Kennen Sie Oulu? Nein? Dann werden Sie auch noch nicht in Raahe gewesen sein. Und das ist eigentlich schade, denn diese Ecke des glücklichsten Landes der Welt sollte man erlebt haben. Oh, jetzt habe ich die Spannung beim Rätselraten herausgenommen, wo beide Orte zu finden sein könnten. Schließlich ist Finnland schon Seriensieger, wenn es um den Titel des glücklichsten Landes des Erde geht. Tatsächlich liegen die beiden Orte in Finnland, genauer gesagt in Nordfinnland, am Bottnischen Meerbusen. Oulu ist die fünfgrößte Stadt Finnlands und die größte in Nordfinnland. Die knapp 3.000 Kilometer von hier bis zu unserem Ziel sollten Sie nicht abschrecken. Ich schreibe ich schon „unser Ziel“, denn ich würde Sie gern mit auf die Reise nehmen, wenn Sie wollen. Denn die lohnt sich. Schon deshalb, weil Studien eben regelmäßig belegen, dass hier die Menschen am glücklichsten sind.
Von Alona Bartenschlager
Man könnte natürlich fliegen, aber dann verpasst man eine Menge. Mit dem Zug soll es etwas nervig sein, und ob das mit den Anschlüssen klappt? Bleiben noch die eigenen vier Räder. Mit dem Auto muss man sich von Hotel zu Hotel hangeln. Warum nicht? Wir aber besteigen das Wohnmobil. Die nördlichen Länder, und das gilt nicht zuletzt für Finnland, sind dafür geradezu prädestiniert. Es gibt natürlich schöne Campingplätze, aber im Prinzip darf man sich fast überall hinstellen. Wir haben Leute getroffen, die uns versicherten, dass sie seit Jahrzehnten nur die nördlichen Länder bereisen, weil die viel schöner und erholsamer seien, als beispielsweise Länder im Süden – vielleicht ist also was dran an dem Glücklich-Sein hier im Norden.
Die Entfernung hört sich schlimmer an, als sie am Ende ist. Und wir werden abkürzen: Ein großes Stück legen wir mit der Fähre zurück. Gebucht haben wir bei Finnlines. Deren Schiffe bedienen die Strecke Travemünde – Helsinki. Die billigste Variante ist die Innenkabine. Aber die Außenkabine kostet nur einen geringen Aufpreis, und man hat vom Bett aus einen schönen Blick aufs Meer. Vierbeinige Freunde sind auch erlaubt. Für die Hunde gibt es sogar ein eigenes Deck. Wer schon früh vom Altmühltal wegfährt, kommt bequem am Abend nach Travemünde und kann noch den netten Ort und den Strand genießen, denn die Fähre legt erst nach Mitternacht ab. Die angegebene Zeit zum Einchecken sollte man allerdings einhalten. Kleiner Tipp am Rande: Einen Tag früher fahren – der berühmte Timmendorfer Strand ist so weit nicht weg.
Die Formalitäten wie auch die Einweisung des Wohnmobils auf der Fähre sind schnell erledigt; alles ist durchorganisiert. Die Überfahrt dauert rund 31 Stunden und die kann man in vollen Zügen genießen, denn die Schiffe bieten allerhand Luxus und Entspannungsmöglichkeiten: Live-Musik, Fitness-Studio, Bars und natürlich Restaurants. Der Alltagsstress fällt bereits hier ein wenig ab. Das Ausschiffen geschieht wie das Einchecken: schnell und problemlos.
Helsinki sollte man nicht sofort verlassen, sondern ein wenig erkunden. Dom und Uspenski-Kathedrale sind beliebte Touristenziele, ebenso das Nationaltheater oder das Reichstagsgebäude. Man stößt auch auf verborgene Schätze, wie das Denkmal für den Komponisten Jean Sibelius, das aus mehr als 600 musizierenden Röhren besteht. Den Klang erzeugen die Besucher. Sie müssen dafür nichts tun, sondern einfach herumgehen. Obwohl eine europäische Metropole, geht es in Helsinki recht entspannt zu.
