Eichstätt. – Es war auf der Liegewiese auf der Altmühlinsel im Eichstätter Freibad, als zwei Musikbegeisterte irgendwann zwischen Proben zu einem Konzert vor über zehn Jahren jene Idee hatten, die mit viel Hartnäckigkeit, Leidenschaft und Überzeugung in einem Festival für Alte Musik endete. Das Musikfest Eichstätt ist seitdem nicht nur für reinrassige Klassikfans längst zu einem kulturellen Höhepunkt des Jahres in Eichstätt und der region geworden und zieht Menschen aus ganz Deutschland an. Auch diese kleine Anekdote zur Genese des Festivals erfuhren die rund 180 Besucher des Auftaktkonzertes gestern Abend im voll besetzten barocken Spiegelsaal zur zehnten Auflage des Festivals für Alte Musik von einem jener beiden: Johannes Weiss. Die Eröffnung unter dem Motto „Bach vs. Händel“ war dabei beschwingt und leicht wie Händel sein kann, oder auch feierlich und opulent wie es Bach sein kann – gespielt mit einem Schuss spanischer Lebensfreude.
Violinistin Lina Tur Bonet und Cembalist Diego Ares nahmen das Publikum im Spiegelsaal – mit dem Temperament ihrer spanischen Heimat – mit auf ein musikalisches „Duell“ zweier großer Männer der Musik, die sich zu Lebzeiten mehrfach fast getroffen hätten, aber eben nur fast. Beide waren schließlich nicht weit voneinander geboren – Bach in Eisenach, Händel in Halle –, schlugen aber unterschiedliche Wege ein. Händel wurde zum gefeierten „internationalen“ Musiker, Bach blieb in der Heimat, suchte aber immer wieder den Kontakt zu seinem kongenialen Zeitgenossen.
Was wäre, wenn?
Als er 1719 hörte, dass Händel in seiner Geburtsstadt Halle weilte, eilte er unverzüglich von Köthen aus dorthin. Händel aber war schon wieder Richtung England abgereist. Als er zehn Jahre später erneut in Halle war, musste der erkrankte Bach in Leipzig bleiben. Auf eine Einladung zum Besuch bei ihm ging Händel aber nicht ein – warum, das bleibe im Reich der Spekulation, wie die Künstlerische Leiterin des Musikfestes, Heidi Gröger, gestern Abend vor dem Konzert zum Hintergrund erklärte – und jene Frage aufwarf, die das Motto des Abends sein sollte: Was wäre passiert, wenn die beiden barocken Superstars sich doch getroffen hätten? Wenn sie sich gegenseitig gerieben und inspiriert hätten?
Es ist anders gekommen, aber mit etwas Fantasie konnten sich die Gäste des Eröffnungskonzerts gestern Abend im Wechsel der Violinsonaten vorstellen, was möglich gewesen wäre, wenn. Da ist Bach, der Kantatenkomponist, der neben seinen Brandenburgischen Konzerten auch für seine Johannes- und Matthäus-Passion oder sein Weihnachtsoratorium bekannt ist, präzise komponiert und dem Cembalisten auch für die rechte Hand genaue Vorgaben macht. Und da ist Händel, der als gefeierter Opernkomponist auch in der Kammermusik die Ausdruckskraft und Improvisation der Bühne sucht und zulässt – gestern von Beginn an perfekt genutzt von Diego Ares im herrlich beschwingten Zusammenspiel mit Lina Tur Bonet.
Da ist zu Beginn das bedeutungsschwere „Grave“ von Händels d-Moll-Sonate (HWV 359e), dann das leichtere Allegro voller Esprit, und das musikalische Duell nimmt Fahrt auf. Bach „schlägt zurück“ mit seiner Sonate in A-Dur (BWV 1015) und punktet vor allem mit seinem üppigen, lebensschwangeren Allegro assai – herrlich gespielt von Ares und Tur Bonet, der vom SWR einmal eine „fast punkige Rigorosität“ attestiert worden ist.
„Unentschieden“ zur Pause
Zur „Halbzeitpause“ stand es nicht nur im parallel stattfindenden Champions-League-Halbfinale unentschieden, sondern wohl auch im Duell der beiden barocken Musikgrößen – jedenfalls, wenn man nach dem großen Applaus des Publikums im Spiegelsaal geht. Nach der Pause gab es von Heidi Gröger Blumen für Johnannes Weiss als Mitinitiator des Musikfestes, der an jene ersten Ideen auf der Freibadwiese erinnerte – und sich auch bei Heidi Gröger und den vielen Helfern für all die Leidenschaft, den Glauben und ihr Durchhaltevermögen bedankte, ohne die so ein großes Festival in einer kleinen Stadt wie Eichstätt gar nicht möglich wäre. Das gelte auch für die Unterstützer aus dem Förderverein Alte Musik und dessen Vorsitzende Irmgard Scheitler und aktuell Joachim Kraus, der sich ebenfalls bei allen Unterstützern bedankte, die den „Zauber der Musik“ an solch besonderen Orten ermöglichten.
