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„Was keine Maschine ersetzen kann“: Welche Kompetenzen es künftig auf dem Arbeitsmarkt braucht

KU-Forscher untersuchen wichtige Faktoren auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft

Ingolstadt. – Kognitive, soziale und digitale Fertigkeiten – das sind zentrale Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft. Handwerkliche Kompetenzen dagegen werden an Relevanz verlieren, so die Prognose eines Forschungsteams um den Ökonomen Professor Simon Wiederhold von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU). Doch schafft es das Bildungssystem, die benötigten Kompetenzen auszubilden? Und was braucht es noch, um den europäischen Arbeitsmarkt fit für die Zukunft zu machen? Dieser Frage gehen die Ingolstädter Wirtschaftswissenschaftler derzeit im internationalen Forschungsprojekt „Pathways to Inclusive Labour Markets“, kurz „PILLARS“, nach.

Blick in die Zukunft des Arbeitsmarktes: Professor Simon Wiederhold (Mitte), Christina Langer und Yuchen Guo bilden das Team für die PILLARS-Teilprojekte der KU. (Foto: Wiederhold/upd)

Digitalisierung und Automatisierung werden die Arbeitswelt in den kommenden Jahren tiefgreifend verändern. Um dafür gewappnet zu sein, hat sich im Projekt PILLARS auf EU-Ebene ein internationales Forschungsteam zusammengefunden. Mit im Boot: Simon Wiederhold und sein Team des Lehrstuhls für VWL, insbesondere Makroökonomik der KU. „Unser großes Ziel ist es, besser zu verstehen, wie Arbeit in Europa in den nächsten Jahrzehnten aussehen könnte, und welche gesellschaftlichen Gruppen abgehängt werden, wenn alles bleibt, wie es ist“, erklärt der Professor. Daraus sollen politische Strategien für inklusive Arbeitsmärkte abgeleitet werden, in denen auch spezifische Gruppen wie ältere Menschen oder Menschen mit Migrationsgeschichte einen Platz finden.

„Kompetenzen, die durch Maschinen nicht einfach ersetzt werden können“

Die Forschenden der KU verantworten sechs Teilprojekte, fünf in einem eigenen Arbeitspaket zum Thema Bildung. Welche Kompetenzen wichtiger werden, ist eine der zentralen Fragen, denen Wiederhold und sein Team seit Projektstart im Januar 2021 nachgehen. „Die grundlegenden Basiskompetenzen in Mathematik und Lesen sind Fundamente, die wir auch in Zukunft brauchen“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. „Darüber hinaus werden digitale Basiskompetenzen immer wichtiger. Also gar nicht mal Programmierkenntnisse oder ähnlich Spezifisches, sondern die grundsätzliche Fertigkeit, mit dem Computer zu arbeiten, sich im Internet zurechtzufinden und die eigenen Daten zu verwalten.“ Sehr wichtig seien zudem soziale und kognitive Kompetenzen, konkret Empathie, Teamwork und Kreativität im Sinne einer komplexeren Problemlösungskompetenz. „Das sind Kompetenzen, die durch Maschinen nicht einfach ersetzt werden können. Manuelle, handwerkliche Kompetenzen dagegen beherrschen Maschinen mittlerweile ziemlich gut, teils besser als wir Menschen.“

Besonders beschäftigt Wiederholds Team darüber hinaus die Frage, wie gut die Bildungssysteme in Europa die Arbeitnehmer auf den Arbeitsmarkt vorbereiten und benötigte Kompetenzen vermitteln. „Wenn es wenig Wandel am Arbeitsmarkt gibt und die gesuchten Kompetenzen sehr ähnlich zu denen vor 20, 30 Jahren sind, hat das Bildungssystem kein Problem“, sagt Wiederhold. „Anders sieht es aus, wenn sich die Gegebenheiten sehr schnell ändern – was gerade geschieht und sich so fortsetzen wird.“ Aufgrund fortschreitender Digitalisierung und Automatisierung sei davon auszugehen, dass die Kompetenzen von gestern nicht mehr die von morgen sind.

