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Derbe Sprüche mit Tragweite: Der politische Aschermittwoch und seine Rhetorik

KU-Politikwissenschaftler Daniel Nagl forscht über die „schwerste rhetorische Aufgabe der Bundesrepublik“

Eichstätt. – Für die einen ist es der größte Stammtisch der Welt, für die anderen eine bierselige verbale Kampfarena: So oder so fasziniert der politische Aschermittwoch ein Publikum weit über Bayern hinaus. Was die traditionsreiche Veranstaltung ausmacht, wie sie sich in den letzten Jahren entwickelt hat und warum dahinter weit mehr steckt als ein Haudrauf, hat Daniel Nagl in seiner Dissertation an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) untersucht.

Im Bayerischen Landtag ist der Stil der politischen Reden inzwischen oft rau – bei der politischen Aschermittwochsrede noch viel mehr. Foto: oh

Gerade außerhalb Bayerns wird der Politische Aschermittwoch oft als skurriler Schlagabtausch vor vollen Bierkrügen abgetan. Das aber werde der Veranstaltung nicht gerecht, erklärt Dr. Daniel Nagl. Vielmehr handle es sich um „die schwerste rhetorische Aufgabe der Bundesrepublik“. Nagl promovierte 2024 im Fach Politikwissenschaft an der KU über die Aschermittwochsreden bayerischer Ministerpräsidenten, sein Betreuer war Politikwissenschaftler und KU-Vizepräsident Prof. Dr. Klaus Stüwe.

Über die „schwerste rhetorische Aufgabe der Bundesrepublik“ forschte der Eichstätter Politikwissenschaftler Daniel Nagl: die Aschermittwochsrede. Foto: upd

„Die Aschermittwochsrede erfüllt für alle Parteien, insbesondere die CSU viel mehr Funktionen als eine einfache Bierzeltrede“, fasst Nagl seine Erkenntnisse zusammen. Es gehe darum, die eigene Partei und ihre Anhänger zu motivieren, die Reihen zu schließen. Dazu wird Verbindendes betont, Themen gesetzt und Regierungshandeln erklärt – und das alles möglichst einfach, „auf nachvollziehbare Jedermannsmuster reduziert“. Außerdem sei die Distanzierung vom politischen Gegner zentral. „Um meine Gruppe zu integrieren, brauche ich auch die Kraftmeierei“, erläutert Nagl. Ob Franz Josef Strauß, Edmund Stoiber oder Markus Söder: Alle drei untersuchten Ministerpräsidenten beherrschten die nötigen Verbalattacken meisterlich.

Linksradikale Wurzeln und die Bayernpartei

Für die CSU hat der Politische Aschermittwoch seit jeher eine große Bedeutung. Zwar halten auch andere Parteien an diesem Tag politische Versammlungen ab, doch da die CSU seit 1957 den bayerischen Ministerpräsidenten stellt, liegt der öffentliche Fokus klar auf der Veranstaltung der Christsozialen. Erfunden haben den Politischen Aschermittwoch allerdings andere. 1919 lud erstmals der linksradikale Bayerische Bauernbund am Aschermittwoch zur „Volksversammlung“ nach Vilshofen. 1948 griff die Bayernpartei um Joseph Baumgartner die Idee auf und versammelte tausende Anhänger in der niederbayerischen Kleinstadt. 1953 stieg Franz – noch ohne Josef – Strauß für die CSU ein. Die Konstellation Strauß vs. Baumgartner machte den Aschermittwoch über Niederbayern hinaus populär. Das Label „weiß-blauer bayerischer Aschermittwoch“ erfand dann 1958 die Passauer Neue Presse. Während die Bayernpartei abstürzte, wurde für die CSU der Wolferstetter Keller in Vilshofen bald zu klein, 1975 folgte der Umzug nach Passau in die Nibelungenhalle. Die alte CSU-Stätte in Vilshofen nutzt seitdem die SPD.

