Saudi-Arabien – ein Land wie aus den Märchen von „tausenundeiner Nacht“, aber auch viel kritisiert für seine Menschenrechtslage und anderes mehr. All das war unser Leserreporterin Maria Kaußler natürlich bewusst – sie ist schon viel gereist. Dennoch: Die Neugier war größer, und sie wollte das Wüstenreich mit seinem Gigantismus in Sachen Zukunftsprojekten wie der architektonisch spannenden Retortenstadt „Neom“, aber auch die Spuren der alten und reichen Kultur des Nahen Ostens selbst erleben. In Ihrer uns zugesandten Reportage schildert sie uns ihre Eindrücke – nicht unkritisch, aber auch nicht als politische Botschaft, sondern in erster Linie als kulturelles Erlebnis.
Von unser Leserreporterin Maria Kaußler:
Zuerst eine Bitte an alle Leserinnen und Leser: Das ist ein Reisebericht und kein politisches Essay. Es war uns bewusst, dass wir in ein Land reisen, das zu den letzten absoluten Monarchien der Welt gehört und in dem Menschen- und Frauenrechte nur rudimentäre Bedeutung haben. Uns war bekannt, dass es hier noch drakonische Strafen für Nichtigkeiten gibt und kein freier Journalismus möglich ist. Politik und Religion sind aber kein passendes Thema bei Smalltalks mit Einheimischen. Deshalb werde ich mich auf unsere Erlebnisse fokussieren – die Berichterstattung über die Politik Saudi-Arabiens möchte ich erfahrenen Journalisten überlassen.
Im Sommer 2023 sagte unser omanischer Freund, dass JETZT der Zeitpunkt für eine Reise nach Saudi-Arabien gekommen wäre. Das Land öffnet sich und wir könnten problemlos mit einem Mietauto individuell durchs Land reisen. Saudi-Arabien war schon lange ein Traum von mir, jedoch war es bis vor kurzem nicht möglich ein Visa für eine Individual-Reise zu stellen, sofern man keine ausdrückliche Einladung eines Saudis vorweisen konnte. Ausnahmen gab es für Pilger nach Mekka und im Rahmen von (sündteuren) Gruppenreisen. Es kostete mich trotzdem sechs Monate Bedenkzeit, bevor ich das Visum beantragte. Die Visabeantragung läuft übers Internet und ist überraschend einfach. Innerhalb von wenigen Sekunden hatten wir die Genehmigung für ein Jahr jederzeit einzureisen.
Unsere Reise startet in Dschidda, der alten Handelsstadt am Roten Meer und dem Tor zu Mekka. Wegen seiner Bedeutung als Ausgangsort für die muslimische Pilgerfahrt Hadsch, war Dschidda seit jeher ein wichtiger Knotenpunkt in der arabischen Welt. Berühmt ist Dschidda für seine Altstadt „Al-Balad“, die einen morbiden Charme verströmt. Die alten Balkone mit ihren aufwendigen Verkleidungen als Teakholz modern vor sich hin und manches Haus scheint nur aus Tradition nicht zusammenzubrechen. Gerade wird umfassend renoviert, und überall wuseln Bauarbeiter umher. Die ersten Häuser erstrahlen im neuen Glanz, man kann sich bereits vorstellen, wie die Stadt in ein paar Jahren aussieht.
„Ein Gast ist ein Segen fürs Haus“
Im Souk werden wir überall freundlichst begrüsst und in Saudi-Arabien willkommen geheißen. Man winkt uns in die winzigen Geschäfte, schenkt uns Wasser und freut sich, dass wir als Touristen ins Land gekommen sind. Verkaufen will uns niemand etwas, denn Souvenirs gibt es hier noch nicht. Man will uns einfach nur sehen und mit uns sprechen – so der Eindruck. Sogar ein Polizist steigt von seinem E-Scooter und schmettert uns ein „Ahlan wa sahlan“ (Herzlich willkommen) entgegen. Unser omanischer Freund sagt immer „Ein Gast ist ein Segen fürs Haus“, und wie überall in der (noch nicht überall touristisch überlaufenen arabischen Welt) gilt das auch für das lange verschlossene Saudi-Arabien.