In einem Teilprojekt untersuchen die Wissenschaftler der KU daher deutsche Ausbildungspläne auf die darin genannten zu vermittelnden Kompetenzen. Für die Forschenden sind diese Daten ein echter Glücksfall, da sich das Ausbildungssystem in Deutschland streng an diesen Plänen orientiert. Wiederhold erklärt: „Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass die Firmen diese Kompetenzen vermitteln, und sie werden auch abgeprüft. Das heißt, anhand der Ausbildungspläne verstehen wir wirklich gut, was die jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit in den Arbeitsmarkt bringen.“ Umso verwunderlicher, dass Wiederholds Team als erstes überhaupt diese Daten für die Forschung nutzt. Pionierarbeit, die mit viel Aufwand verbunden ist: Zunächst mussten die Pläne nämlich händisch kodifiziert werden – eine Aufgabe, die mehr als ein Jahr in Anspruch nahm.

In Kombination mit den Arbeitsmarktdaten des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung konnten die Forschenden ermitteln, wie die durch das deutsche Ausbildungssystem vermittelten Kompetenzen entlohnt werden. „Wir sehen hier, dass die drei Kompetenz-Domänen kognitiv, sozial und digital sehr stark entlohnt werden, und zwar über die gesamte Karriere hinweg“, fasst Wiederhold zusammen. „Die manuellen Kompetenzen, die viele handwerkliche Ausbildungen in Deutschland stark prägen, werden dagegen nicht so stark entlohnt.“ Um den konkreten Einfluss des technologischen Wandels zu untersuchen, interessiert sich das Forschungsteam für den Langzeitvergleich: Wie hat sich die Entlohnung der Kompetenzen in den vergangenen dreißig Jahren entwickelt? Laut Wiederhold lohnen sich gerade soziale und digitale Kompetenzen heute mehr als früher, da diese komplementär zu neuen Technologien sind.

„Erwachsenen-PISA“ und Datenquelle Online-Stellenanzeigen

Voraussetzung für einen funktionierenden Arbeitsmarkt sei, dass Angebot und Nachfrage im Bereich der Kompetenzen zusammenpassen. Dieser Punkt ist daher ein weiteres zentrales Forschungsthema des KU-Teams. Um die Passung zu prüfen und mögliche „Mismatches“ zu identifizieren, nutzt es zwei internationale Datensätze. Zur Analyse der Angebotsseite dienen die PIAAC-Daten der OECD, eine Art „Erwachsenen-PISA“, bei dem Kompetenzen sowie Daten zum Job von Berufstätigen in 37 Ländern erhoben wurden. Um die Nachfrage nach verschiedenen Kompetenzen zu untersuchen, greift das Team auf eine innovative Datenquelle zurück: Online-Stellenanzeigen.

„Dort ist meist ein ganzes Profil mit Kompetenzen zu finden, die Bewerber mitbringen sollen – für uns eine hervorragende Möglichkeit zu verstehen, was die Bedarfe der Unternehmen sind“, erläutert Wiederhold. Um die Millionen an Stellenanzeigenzugänglich zu machen, kooperiert die KU mit dem Institut CRISP der Universität Mailand-Bicocca. Die dort ansässigen Spezialisten kümmern sich um die computergestützte Inhaltsanalyse und die anschließende Zusammenführung des PIAAC-Datensatzes mit dem Stellenanzeigen-Datensatz, denn die beiden Erhebungen haben Kompetenzen unterschiedlich erfragt. „Wir nutzen das maschinelle Lernen, um die beiden Datensätze zusammenzubringen“, sagt Wiederhold. „Auf dieser Basis analysieren wir potenzielle Skill-Mismatches und fragen: Wo ist das Mismatch höher als anderswo? Und wie lässt sich das erklären?“

Europäische Perspektive

Um das zu verstehen, brauche es in einem weiteren Schritt die detaillierte Betrachtung einzelner Regionen. Die Verknüpfung von Makro- und Mikroperspektive ist ein zentrales Merkmal des gesamten PILLARS-Projekts. Die Analyse der Zukunft der Arbeit in ganz Europa bringt die Herausforderung mit sich, dass sich von Land zu Land starke Unterschiede zum Beispiel im Bildungssystem zeigen. Bewusst werden daher zunächst in der Vogelperspektive europaweite Phänomene aufgespürt und untersucht, um dann mit dem Ziel statistisch aussagekräftiger Ergebnisse die Mikrodaten auf Ebene einzelner Länder zu analysieren. „Die entsprechen dann häufig dem, was man in der Vogelperspektive gesehen hat, aber nicht auf den Punkt bringen konnte, weil es statistisch nicht so valide ist wie im Länderkontext. Insofern ist die Verbindung von europäischer und länderspezifischer Perspektive sehr sinnvoll“, betont Wiederhold.