Dreistündige „Vorlesungen“ von Strauß

Strauß ist es auch, dessen Name wie kein anderer mit dem Politischen Aschermittwoch verbunden wird. Bis heute finden sich online unzählige Ausschnitte aus seinen Reden. Repräsentativ sind diese meist scharfen Spitzen aber nicht, sagt Daniel Nagl: „Strauß hat mitunter drei Stunden geredet, das waren regelrechte Vorlesungen von Wirtschaft bis internationale Politik mit bewusst gesetzten verbalen Krachern.“ Strauß habe dabei viel Wert auf eine klassische Argumentation gelegt und versucht, die Zuhörenden selbst auf seine Lösungen kommen zu lassen. Damit die komplexen Gedanken ob all des Biers nicht untergehen, hat Strauß  veranlasst, dass seine Rede im Bayernkurier komplett abgedruckt wurde, erklärt Nagl. „So erreichte er zum Beispiel 1978 etwa 10.000 Menschen in der Nibelungenhalle und 200.000 an ihren Küchentischen.“

Damit war der Grundstein gesetzt für den Politischen Aschermittwoch als Medienereignis. Die Live-Übertragung auf „phoenix“ und die Berichterstattung anderer Sender anhand von kurzen Ausschnitten führten zu einer Verkürzung der Redezeit auf eine Stunde und zu einer inhaltlichen Vereinfachung. „Der erklärende Charakter hat definitiv abgenommen“, konstatiert Nagl. Stattdessen nehmen Absichtserklärungen und Aufforderungen mehr Raum ein – „oft auch nur, um das medial ins Schaufenster für das nicht-bayerische Publikum zu stellen.“

„Definitiv ein populistisches Element“ bei Söder

Im Kern gleich geblieben sind die Attacken auf den politischen Gegner, was Nagl nicht wundert: „Am effektivsten stärke ich meine eigene Gruppe, indem ich eine Fremdgruppe als Bedrohung darstelle.“ Entsprechend arbeiteten sich die CSU-Politiker – wie die Redner aller Parteien – an der Konkurrenz ab: Von „Weg mit den roten Deppen!“ unter Strauß, zu „Schröder kann es nicht!“ unter Stoiber, hin zu „Grün ist out!“ bei Söder. Rhetorisch unterscheiden sich die drei trotzdem deutlich, betont Daniel Nagl. Während Strauß sein Publikum langsam argumentativ überzeugte, arbeitete Stoiber mit der plakativen Gegenüberstellung bayerischer Erfolge und der Misserfolge andernorts. Mit Söder beobachtet Nagl eine weitere Verschiebung: „Er spricht diffuse Ängste an, sei es durch Bedrohungen von außen, Zuwanderung oder eine Bevormundung durch die EU. Das ist definitiv ein populistisches Element.“ Dazu passe auch der CSU-Anspruch, alleiniger Vertreter des kleinen Mannes zu sein – oder wie Stoiber es nannte: der „Leberkäs-Etage“.

Während ihre Funktionen über 75 Jahre lang gleich blieben, sei der Charakter der Aschermittwochsrede wechselnd, so Nagl. Entscheidend seien die Rahmenbedingungen: „Vor den letzten beiden Europawahlen äußerte sich Söder zurückhaltend und lobte die Arbeit der Europäischen Volkspartei, während die EU 2018 noch ein Quell des Übels war.“ Entsprechend gespannt war der Politikwissenschaftler auf die diesjährige Aschermittwochsrede – erstmals unmittelbar nach einer Bundestagswahl. „Einerseits könnte Söder vom Wahlkampfpferd absteigen und die Rede konziliant gestalten, immerhin braucht die Union im Bund Partner. Andererseits könnte er sich verbal auf die Brust trommeln, um die Unionsposition in den Koalitionsverhandlungen zu stärken.“

Am Ende wurde es eben doch keine staatsmännische Rede, sondern erneutes „Grünen-Bashing“ – und das inmitten der verhandlungen wegen Sondervermögen und Schuldenbremse, in denen Friedrich Merz wieder mit den Grünen verhandeln musste – kein Wunder, dass Söder hier nicht direkt bei den Verhandlungen mit den Grünen am Tisch saß. Dass Söder den Aschermittwoch strategisch gezielt einsetzt, hält Nagl jedenfalls für sicher: „Söder kann Bierzelt, gleichzeitig hat er beim Aschermittwoch mehrfach seine rhetorische Bandbreite bewiesen. Er weiß das Podium und die Reichweite situationsangepasst zu nutzen.“

Die Dissertation von Daniel Nagl ist 2024 unter dem Titel „Die Aschermittwochsrede im Wandel: 1978, 2003, 2018“ beim Verlag Barbara Budrich erschienen.
Quelle
upd
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