Meine Überlegungen zur passenden Bekleidung stellen sich meist als unnötig heraus. Natürlich sollte man sowohl als Mann, als auch als Frau die Beine bedecken und die Schultern, aber ein Shirt und eine lange Hose sind üblicherweise ausreichend. Bei Männern werden inzwischen sogar kurze Hosen toleriert. Nachdem das aber nicht gerne gesehen wird, verzichtet mein Partner Björn Ziegler zumeist darauf.
Dschidda wartet mit Superlativen auf – der höchste Fahnenmast (171 Meter), der größte Kuppelbau, die höchste Fontäne (312 Meter) und der Plan, mit dem Kingdom Tower das höchste Gebäude der Welt zu bauen. Der nadelähnliche Wolkenkratzer sollte ursprünglich 1.600 Meter hoch werden, aufgrund der Bodenbeschaffenheit musste die geplante Höhe aber auf 1.007 Meter reduziert werden. 2018 wurden die Arbeiten bei 256 Meter Höhe dann aber eingestellt, die geplante Wiederaufnahme 2020 fand nicht statt – die Wolkenkratzer wachsen wie die sprichwörtliche Bäume auch hier nicht so einfach in den Himmel. 2023 gab man bekannt, dass das Projekt weitergeführt werden sollen – ob es aber jemals zu Ende gebaut wird, ist offen. Gleiches gilt für Neom, die Planstadt im Norden Saudi-Arabiens, die weltweit Schlagzeilen gemacht hat.
Stockendes Megaprojakt „Neom“
Auch hier wurden die Pläne bereits zurückgeschraubt. Unser Plan die Neom-Baustelle zu besichtigen, wurde von der weiträumigen Absperrung durchkreuzt. Neom ist ein Kunstwort aus „neo“ (neu) und dem Namensanfang von Kronprinz Mohammed bin Salman beziehungsweise dem ersten Buchstaben für Zukunft (arabisch: mustaqbal). Die Stadt soll eine unabhängige Wirtschaftszone mit eigenem Rechts- und Steuersystem werden. Geplant wurden ursprünglich vier Bauprojekte: die Bandstadt The Line, das Industriegebiet Oxagon und die Ferienressorts Sindalah am Meer und Trojena in den Bergen. Der Energiebedarf soll ausschließlich aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Fraglich ist, was bzw. wie weit die einzelnen Projekte umgesetzt werden.
Kronzprinz Mohammed bin Salman, der die Öffnung für Touristen maßgeblich voran getrieben hat, ist zwar immer wieder auf Bildern und in Hotelhallen zu sehen. Er ist aber bei Weitem nicht so omnipräsent wie die Oberhäupter in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder anderen arabischen Staaten. Die saudischen Frauen sind meist mit Abaya und Nikab voll verschleiert, nehmen aber überraschend viel am Arbeitsleben teil. Die Einreiseformalitäten am Flughafen wurden fast ausschließlich von Frauen abgewickelt, und auch sonst sieht man viele Frauen in der Verwaltung von Hotels, Restaurants und anderswo. Es bestätigt sich die fotografische Weisheit: Lächeln sieht man an den Augen, und wir werden viel angelächelt! Inwieweit sich die Frauen freiwillig aus religiösen Gründen verschleiern, können wir nicht klären, aber ich finde Abaya und Nikab bereits im Frühsommer unmenschlich bei der Hitze.
Nach Dschidda fahren wir mit dem Mietauto auf hervorragend ausgebauten mehrspurigen Highways Richtung Norden. Die Straße führt hunderte Kilometer mehr oder weniger geradeaus und bis Yanbu gibt es außer ein paar Kamelen am Straßenrand nichts zu sehen. Tankstellen sind rar und Toiletten werden offenbar für überbewertet gehalten. In Yanbu ist also das Wichtigste im Hotel: auf die Toilette gehen. Yanbu gilt als der Tauch-Hotspot in Saudi-Arabien, und direkt am Roten Meer gelegen, hätte die Stadt das Potential dazu, ein zweites Hurghada (Ägypten) zu werden. Tatsächlich werden wir als Touristen angesehen wie Außerirdische. Hier ist es auch schwierig, mit Englisch weiterzukommen, und meine Grundkenntnisse in Arabisch sind Gold wert. Die Strände sind verwaist und nach einer Nacht machen wir uns auf den Weg weiter Richtung Norden.
