Eichstätt. – Es waren beeindruckende Bilder und positive symbolische Gesten in Zeiten eines nicht ganz einfachen deutsch-französischen Verhältnisses: Als Deutschland und Frankreich am Wochenende unter anderem in einem Festakt an der Sorbonne-Universität 60 Jahre Élysée-Vertrag feierten, gab es auch in Eichstätt Ähnliches zu feiern: ein ganz eigenes deutsch-französisches Jubiläum an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU): den gemeinsamen Deutsch-Französischen Studiengang Politikwissenschaft. Auch der wäre ohne den Élysée-Vertrag kaum denkbar.
In historischen Dimensionen liegt die Zeit noch nicht lange zurück, in der ein Deutsch-Französischer Studiengang Politikwissenschaft, wie ihn die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) gemeinsam mit dem Institut d‘études politiques (IEP) in Rennes anbietet, undenkbar gewesen wäre. Stattdessen war das Verhältnis beider Staaten über lange Zeit vom Begriff der „Erbfeindschaft“ geprägt.
„Gewachsene, aber nicht selbstverständliche Freundschaft“
Gerade einmal 60 Jahre ist es her, dass mit dem Élysée-Vertrag die Grundlage für eine Aussöhnung zwischen den beiden Ländern und ihre Kooperation gelegt wurde. Doch nicht nur dieses Jubiläum wurde am Samstag bei einer „Soireé franco-allemande“ an der KU im Vorfeld des Deutsch-Französischen Tages gewürdigt, der jährlich an die Unterzeichnung dieses Abkommens erinnert. Auch der Deutsch-Französische Studiengang Politikwissenschaft (DFS) selbst feierte sein mittlerweile 20-jähriges Bestehen. Der Alumniverein des Studiengangs wiederum konnte auf den 15. Jahrestag seiner Gründung zurückblicken.
„Ohne den Vertrag von Élysée wäre ein solches Studienangebot nicht denkbar gewesen. Die Freundschaft zwischen den beiden Ländern ist gewachsen, aber das war nicht selbstverständlich“, erinnerte Corinne Pereira da Silva, französische Generalkonsulin in München, in ihrem Grußwort. Der Krieg in der Ukraine zeige eindrücklich, wie wichtig Einheit und Zusammenhalt seien. Als Leiter des DFS und Vizepräsident der KU für Internationales und Profilentwicklung betonte Prof. Dr. Klaus Stüwe, dass die Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich mit dem von Adenauer und de Gaulle unterzeichneten Vertrag zwar politisch verfasst worden sei, sie jedoch ohne persönlichen Austausch abstrakt geblieben wäre: „Wenn sich die Menschen beider Länder auf verschiedene Weise freundschaftlich begegnen, erreichen sie oft mehr als die große Politik.“
Städtefreundschaft und „Austausch aus der Mitte der Gesellschaft“
In diesem Sinne versteht sich auch die seit einigen Jahren bestehende Partnerschaft zwischen Eichstätt und der Stadt Montbrison. Deren Genese und Entwicklung ließ die Initiatorin Francoise Wimmer-Fraimont als Vorsitzende des Partnerschaftsvereins Revue passieren, der die Veranstaltung mit ausrichtete. Für Wimmer-Fraimont steht fest: „Der Élysée-Vertrag war nicht vergeblich!“ Eichstätts Oberbürgermeister würdigte den „Austausch aus der Mitte der Gesellschaft“ und dankte allen Beteiligten, die sich dafür engagieren. Er nahm Bezug auf das einst von de Gaulle vorgetragene Zitat des Schriftsteller Carl Zuckmayer zum Verhältnis von Deutschland und Frankreich: „War es gestern unsere Pflicht, Feinde zu sein, ist es heute unser Recht, Brüder zu werden.“
Vor diesem Hintergrund charakterisierte Stüwe die Absolventen des Studiengangs als „deutsch-französische Botschafterinnen und Botschafter“ – egal ob sie tatsächlich diplomatisch oder politisch tätig sind, in Kultur und Medien arbeiten oder in Management und Wirtschaft einen Beruf gefunden hätten. Sorgen über ihre berufliche Zukunft müssten sie sich jedenfalls nicht machen, wie der Werdegang der Absolventen zeige. Auch weil, wie Theresa Seitz als Vorsitzende des Alumnivereins betonte, der Studiengang „besonders engagierte junge Menschen“ zusammenbringe.
