Eichstätt. – Es war ein feinsinniger, ein musikalisch ganz spezifischer und dann doch auch wieder vielseitiger Auftakt des Musikfestes Eichstätt – mit besonderen Instrumenten und einem besonderen Ensemble: „Lautenliebe“ war der Titel des Eröffnungskonzerts jenes ebenso besonderen Festivals für Alte Musik, das in diesem Jahr zum zehnten Mal stattfindet. Mit dabei: vier verschiedene Varianten und Größen jenes selten gewordenen Instruments, das gemeinsam ein „Consort“ bildet: ein Ensemble aus Instrumenten gleicher Bauart, das mehrstimmige Musik im Übergang zwischen Rennaissance und Barock – gestern charmant präsentiert und gespielt vom „Casulana Lute Consort“ und inspirierend anregend auch für Nicht-Kenner wie Vincent Hiemer.
Eigentlich spielt Hiemer eher Musik der härteren Sorte. Der junge Mann ist E-Gitarrist bei der Eichstätter Band Molutov und demnächst auf der Bühne beim Eichstätter Open Air am Berg zu Gast. Aber gestern Abend ist er in den Holzersaal gekommen, um in eine ganz andere musikalische Welt abzutauchen: Musik, die er sich privat so eher nicht anhören würde: Consort-Musik mit ihren eleganten Klängen, schwungvollen Tänzen wie dem „Padoana della Rocca el Fuso“ von Giovanni Pacoloni, den das „Casulana Lute Consort“ zu Beginn anspielt – und irgendwie scheint es sich sofort in den Holzersaal einzufügen. Vincent Hiemer blickt wie einige andere Besucher hinauf zum Deckengemälde mit dem Titel „Der Frühling“ von Johann Evangelist Holzer.
Komplexe „Griffschrift“
Wer sich die komplexe „Tabulatur“, die „Griffschrift“ (Foto rechts) genau anschaut, mit der für die Lautenspielerinnen Griffe statt Noten verzeichnet sind, versteht schnell, wie komplex jene Welt der mehrstimmigen und verwobenen Lauten-Consort-Musik auch sein kann. Oder wie schnörkellos und einfach emotional – besonders, wenn Emma-Lisa Roux nicht „nur“ die Alt-Laute spielt, sondern auch noch mit klarer Stimme dazu singt: zum Beispiel über „Ung triste coeur“, ein trauriges, oder besser ein sehr trauriges Herz. Dann sind da auch wieder die anderen Momente mit mehr Tempo und der Lebensfreude des italienischen Barock, übertragen in jene Welt des Consort, die sich vorwiegend in Frankreich und Flandern abspielte und auch Laien wie Vincent Hiemer und die anderen Zuhörer mitnimmt in eine höfische Welt der Tänze und Volten, des Leides und Krieges, aber auch des Umbruchs und der üppigen Lebensfreude.
Darum gehe es auch beim Musikfest, wie Joachim Kraus, Vorsitzender des ausrichtenden Vereins Alte Musik, in seiner Ansprache zur Eröffnung sagte: Endlich wieder gemeinsam Musik genießen. Menschen wie Musikinstrumente hätten raumfordernde Körper und seien durch reine Technik „nicht ausreichend substituierbar“, wie es der deutsche Schriftsteller und Philosoph Rainald Götz auch über Videokonferenzen in der Coronazeit gesagt habe. Und so sei man heute wie damals die Menschen im 17. Jahrhundert nach der Pest froh darüber, eine Pandemie überwunden zu haben und sich wieder ungezwungen zu treffen und – so auch der Titel des Abschlusskonzerts des „Musikfestes Eichstätt“ morgen Abend (19 Uhr) in der Rebdorfer Klosterkirche – ein „Festa della Salute“ zu feiern: ein Fest der Gesundheit und damit auch der Freude am Miteinander. Raum, Instrument, die positive Energie der Musiker und Publikum beeinflussten sich gegenseitig und machten ein anderes Musikerlebnis möglich, als durch reine, pure Technik.