Plastikmüll und die Weihrauchstraße
Was uns den ganzen Urlaub begleitet und zu minutenlangem Kopfschütteln führt, ist die Unmenge an Müll, die das Land produziert. Beim Essen bekommt man eine Plastik-Tischdecke, Plastik-Besteck, Plastik-Becher, Plastik-Flaschen und am Schluss landet alles in einer Plastiktüte. An den Stränden sammeln sich einzelne Badeschuhe, alte Teppiche, Kissen, Einweg-Geschirr, Tüten, Sandspielzeug und wieder Plastikflaschen, Plastikflaschen, Plastikflaschen. Ständig kommen wir an Autos mit laufenden Motoren vorbei – in eines steige ich sogar versehentlich ein –, weil man während des Einkaufens oder Kaffeetrinkens einfach den Motor laufen lässt. Das Auto, und damit die Klimaanlage, abzustellen, kommt bei 55 Cent Benzinpreis offenbar nicht in Frage. Dabei hat der Kronprinz eine Steuer eingeführt, die den Benzinpreis in den letzten Jahren verdoppelt hat. Gefühlt haben wir in den 14 Tagen unbeabsichtigt mehr Müll produziert, als zu Hause in einem halben Jahr.
Unser nächstes Ziel ist Al’Ula, eine der ältesten Siedlungen im Nahen Osten. Die Stadt liegt an der historischen Weihrauchstraße, ihre Altstadt war vom 12. bis zum Ende des 20. Jh. bewohnt. Hier blieben die alten Lehmhäuser erhalten und wurden nicht abgerissen, weil der neue Stadtkern an einer anderen Stelle entstand. Die labyrinthartigen Gassen sind liebevoll restauriert. Zwischen den Häusern findet man Verbindungen, die gebaut wurden, wenn aus zwei benachbarten Häusern geheiratet wurde. Das Pärchen bekam das Zwischenzimmer, wozu beide Familien einen Zugang hatten. Privatsphäre war ein kostbares Gut.
„Unsichtbarer“ Spiegelpalast mitten in der Wüste
Berühmt ist Al’Ula aber vor allem für Hegra, das das Ziel schlechthin in Saudi-Arabien ist und auf keiner Reise fehlen darf. Die antike Handelsmetropole wurde von den Nabatäern errichtet und war deren zweitwichtigste Stadt nach Petra im heutigen Jordanien. Die Nabatäer waren hervorragende Kaufleute und kontrollierten die Karawanenrouten der Weihrauchstraße. Ihr Siegeszug begann im 4. Jh. v. Chr. und endete 100 n. Chr. als das nabatäische Reich von den Römern erobert wurde. In Hegra haben sie über 100 Felsengräber hinterlassen, die aus der Zeit 100 v. Chr. bis 100 n. Chr. stammen. Das berühmteste Grab ist das „Grab von Lihyan, dem Sohn von Kuza“, ein unvollendetes Einzelgrab.
Direkt in dieser unwirtlichen Wüste hat Saudi-Arabien ein weiteres Superlativ gestellt: die Maraya Concert Hall, die mit 9.740 Spiegelplatten das größte mit Spiegeln bedeckte Gebäude weltweit ist. In der Wüstenschlucht des Ashar Valley gelegen, reflektiert es die umliegende karge Landschaft und ist aus bestimmten Blickwinkeln quasi unsichtbar. Ein surreales Gefühl überkommt uns, als wir vor dem Komplex stehen.