Sie begeistern sich für die interkulturelle Perspektive und ein Studium in zwei Hochschulsystemen. Jährlich erhalten je zehn Studierende aus Deutschland und Frankreich die Gelegenheit zum Start im DFS. Sie absolvieren dabei Teile ihres Studiums sowohl in ihrem Heimat- als auch im Partnerlandland. Die Absolventen erhalten daher sogar vierfach ein Zeugnis: einen Bachelor- beziehungsweise Masterabschluss der KU sowie parallel Diplom- und Masterabschluss des IEP Rennes. Integriert ist der Studiengang zudem in die Deutsch-Französische Hochschule.
Diese Konstellation birgt auch administrative Herausforderungen, durch die an der KU Studiengangskoordinatorin Dr. Christina Rüther gemeinsam mit ihrer französischen Kollegin Claudia Domjahn am IEP die Studierenden und Dozierenden lotst. Stüwe und die Studierenden dankten beiden für ihr großes Engagement, ebenso dem Gründer des Studiengangs, Prof. Dr. Klaus Schubert, der den Studiengang gemeinsam mit seiner französischen Kollegin Prof. Ulrike Huet initiiert hatte. Die stellvertretende Direktorin des IEP, Marta Iglesias Casal, ist „stolz und glücklich, die Studentinnen und Studenten in den vergangenen 20 Jahren begleitet zu haben“. Die Herausforderungen seien anfänglich groß gewesen, die Ziele jedoch übertroffen worden. Der Studiengang sei Grundlage für einen echten interkulturellen Austausch zwischen zwei Ländern und zwei akademischen Einrichtungen.
Wie es um die deutsch-französischen Beziehungen aktuell steht, diskutierten bei der Veranstaltung Generalkonsulin Pereira da Silva, der frühere Brigadegeneral und zweite Vorsitzender der „Freunde von Montbrison“, Ulrich Heider, der ehemalige Hochschulattaché und Ko-Produzent des Podcasts „FrankoViel“, Landry Charrier, und der KU-Absolvent Sébastian Vannier, Journalist der Zeitung „Ouest France“. Angesichts des deutsch-französischen Ministerrates, der einen Tag nach der Veranstaltung anstand, bat Moderatorin Rüther die Runde, das deutsch-französische Verhältnis zu charakterisieren, das in öffentlichen Debatten zuletzt als zunehmend angespannt beschrieben wurde – etwa rund um die Frage zu einer Deckelung der Gaspreise in der EU.
Immer Kompromisse gefunden
Für Generalkonsulin Pereira da Silva steht fest, dass der Mehrwert der Beziehung beider Staaten nach wie vor in der Fähigkeit liege, Kompromisse zu suchen und zu finden: „Das war immer der Fall.“ Zwar seien die höchsten politischen Ebenen in beiden Ländern in jüngster Zeit mit innenpolitischen Themen und Wahlen beschäftigt gewesen, die Betriebsamkeit auf Arbeitsebene sei jedoch ungebrochen gewesen. Sébastian Vannier vertrat die Meinung, dass es nun „an der Zeit sei, in der gemeinsamen Politik wieder konkreter zu werden“. Auch im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine plädierte Landry Charrier dafür, dass Frankreich und Deutschland wieder eine politische Führungsrolle übernehmen müssten.
Das Interesse an den Menschen und der deutschen Gesellschaft sei in Frankreich, wie Vannier als Journalist schilderte, sehr groß. So gelte Deutschland beim französischen Nachbarn als Vorreiter in Sachen Umweltschutz, bei dem man immer wieder nach Inspiration suche. „Umgekehrt ist der Bedarf an Informationen zu Frankreich in Deutschland groß. Unsere Länder neigen dazu, gelegentlich aneinander vorbeizureden“, erklärte Landry Charrier – auch als Hintergrund für seinen deutschsprachigen Podcast zu aktuellen Entwicklungen in Frankreich.
Dass es knirscht und kracht im deutsch-französischen Verhältnis, sei gerade ein Zeichen dafür, dass man aufeinander angewiesen und aneinander interessiert sei. Ulrich Heider appellierte, gerade die Jugend stärker anzusprechen, die Europa als gegeben hinnehme. Anhand seiner eigenen Biographie zeichnete der frühere Berufssoldat die Entwicklung im Verhältnis beider Staaten nach: Während sein Großvater noch in Verdun gekämpft habe, sei er selbst unter anderem als stellvertretender Luftwaffenattaché an der Deutschen Botschaft in Paris tätig gewesen: „Ich sehe die militärische Zusammenarbeit – etwa in Form der deutsch-französischen Brigade – als sehr positiv, wenn man bedenkt, welche Geschichte die beiden Länder verbindet.“
Weitere Informationen zum Deutsch-Französischen Studiengang Politikwissenschaft finden sich unter www.ku.de/dfs.