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Viel „H-offnung“: Landkreis wirft Blick auf Wasserstoff und Energiewende

Wasserstoff-Event des Landkreises zeigt viele Chancen und Herausforderungen

Eichstätt. – Es ist nicht erst seit dem Ukrainekrieg eines der Trendthemen – das dadurch aber noch einmal deutlich an Bedeutung und Dringlichkeit gewonnen hat: die Nutzung des Wasserstoffs als einem der entscheidenden Bausteine für die Energiewende und die Energieversorgung der Zukunft. Daran haben die zahlreichen Vortragenden auch gestern Abend bei der Wasserstoff-Informationsveranstaltung des Landkreises Eichstätt im Alten Stadttheater in Eichstätt keinen Zweifel gelassen. Im Mittelpunkt standen Informationen zum Stand des Wasserstoffprojekts im Landkreis Eichstätt, positive Praxisbeispiele aus der Region, aber auch allerhand Herausforderungen. Vor allem aber eine Botschaft: Ohne Wasserstoff, mit dem chemischen Symbol „H“, werde es nicht gehen – viel „H-offnung“ also auch für den Landkreis Eichstätt.

Wasserstoff im Fokus: Martin Flohr von Pepper Motion erläuterte, wie das Unternehmen in Denkendorf wasserstoffbasierte Antriebstechnologien für Nutzfahrzeuge entwickelt. Fotos: Zengerle

„Sie haben nichts zu befürchten an diesem Nikolausabend“, scherzte Landrat Alexander Anetsberger zu Beginn der Informationsveranstaltung „Wasserstoff im Landkreis Eichstätt“. In der Tat gab es für die rund 80 Besucher aus Wirtschaft, Kommunen und Interessierten in den voll besetzten Tischreihen im Festsaal des Alten Stadttheaters nichts zu befürchten – stattdessen geballte Information in Sachen Wasserstoff. Dabei ging es viel um Herausforderungen, weit mehr aber um Chancen: darum, Wege aufzuzeigen, wie die Nutzung des Energieträgers und wie eine Wasserstoffwirtschaft im Landkreis Eichstätt aussehen könnte.

Darüber hatte sich der Landkreis vor allem in Person von Wirtschaftsförderer Christian Speth mit seinem Team sowie dem Kreis der „Wasserstoff-Akteure“ im Landkreis Eichstätt bereits mehrfach in diesem Jahr Gedanken gemacht: Die Beteiligten haben sich im Rahmen des „HyLand“-Projekts inzwischen viermal zu „Strategiedialogen“ getroffen, um gemeinsem Potenziale auszuloten und Konzepte zu entwickeln, wie eine Wasserstoff-Nutzung im Landkreis insbesondere in Logistik und Schwerlastverkehr aussehen könnte. Der Landkreis hatte zuvor – „etwas überraschend“, wie Anetsberger auch gestern Abend noch einmal bestätigte – den Zuschlag für eine Förderung als „HyStarter“ als eine der Wasserstoffregionen in Deutschland bekommen. Es gebe viel zu tun, aber damit sei ein Anfang bereits gemacht – und zwar ein vielversprechender.

Wasserstoffregion: Bundestagsabgeordneter Reinhard Brandl erläuterte, dass in der Region 10 rund um Ingolstadt bereits einiges getan werde in Sachen Wasserstoff.

Ihm sei bewusst, dass es natürlich andere Landkreise gebe, die bei dem Thema schon weiter seien und bereits Lyseure zur Wasserstoffherstellung in Betrieb hätten – auch in der Region 10, wie der Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl in seiner Rede erklärte. In Karlshuld etwa wird ein Elektrolyseur in Verbindung mit einer großflächigen PV-Anlage errichtet, und die Stadt Ingolstadt habe bereits eine Flotte von Müllfahrzeugen mit Wasserstoffantrieb inklusive Tankstelle im Betrieb – aus der ersten Phase des HyLand-Programms. In Eichstätt ist man erst in der zweiten, der Planungs- und Konzeptionsphase, aber gehört damit ebenfalls zu den Vorreitern in einem inzwischen recht großen und breiten deutschlandweiten Wasserstoff-Netzwerk, so Patrick Steiger von der den Prozess begleitenden Nuts One GmbH. Es gehe in dem Programm nicht darum, damit etwas „überzustülpen“, sondern in jeder Region zu schauen, was möglich und sinnvoll sei.