Entschleunigung on Tour – Achtung: Blitzer!
Der Eindruck verstärkt sich, wenn wir die Hauptstadt Richtung Norden verlassen und die E63 Richtung Lahti nehmen. Je weiter wir Helsinki im Rücken haben, desto weniger Verkehr herrscht auf der Straße. Es gibt ganze Viertelstunden, in denen uns kein Fahrzeug begegnet. Wälder säumen die Straße. Autobahnen nach deutschem Verständnis gibt es kaum in Finnland, nur im Umkreis von Städten sind sie zu finden. Die Geschwindigkeit liegt bei maximal 100 Kilometern pro Stunde auf den Fernverbindungsstraßen, sehr selten auf Autobahnen bei 120, sonst sind es 80 und in Ortschaften 50 Kilometer pro Stunde. Daran sollten wir uns auch halten, denn in regelmäßigen, erschreckend kurzen Abständen, sind Blitzgeräte fest installiert. Die Straßenführung ist in der Regel gerade und der Tempomat lohnt sich.
Hin und wieder sollten wir anhalten, nicht nur wegen der wichtigen Fahrerpause, sondern vor allem, weil sich ein Postkartenmotiv an das andere reiht. Meist handelt es sich um ein idyllisch gelegenes Gewässer. Finnland trägt schließlich den Beinamen „Land der 1.000 Seen“. Das stimmt aber natürlich nicht. In Wirklichkeit sollen es so um die 188.000 Seen sein. Wer das wohl gezählt hat?
Von Zeit zu Zeit zweigt links oder rechts ein Weg oder eine kleine Straße ab und führt zu einem Gehöft oder einer kleinen Siedlung. Eine Bushaltestelle darf an dieser Stelle nicht fehlen: Jeder soll die Gelegenheit haben, ein öffentliches Transportmittel zu nutzen. Langsam, sehr langsam bricht die Dämmerung herein. Jetzt im September ist es am Abendhimmel nach deutschem Empfinden noch sehr lange hell, je länger wir nach Norden fahren, desto länger. Wir passieren Joutsa, Jyvsäskylä, Pihtipudas, biegen in die Route 88 ein und erreichen schließlich Raahe. Dort warten schon Freunde, Irina und Martti Saario, die uns herzlich aufnehmen und bewirten.
Moltebeeren und Schüsse
An einem der nächsten Tage gehen wir in den Wald. Unter den Kiefern, Fichten und Birken finden sich ausgedehnte Flächen mit Beerensträuchern, und deshalb sind wir hier im Wald. In Finnland sind Beeren und Pilze Allgemeingut und jeder darf sammeln, soviel er will. Mengenbegrenzungen gibt es nicht. Manche verdienen sich ein nettes Zubrot und liefern die Waldbeeren eimerweise bei Verarbeitungsfirmen an. Die zahlen gut. Besonders begehrt sind die gelben Moltebeeren, auf Finnisch „Lakka“. Wir aber verwenden die gesammelte „Beute“ nur für den Hausgebrauch. In der Nähe krachen Schüsse. Es gibt hier eine Schießanlage, an der oft Jäger an ihren Waffen üben. Der Umgang damit ist sehr umsichtig, ohne dass jemand eigens darauf hinweisen muss.
Und dann ertönt Motorengebrumm – ein Sportflugplatz. Martti ist der Vorsitzende und natürlich lädt er zu einem Besuch ein. Auch sein Stellvertreter, Erkki Pulkkinen, ist zugegen. Das gesamte – geschlossene – Areal ist etwa vier Quadratkilometer groß. „Aber hier ist immer offen, irgendeiner ist immer da“, lächelt Martti. 180 Mitglieder gibt es, 20 davon sind besonders aktiv. Der Verein verfügt über zwei Cessna-Maschinen, drei Segelflugzeuge sowie ein Ultralight-Flugzeug. Die Reichweite beträgt um die 900 Kilometer. „Hängt natürlich vom Wind ab“, ergänzt Erkki. Er besitzt selbst eine Piper, mit der er nonstop nach Hamburg fliegen kann, wo er hin und wieder geschäftlich zu tun hat. Sie ist bis 350 Kilometer pro Stunde schnell. Cessnas kommen auf etwa 200 Kilometer pro Stunde. Der Luftraum unter 1700 Fuß über Grund ist meistens frei. In Gefilden darüber braucht es eine Flugplanung mit Anmeldung, erzählen Martti und Erkki. Sorgfältige Arbeit und Vorbereitung gehören grundsätzlich dazu.
