine große Erleichterung: Er nimmt Tierschutz und Gesetz ernst. Letztes Jahr sei die Leihdrohne einmal kurzfristig nicht verfügbar gewesen, und so musste er zwei Stunden lang gründlich das Feld absuchen und entdeckte auf den vier Hektar nicht weniger als sechs Rehkitze. Hätte er sich nicht die Mühe gemacht, wäre er mitschuldig am Tod der kleinen Tiere mit ihren Stupsnasen und großen Augen gewesen. Vor Kurzem ist er dasselbe Feld mit der Drohne abgeflogen, war sich sicherer und in gut einer halben Stunde fertig. Damit hat er nicht nur Zeit gespart und ist seiner rechtlichen Pflicht nachgekommen – er hatte auch ein gutes Gefühl dabei. Denn wer wie Hans Scharl und so viele andere Landwirte schon ein „vermähtes“ Rehkitz gesehen hat, das vielleicht noch lebt und leidet, der bekommt zwar nicht automatisch Alpträume – aber dieses Bild auch meist nicht mehr so leicht aus dem Kopf.