Wunsiedel als „Herzschrittmacher Bayerns in Sachen Energie“

Was das betrifft, sei der Zuschlag für den Landkreis als „HyStarter“-Modellregion gar nicht so überraschend, wie Steiger betonte, der gemeinsam mit seinem Kollegen Eike Friedrichs durch den Abend führte. Denn als zentraler Partner habe er Einblick in die bundesweiten Bewerbungen gehabt und könne daher auch sagen, dass die Eichstätter Bewerbung durchaus fundiert und chancenreich gewesen sei, wie Steiger verriet. Einerseits wohl nicht zuletzt wegen ihrer zentralen Lage in Bayern an der A9 und einem in den letzten Jahren boomenden regionalen Wirtschaftsraum mit Logistikknotenpunkten und großer Nähe zur Automobilwirtschaft. Andererseits aber vor allem wegen der bereits stark ausgebauten erneuerbaren Energien im Flächenlandkreis Eichstätt, der bereits heute rund die Hälfte der oberbayerischen Windräder beherbergt – und weitere große Potenziale im Bereich der erneuerbaren Energien bietet.

Hightech in Wunsiedel: Rainer Saliger von Siemens stellte das Wasserstoffprojekt rund um Bayerns größten Lyseur in der oberfränkischen Kreisstadt vor.

Und die seien der Schlüssel zur Wasserstoffnutzung. Denn die Wasserstoffherstellung per Elektrolyse und die Anwendungsmöglichkeiten seien immer noch vergleichsweise aufwändig und auch kostenintensiv. Daran ließ gestern auch keiner der Experten Zweifel. Das Ganze mache im Prinzip nur dann Sinn, wenn man den überschüssigen erneuerbar erzeugten Strom dann, wenn er nicht gebraucht werde, zur Herstellung von Wasserstoff nutze – so, wie es an manchen Stellen in Bayern bereits geschieht: In Wunsiedel zum Beispiel. Mit ihrem Wasserstoffpilotprojekt hatte die oberfränkische Kreisstadt bei dessen offizieller Inbetriebnahme im September deutschlandweite Schlagzeilen gemacht: Ministerpräsident Markus Söder bezeichnete das Projekt rund um „Bayerns größten Wasserstofflyseur“ mit 20 Megawatt Leistung damals als „Herzschrittmacher Bayerns in Sachen Energie“.

Rund eine Milliarde Euro täglich für Energieimporte

Rainer Saliger vom Projektpartner Siemens stellte das Projekt auch gestern Abend vor. Bei dem Netzwerk mit Großbatteriespeicher und mehreren Anlagen mit direktem Anschluss an ein Sägewerk und ein Gasunternehmen sei man noch auf Fördergelder angewiesen gewesen, aber es gebe Lösungen und man lerne stetig dazu, so der Wasserstoffexperte. Wasserstoff sei aber kein Selbstzweck. Letztlich sei Strom der Treiber der Energiewende und werde die anderen Sektoren mitziehen, so Saliger. In den Ausbau der erneuerbaren Energien müsse daher viel investiert werden, aber dadurch werde man auch weniger abhängig vom Export, wie Nadine Hölzinger von der Firma Spilett New Technologies vorrechnete: Schon vor dem Ukrainekrieg habe Europa jeden Tag fossile Energieträger für 820 Millionen Euro importiert, also inzwischen wohl mehr als eine Milliarde Tag für Tag, die man in Zukunft zu einem guten Teil auch in Europa behalten könne, statt sie Diktatoren weltweit zu überweisen, wie es gestern immer wieder hieß.