Sauna auf dem Flugplatz
Jeder Pilot und jeder Flugzeugbesitzer sei willkommen, betonen die beiden. Es ließen sich auch Rundflüge buchen. Und wer das tatsächlich ausprobieren will, wendet sich an Erkki per Mail: ERKKI.PULKKINEN@raahenilmailijat.fi. Die Mitglieder treffen sich regelmäßig, nicht nur zum Fliegen, sondern auch zum Saunieren. Denn ein ordentlicher finnischer Flugplatz verfügt selbstverständlich über eine eigene Sauna. Gäste werden zum Schwitzen eingeladen.
Nebenbei: Nicht nur als Deutscher werden Sie mit dem Finnischen erhebliche Probleme bekommen – schließlich gehört Finisch zu den sogenannten finnougrischen Sprachen, die wie Ungarisch, das ebenfalls dazugehört, auch, für den normalen Mitteleuropäer eher nach „Zungenbrecher“ klingen: Man versteht kein Wort. Das macht aber nichts, denn die meisten Finnen sprechen Englisch. Viel zu schnell geht die Zeit vorbei, aber etwas muss ich Ihnen noch zeigen, etwas, was Sie nur hier zu sehen bekommen, den „Alten Herren“.
Dabei handelt es sich um den ältesten bekannten Taucheranzug der Welt. Er wurde wohl um 1720/30 konstruiert und besteht aus Leder und Holz. Etwas unheimlich sieht er aus, fast wie ein Alien. Aber er hat seinen Zweck erfüllt. Ein Nachbau, der „Junge Herr“, hat ergeben, dass ein Mensch bis zu 40 Minuten unter Wasser bleiben konnte. Heute dient der „Alte Herr“ auch zur Reklamezwecken. Sein Bild schmückt verschiedenste Erzeugnisse, darunter Dosen mit Bonbons aus Baumharz.
Über Schweden und Dänemark wieder heim
Erstes größeres Ziel auf dem Rückweg ist Turku. Von dort nehmen wir die Viking-Fähre nach Stockholm. Die Reise verläuft über die Schären, zahllose kleine Inseln, manche grün mit Häusern, andere bestehen aus bloßem Fels, ohne jeden Bewuchs. Man kann sich gar nicht sattsehen.
Stockholm ist eine tolle Stadt mit vielen Sehenswürdigkeiten und architektonischen Perlen, die wir nicht links liegen lassen. Leider gibt es eine nicht zu leugnende Kriminalität, weshalb empfohlen wird, tunlichst einen Wohnmobilstellplatz oder Campingplatz, aufzusuchen. Unserer liegt im Schatten einer Autobahnbrücke, in der Einflugschneise eines Flugplatzes und direkt neben einem Fußballplatz. Was soll ich Ihnen sagen? Besser habe ich selten geschlafen – und die Stadt ist mehr als nur einen Abstecher wert, sondern eine eigene Reise.
Weiter geht es nach Malmö und über die Öresundbrücke nach Kopenhagen. Wir durchqueren Dänemark bis Rodbyhavn und besteigen dort ein letztes Mal eine Fähre, die uns nach Fehmarn bringt. Diesmal dauert die Überfahrt kaum eine Stunde. Deutschland hat uns wieder – und Finnland hat uns nicht zum letzten Mal gesehen. Ob man danach nun anschließend zufriedener ist oder nicht – die Reise ins glücklichste Land der Welt hat sich gelohnt und war auch und gerade angesichts der vielen Kilometer im Wohnmobil sehr entspannend.