„Zwei Töne, eine Dissonanz“ – so hatte er zu Beginn des Konzertes gesagt, nachdem er sie kurz am Cemballo angespielt hatte. Musik brauche Reibung, Dissonanzen und Spannungen, wie sie auch das aktuelle Musikfest verspräche: in Konzerten wie dem „West-östlichen Diwan“, dem Wandelkonzert zu Schattners Bauten oder durch ausgefallene Kombinationen wie bei der „Landpartie nach Burgsalach“ auch außerhalb der Landkreisgrenzen (das Programm finden Sie hier).
Die sinnlichen „neue Begegnungen mit der Alten Musik“, die Kraus den Festivalbesuchern wünschte, setzte sich im zweiten Teil gestern Abend mit dem herrlich-gefühlvollen Affetuoso in Händels Sonate in D-Dur (HWV 371) fort, ehe das musikalische Fernduell gegen Bach mit dem heiter-beschwingten Allegro Tempo aufnahm. Der „Contest“ der beiden Künstler konnte weitergehen, wie es der stellvertretende Landrat Sven John zu Beginn gesagt hatte, ehe er ebenso wie die Dritte Bürgermeisterin Martina Edl als Vertreterin der Stadt Eichstätt den Organisatoren und Unterstützern des Musikfestes gratulierte und dankte. Das Musikfest und die Barockstadt mit ihren besonders schönen Ecken, die hier zur Bühne würden – das passe seit zehn Jahren perfekt zusammen, so Edl.
Punktvorteil Bach?
So auch gestern im Spiegelsaal, in dem erneut der Bayerische Rundfunk das „musikalische Duell“ aufzeichnete (zu hören am 6. Juni um 20.05 Uhr auf BR-Klassik), in dem Bach das „Larghetto“ von Händel mit dem „Largo“ seiner Sonate in c-Moll (BWV 1017) konterte. Allegro, Addagio und noch ein Allegro – das Publikum wollte am Ende mehr, und bekam es nach lang anhaltendem Applaus für die beiden Virtuosen auch. „Nach Bach kann man eigentlich nur Bach spielen, sagt man unter Musikern“, erklärte Lina Tur Bonet mit ihrem leichten spanischen Akzent und zeigte anschließend in der „Nachspielzeit“ mit Diego Ares noch einmal, wie gefühlvoll und ausdrucksstark sie mit ihren Instrumenten besondere Orte auch zu einem besonderen musikalischen Erlebnisraum machen können.
Es gab also Bach zum Nachschlag, und zwar nach erneut lange aufbrandendem Applaus als doppelte Zugabe – so gesehen hatte der Meister aus Eisenach im Duell „Bach vs. Händel“ vielleicht etwas die Nase vorn. Aber irgendwie gab es an diesem Abend ohnehin keine Verlierer, sondern nur Sieger: Vor allem das Musikfest Eichstätt, dem der große Applaus sicher auch als kleines Geburtstagsgeschenk zum zehnjährigen Jubiläum gelten durfte. Joachim Kraus zeigte sich anschließend gegenüber Ei-live jedenfalls auf seine ruhige Art sehr gerührt und emotional und freute sich über den gelungenen Auftakt. „Ad multos annos“ – „auf viele weitere Jahre“ Musikfest, diesem Wunsch wollte er sich gerne anschließen.
Zehn Jahre Musikfest…
…, das sind zehn Jahre Festival, 100 exzellente Konzerte, 30 Workshops, darunter immer ein Familienkonzert sowie eines mit freiem Eintritt – um jene, in einer Welt des allgegenwärtigen Pops, in der nicht nur in Amerika die Gesellschaft bisweilen nach ihrer musikalischen Vorliebe für die Pop- und Countrysängerin Taylor Swift in „Swifties“ und „Nicht-Swifties“ aufgeteilt wird, nicht jedem zugängliche Klassikwelt zu öffnen und einem breiteren Publikum die Chance zu geben, sich einzulassen auf jene „alte“, weit komplexere Musik. Die hat schließlich Jahrhunderte überdauert. Ob Menschen in 300 Jahren noch Taylor Swift hören, wird sich erst noch zeigen müssen. Auch diesen Zugang schafft das Musikfest Eichstätt seit inzwischen zehn Jahren.
Rund 500 internationale Künstler waren dabei. Etwa 10.000 Gäste – zum Teil auch gestern wieder in barocker Kleidung angereist – sahen die Konzerte. Hochrangige Politiker übernahmen die Schirmherrschaft – in diesem Jahr Markus Blume, der Bayerische Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, der seine Glückwünsche zum Jubiläum übersandte –, und der Bayerische Rundfunk war von Anfang an als Medienpartner mit dabei. In den Konzertmitschnitten ist das Musikfest auch ein Stück verewigt.
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