Hohe Investitionen, aber auch millionenschwere Chancen für die Region

Dafür seien zwar beträchtliche Investitionen nötig, die aber auch zur Erreichung der Klimaziele wichtig seien: Hölzinger zeiggte auf, was man tun müsse, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen: Dafür dürfe man rein rechnerisch nur mehr 15.000 Gigatonnen an CO2 aus der Erde holen. Einen Großteil der fossilen Energieträger müsse man also im Boden lassen: 89 Prozent der Kohle, 63 Prozent des Erdöls und 64 Prozent des Erdgases, erläuterte sie. Dafür brauche es allein im Landkreis Eichstätt zwar zunächst hohe Investitionen von rund 557 Millionen Euro. Ein Großteil des Geldes, nämlich 484 Millionen Euro, müssten für den Ausbau der erneuerbaren Energien verwendet werden: 175 MW Wind und 446 MW Photovoltaik zusätzlich.

„HyStarter“: Es gebe noch viel zu tun und man sei noch dabei, konkrete Konzepte zu entwickeln, „aber wir haben uns auf den Weg gemacht“, so Landrat Alexander Anetsberger.

35 Prozent des „grünen Stroms“ könne genutzt werden, um die für den Landkreis kalkulierte Nachfragemenge von 4.261 Tonnen Wasserstoff jährlich herzustellen. Dafür würde dann in Zukunft ein Großteil der Wertschöpfung im Landkreis verbleiben, statt in den Export zu gehen: 45 Millionen Euro an direkter regionaler Wertschöpfung würden so insbesondere durch die Vermarktung des Stroms, aber auch des Wasserstoffs in der Region bleiben, so die Bilanz. Man habe verschiedene solche Szenarien berechnet, so die Wasserstoffexpertin, die auch aufzeigte, wie längst nicht nur in Deutschland, sondern weltweit an Wasserstoffprojekten gearbeitet werde.

Wasserstoffnetzwerk in Haßfurt als Vorbild?

Dass das alles im großindustriellen Maßstab und flächendeckend noch nicht so einfach ist, zeigen Großprojekte in der Stahlindustrie bei Thyssen und bei Salzgitter oder auch das Beispiel in Wunsiedel. Und doch lasse sich so ein Projekt daher auch und gerade in Sachen dezentraler Energieversorgung bereits heute im Prinzip überall realisieren, wie Norbert Zösch als Vertreter der Stadtwerke Haßfurt vorstellte – Kreisstadt im landkreis Haßberge mit rund 13.600 Einwohnern – also durchaus vergleichbar etwa mit der Stadt Eichstätt.

Auch dort wird überschüssiger Strom aus 13 Windkraftanlagen und einer 20-MW-PV-Anlage in einem kleineren Elektrolyseur in Wasserstoff umgesetzt – ergänzt durch einen Batteriespeicher, um den Sonnenstrom kurzfristig zu speichern und „in die Nacht zu bringen“. Für die Langzeitspeicherung allerdings brauche es den Wasserstoff. Der werde dort anteilig in das Gasnetz eingespeist, könne bei Bedarf wieder in Strom umgewandelt und auch anderweitig verwendet werden – heute etwa schon für die Energieversorgung der lokalen Mälzerei. Um den Lyseur ist inzwischen ein ganzes Energienetzwerk entstanden. Zudem forsche man an mit Wasserstoff betriebenen Wärmepumpen und warte derzeit auf die Genehmigung einer Wasserstofftankstelle.