Diesem Grundsatz entsprechend ist es ein weiteres Vorhaben von Wiederhold und seinem Team, den selbst erhobenen Datensatz zu Kompetenzen in deutschen Ausbildungsplänen ebenfalls mit Daten aus Online-Stellenanzeigen zu verknüpfen. In diesem Fall aber deutsche Online-Stellenanzeigen, die das Ingolstädter Team selbst auswertet. Auf diese Weise können die Forschenden die gewünschten und vorhandenen Kompetenzen auch auf kleinräumiger Ebene innerhalb Deutschlands miteinander vergleichen und etwaige „Mismatches“ aufdecken.

Blick in die USA

Dass der internationale Vergleich wissenschaftlich lohnt, belegt der Blick in die USA. Dort ist der Arbeitsmarkt deutlich besser erforscht als in Europa. Nun zeigt sich durch PILLARS: Viele der US-amerikanischen Muster finden sich auch auf dem europäischen Arbeitsmarkt, unter anderem die höhere Entlohnung kognitiver und sozialer Kompetenzen. „Für Deutschland hatten wir einen anderen Datensatz, eine andere Methodik, aber das gleiche Ergebnis“, sagt Wiederhold. „Das ist sehr spannend, da sich die Erkenntnisse offenbar auf ganz andere Kontexte übertragen lassen.“

Die Mehrperspektivität wird nicht nur durch die internationale Herangehensweise sichergestellt. Auch der Blick der Praxis fließt in die Studien ein: In regelmäßigen Treffen mit einer internationalen Stakeholder-Gruppe, bestehend aus Vertretern von Unternehmen, Gewerkschaften und Politik, diskutieren die Forschenden ihre Ergebnisse hinsichtlich möglicher Ursachen, aber auch deren Übertragbarkeit in andere Kontexte. Simon Wiederhold ist überzeugt von diesem umfassenden Ansatz des PILLARS-Projekts: „Das ist Forschung, wie ich sie mir vorstelle: Spannende neue Daten, große Datensätze, Praxisbezug und eine internationale Perspektive. So kommen wir weg von der kleinräumigen Evidenz und können im größeren Rahmen Entwicklungen verstehen, die eben nicht kontextspezifisch sind.“

Dabei geht es vor allem um den Arbeitsmarkt – aber auch die gesamtgesellschaftlichen Folgen. So untersucht Wiederholds Team Weiterbildungsangebote als zentrale Möglichkeit, Kompetenzdefizite aufzuholen. In Kooperation mit dem Münchner ifo Institut nutzen die Wissenschaftler dafür wiederum die PIAAC-Daten, da hier erstmals digitale Kompetenzen weltweit vergleichbar erhoben wurden. In der Analyse zeigte sich erwartungsgemäß, dass Weiterbildung die digitalen Kompetenzen erhöht. Überraschend dagegen war: Die Erträge der Weiterbildung sind für Arbeitnehmer jenseits der 50 im digitalen Bereich am niedrigsten. Woran das liegt, beschäftigt Wiederhold aktuell: „Es könnte sein, dass diese Personen IT-Kurse machen, aber wenig hängen bleibt. Es könnte aber auch sein, dass diesen Personen gar keine IT-Kurse angeboten werden, sondern Weiterbildungen zu anderen Themen, weil die Firma sagt, es lohnt sich nicht mehr, die älteren Arbeitskräfte noch in einer neuen Software zu schulen.“ Wenn sich bestätigen sollte, dass ältere Mitarbeiter deutlich seltener in neuen Technologien weitergebildet werden, fände Wiederhold das fatal: „Es geht bei digitalen Kompetenzen auch um gesellschaftliche Teilhabe. Eine Ausgrenzung älterer Personen wäre daher nicht nur für den Arbeitsmarkt ein Problem.“

Über das Projekt PILLARS:
Das PILLARS-Projekt wird durch die Europäische Kommission im Rahmen der Forschungsstrategie Horizon 2020 gefördert. Im Forschungsteam finden sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von zehn renommierten Partnerinstitutionen u.a. in Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, den Niederlanden und China. Neben Ökonomen sind auch Informatiker und Wirtschaftsgeographen beteiligt. Die einzelnen Partner arbeiten in internationalen und interdisziplinären Teams zusammen, die KU beispielsweise mit dem ifo Institut und dem CRISP an der Universität Mailand-Bicocca. Das Projekt läuft noch bis Dezember 2023.

Weitere Informationen gibt es im Internet unter: https://www.h2020-pillars.eu/.

Quelle
upd
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