„Magie des Ortes“
In der Tat ist der „Genius Loci“, die Magie des Ortes, auch Teil der Musik – und so waren draußen im Eichstätter Hofgarten gestern Abend zwar zunächst noch regenschwere Wolken zu sehen, aber eben auch das volle, helle Grün der Natur, das durch die Fenster im barocken Holzersaal der Sommerresidenz zu spüren war. Ebenso auch die sympathische Ausstrahlung der vier jungen Powerfrauen auf der Bühne, die mit ihrer zurückhaltenden Präsenz das Publikum im mit rund 120 Besuchern voll besetzten Prunksaal eroberten – darunter auch Vincent Hiemer. Aber auch eine Gruppe von Gästen die in der passenden Kleidung aus jenen Jahren des Übergangs zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert erschienen waren – jener Zeit, aus der auch die eng umrissene Welt der Consort-Musik stammt, wie Musikerin Cornelia Demmer in ihrer charmanten Moderation erklärte – und dabei auch die Instrumente vorstellte.
Live-Übertragung auf BR-Klassik
Am Sonntag überträgt BR-Klassik live ab 12:05 Uhr musikalische Zuckerl, dargeboten von Musikern, die an diesem Wochenende in Eichstätt auftreten. Ab 19:05 Uhr folgt dann das Abschlusskonzert „Festa della Salute“.
In wechselnden Konstellationen und Kombinationen aus Diskant-, Alt- Tenor- oder Basslaute zeigten Demmer, Roux, Alice Letort und Talítha-Cumi Witmer einem interessierten und am Ende begeisterten Publikum die Vielseitigkeit der Laute und eine spannende Mischung zwischen strenger Renaissancemusik und schwungvollem Barock – vom rhythmisch-stürmischen „Passamezzo della Battaglia“ oder fröhlich-schwungvollen „Ballet“ aus der in Fachkreisen berühmten Wolfenbütteler Tanzsammlung von Michael Praetorius bis hin zu Nicolas Vallets „Air du cour“: höfische Lieder in Gedichtform wie „Et-ce Mars“, das das Casulana Lute Consort nach dem anhaltenden Applaus im Holzersaal am Ende noch einmal als Zugabe spielte – sehr zur Freude von Joachim Kraus und der Künstlerischen Leiterin Heidi Gröger, die sich über den gelungenen Auftakt freuten.
„Alte Musik neu entdecken“
„Et-ce Mars“ handelt von großen Gefühlen und einer mythischen Welt des Kriegsgottes Mars und der Königin des Himmels, in die das Eröffnungskonzert das Publikum im Holzersaal mit viel Fantasie entführt hat. Auch darum geht es beim Musikfest Eichstätt – neben alten Instrumenten und für die breite Öffentlichkeit fast vergessener Musik nämlich darum, sich auf etwas einzulassen, was die Menschen einst bewegte – was für sie gerade „in“, was für sie so etwas wie „Pop“ und der letzte Schrei bei Hofe war – in diesem Fall gespielt auf Lauten. Schließlich heißt das Motto des Musikfests Eichstätt mit seinen zahlreichen Konzerten an besonderen Orten an diesem Wochenende auch „Alte Musik neu entdecken“.
Und so lässt sich auch Vincent Hiemer darauf ein, jene ganz besondere Welt zu erleben, die man unter dem Begriff Consort-Musik versteht – aus einer Zeit des Umbruchs, wie wir sie auch heute wieder erleben. Der junge Mann wird mit seiner lockigen Frisur, die beinahe ein wenig an Star-Gitarrist Slash von Guns N‘ Roses erinnert, weiter E-Gitarre statt Laute spielen. Aber die Partitur im Programmheft erinnert ihn an sein Abitur, und auch sonst muss er an Bach-Kompositonen und manches mehr denken, das er als interessierter Musiker gelernt hat. Die Musik ist ein Kind ihrer Zeit, aber auch eine zeitlose Sprache – Vincent Hiemer hat sich gestern auf eine Reise in jene andere Welt eingelassen und es überhaupt nicht bereut, wie er sagt: „im Gegenteil“.