Also vielleicht ein Vorbild für den Landkreis Eichstätt mit seinen Windrädern und PV-Potenzial, seinem Gasnetz und seinen Unternehmen, die heute bereits in diesem Bereich tätig sind oder darüber nachdenken. Drei davon stellten gestern bereits ihre Projekte vor: Die Firma Pepper Motion etwa entwickelt in Denkendorf Antriebstechnologien auf Wasserstoffbasis für Nutzfahrzeuge – unter anderem gemeinsam mit Partner Toyota. Man wolle nicht Elektromobilität gegen Wasserstoffmobilität gegeneinander ausspielen, so Martin Flohr von Pepper Motion. Es werde in Zukunft beides geben, und es könne gerade im regionalen Bereich sinnvoll sein, Wasserstoff für den Schwerlastverkehr einzusetzen, weil er zum Beispiel eine höhere Reichweite biete und das Tanken weit schneller gehe als das Laden – vor allem, wenn dafür überschüssige erneuerbare Energie eingesetzt werde.

Energieautarkes Unternehmen und Wasserstoff aus Biogas

Die will auch die Firma Regineering im Preither Gewerbegebiet, die ebenfalls viel Know-how in Sachen Klima- und Energietechnik hat, verwenden, um den erneuerbaren Strom, von dem das Unternehmen in den Sommermonaten mehr als genug produziert, „vom Sommer in den Winter zu speichern“, wie Sprecher Florian Zinsmeister erläuterte. So könne man auch autarker in Sachen Energieversorgung werden. Das sehen auch die Pläne des Energiebündels im Landkreis Eichstätt in größerem Maßstab als wichtigen Bestandteil für dessen Energieversorgung der Zukunft vor.

Will die Kommunen als eine der „Wasserstoff-Multiplikatoren“ des Freistaats unterstützen: Maria Finkenzeller von der Landesagentur für Energie und Klimaschutz.

Dass Wasserstoff nicht nur in Kombination mit Strom, sondern auch mit anderen erneuerbaren Energien funktionieren kann, zeigte schließlich Josef Kerner, der eine Biogasanlage bei Dollnstein betreibt. Gemeinsam mit einer Ausgründung der TU München arbeitet man daran, mithilfe von Biogas Wasserstoff herzustellen – das dabei entstehende CO2 werde dann in die Biogasanlage zurückgeführt und von den Bakterien wieder umgewandelt. „Wir haben also eigentlich sogar eine negative CO2-Bilanz“, sagt Josef Kerner. Dass solche Projekte nicht Deutschland versorgen können, sondern viele kleine Puzzleteile sein können, war gestern auch jedem klar.

„Wir haben uns auf den Weg gemacht“

Noch ist Wasserstofftechnik oft kostenintensiv und nur in Verbindung mit überschüssigem erneuerbar erzeugtem Strom sinnvoll – dem „grünen Wasserstoff“. Aber genau dadurch werde er als CO2-neutraler Energieträger ein wichtiger Baustein der Energiewende sein – davon zeigten sich gestern die Beteiligtenauch kaum Zweifel. „Global denken, lokal handeln“, so zitierte Landrat Anetsberger ein oft zitiertes Motto der Energiewende, die gerade im ländlichen Raum wie dem Landkreis Eichstätt beginnen könnte. Noch habe man  keine detaillierten, konkreten Konzepte entwickelt, wie die jetzige „HyStarter“-Modellregion zwischen Donau und Altmühl in Zukunft aussehen könnte. Daran arbeite man im Rahmen des laufenden Förderprojekts noch. „Aber wir haben uns auf den Weg gemacht.“ Man werde Wege finden, das Projekt, fortzusetzen. Dieser Weg wird wohl lang sein – aber angesichts der weltpolitischen Ereignisse auch notwendiger denn je: Während der Informationsveranstaltung gestern Abend musste Anetsberger vorübergehend zu einer Videokonferenz der Landräte mit dem bayerischen Innenminister, wie er verriet. Das Thema: die aktuelle Krisenlage rund um die Energieversorgung und mehr.

Wasserstoff-Region: HyStarter-Strategiedialog geht weiter

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