Medina wie Mekka nur Muslimen vorbehalten
Nach den wunderschönen Tagen in Al’Ula fahren wir zurück nach Yanbu, in der Hoffnung doch noch ein bisschen baden zu können. Alternativ hätten wir über Medina fahren können. Die saudische Tourismusbehörde hat uns allerdings mitgeteilt, dass die Stadt – wie Mekka – nur Muslimen vorbehalten ist. Offenbar gibt es zwar viele Nicht-Muslime, die dort trotzdem übernachten, aber wir halten uns an die vorgegebenen Regeln und wählen die Route am Meer entlang zurück. Deshalb Yanbu. Und nachdem wir diese mal länger in der Stadt sind, merken wir, wie weit Yanbu in der gesellschaftlichen Entwicklung von Al’Ula oder Dschidda entfernt ist. Ich wechsle von Shirts zu weiten, luftigen Tunikas, aber allein durch die unbedeckten Haare erweckt man hier Aufmerksamkeit. Die Kinder sind begeistert von uns „Exoten“, und beim abendlichen Strandspaziergang werden wir bei jeder zweiten Familie zu Kaffee und Datteln eingeladen. Hier fährt man mit dem Auto an den Strand und sitzt im Schatten des Autos auf Teppichen.
Das türkisblaue, badewannenwarme Meer betreten nur die Kinder und ein paar Väter sowie Kindermädchen. Die Frauen sitzen vollständig verschleiert neben dem Auto oder auf Campingstühlen mit den Füßen im Wasser. Als Gastgeschenk haben wir vegane Gummibärchen eingepackt, die begeistert gegessen werden. Man ist auch hier meist sehr offen gegenüber Touristen und äußerst gastfreundlich. Aber in Yanbu wird man auch regelmäßig ignoriert. Ich kann nicht abschätzen, ob die Leute beschäftigt sind oder uns Europäer ablehnen, im Zweifelsfall gehe ich immer davon aus, dass sie in Gedanken sind. Schließlich finden wir wirklich noch einen offiziellen Badestrand. Die arabischen Frauen sitzen auch hier vollständig bekleidet im Schatten und im Wasser sind nur Kinder und meines Erachtens die männlichen Gastarbeiter zu finden, aber wir können schnorcheln. Das Riff ist völlig zerstört und vermüllt, aber man sieht ein paar hübsche Fische.
Nachholbedarf beim Service
Die Tage in Yanbu lassen uns ein ländliches Saudi-Arabien erleben und erfreuen uns durch die Einladungen am Strand und den entdeckten Badestrand. Aber hier sieht man, dass man ein Land zwar für den Tourismus öffnen kann, die Entwicklung aber von den Einheimischen getragen werden muss. Im Hotel wurde uns weder das Zimmer gezeigt, noch die Richtung, in der wir es finden. Uns wurde nicht bei den Koffern geholfen und nichts über das Frühstück gesagt. Eine für das Hotel unangenehme Google-Rezension brachte Abhilfe. Plötzlich kam der Hotelmanager, ein Gastarbeiter aus Bangladesch, und wir wurden in ein besseres Zimmer gebracht und freundlichst umsorgt.
Er erzählte uns von den Problemen mit dem saudischen Mitarbeitern. Das „Saudisierungsprogramm“ sieht vor, dass die junge Bevölkerung über kurz oder lang die unzähligen Gastarbeiter größtenteils ersetzen soll, und es gibt eine Quote an Saudis, die in jedem Betrieb angestellt sein müssen. Leider fehlt bei den Einheimischen oft noch das Bewusstsein, wie man mit Hotelgästen umgehen soll. In den Großstädten wie Dschidda oder dem Touristen-Hotspot Al’Ula ist man da schon deutlich weiter. Allerdings sind auch hier die Hotelmitarbeiter, insbesondere beim Küchen-, Service- und Reinigungspersonal weiterhin großteils aus Südostasien.
Mein Resümee zu dieser Reise lautet: Saudi-Arabien ist trotz der politischen Probleme ein wunderbares Reiseziel, weil die Menschen unglaublich gastfreundlich sind. Wer in das Land reisen möchte und bereit ist, sich an die gesellschaftlichen Konventionen anzupassen, der sollte es JETZT tun. Denn eines ist klar: ein Land, dessen Regierung so stark von der Religion beeinflusst wird, kann sich genauso schnell wieder verschließen, wie es sich gerade geöffnet hat.