Eichstätt – Jedes einzelne Pling und Brumm bekommt an diesem ersten Sonntagabend im Mai die Zeit und den Raum, die es braucht, um die gotischen Pfeiler der profanierten Johanniskirche am Eichstätter Domplatz hinaufzuschweben und sich dort im digitalen Farben- und Formenspiel entlang des Deckengewölbes zu wiegen. Mit „Healing Sounds“, einem Klangritual im Zusammenwirken mit dem Berliner E-Bassisten Bernhard Hollinger lässt Cendra Polsner ein wunderbares Wochenende voller feinster audiovisueller Digitalkunst ganz ruhig, sinnlich und entspannt ausklingen: „Hach, wie schön!“, dachte sich so mancher Besucher. Das Comeback der Eichstätter „Lichtnächte“ nach zwölf Jahren Pause darf als gelungen gelten. Die Eichstätter Künstlerin machte sich mit diesem wunderbaren Festwochenende gleich selbst das schönste Geschenk zu ihrem 50. Geburtstag – und ihrer Wahlheimatstadt Hoffnung auf mehr „Lichtnächte“ im nächsten Jahr mit neuem Titel: Radient-Festival.
Wir erinnern uns: Cendra Polsner, Philipp Drieger und Jörg Lederer hatten als Künstlerkollektiv „Radient – the audiovisual Club“ vor genau 20 Jahren Eichstätt die ersten „Lichtnächte“ beschert: Audiovisuelle Digitalkunst gepaart mit Elektromusik – das war damals innovativ und öffnete völlig neue sinnliche Dimensionen. Eichstätt war von 2004 bis 2012 künstlerisch Avantgarde und hatte ein Festival in einer Qualität, die sonst in New York, Berlin und anderen hippen Elektrobeat-Großstädten zu erwarten gewesen wäre.
Das war seinerzeit keineswegs Zufall: Tatsächlich hatte die gebürtige Ingolstädterin die Gelegenheit, die künstlerische Inspiration und das technische Können, als Kunststudentin direkt von der Akademie weg im pulsierenden London der 1990er-Jahre Fuß zu fassen und mit einem Stipendium bei den globalen Trends der Multimedia-Szene ganz vorne mit dabei zu sein. Als sie dann der Liebe wegen (sie ist seit 22 Jahren mit dem Eichstätter Rundfunkjournalisten Stephan Lina verheiratet) von der britischen Metropole in die Kleinstadt ins Altmühltal gezogen ist, blieb Polsner der internationalen Digital-Szene verbunden und neben ihrem Brotberuf als Grafikdesignerin auch erfolgreich mit diversen Projekten und Festivals auf Tour. Die Kontakte und Kooperationen schufen schon damals eine kreative Basis für die Eichstätter „Lichtnächte“. Bei der letzten Ausgabe 2014 gestalteten 35 Künstlerinnen und Künstler das Festival mit.
Inspiration in Island
Das war großartig, das war wirklich groß – und war finanziell nicht mehr zu stemmen. Dann war zwölf Jahre Ruhepause mit den „Lichtnächten“. Das bedeutete allerdings keineswegs, dass Cendra Polsner mit ihrer audiovisuellen Kunst nicht zwischendurch in der Region immer wieder präsent gewesen wäre: Als stilsichere Kuratorin verantwortete sie 2014 die „Lichtspiele“ in Ingolstadt. Zur Corona-Weihnachtszeit 2021 verzauberte sie die Fassade des Bahnhofsgebäudes mit isländischem Sternenglanz. Überhaupt Island: Das lässt sie seit den 2000er-Jahren nicht mehr los.
Jahr für Jahr fährt sie zusammen mit der Poetin Pauline Füg – ebenfalls aus deren Eichstätter Studien- und Anfangszeiten als Poetry-Slammerin hier noch bestens bekannt – in den hohen Norden, um die dortigen Farben, das Licht und den Klang in einer besonderen Festivalstimmung zu erleben. Dort, in der fernen Hauptstadt Reykjavik, die für ihre lebhafte und innovative Digital-Art- und Elektro-Music-Szene bekannt ist, traf sie Lucas Dittsbrand und Ingolf Stöcker – besser bekannt als Elektrosound-Duo Echoes of Felidae. Daraus entsteht eine freundschaftliche Kooperation: Echoes of Felidae lässt sich inzwischen bei seinen Gigs auf großen Elektro-Festivalbühnen von Cendra Polsners Live-Visuals begleiten.
Video-Impressionen der Radient-Lichtnächte:
Unterstützer für Neuauflage gesucht
Da war es Ehrensache, dass die beiden Würzburger an diesem ganz besonderen ersten Mai-Wochenende nun nach Eichstätt gekommen sind und nach dem Auftakt-Ambient-Set des Eichstätters Markus Homeier alias mono.o am Freitagabend tanzbare Elektronik-Musik live performten; schwärmerisch von der Insel der Feen und Kobolde geprägt und im kongenialen Einklang mit Cendra Polsners Live-Visuals, die ebenfalls von Island inspiriert Farben und Formen in den gut besuchten profanierten Kirchenraum flirren und das Publikum tänzerisch schwirren ließ.
Druckvoll ging es dann am Samstag für eine illustre Runde geladener Gäste weiter, die mit sehr erlesenen DJ-Sets und bester Laune den 50. Geburtstag der Gastgeberin nachfeierte. Und nach der fast durchtanzten Nacht kam dann am Sonntagabend der ruhige, entspannte und fast schon meditative Abend mit „Healing Sounds“ mit Bernhard Hollinger als verträumter Ausklang des gerade recht.
Ein gelungenes Festival-Comeback also, das keine Eintagsfliege bleiben soll, denn Publikum und Künstlerin sind gleichermaßen beseelt von der positiven Energie des Zusammenspieles von Licht, Klang und Raum, und Cendra Polsner ist „eh verliebt“ in die ehemalige Johanniskirche. Deshalb hat sie fest vor, das „Radient-Festival“ ab jetzt wieder regelmäßig hier zu etablieren. „Die Chance auf eine Neuauflage 2025 liegt bei 83 Prozent“, meint sie augenzwinkernd. Eine Reihe von Kreativen haben schon ihr Mitwirken signalisiert, wer bei der Organisation mithelfen will, kann sich gerne bei Polsner melden. Auch Förderer und Sponsoren sind willkommen für das Radient-Festival 2025.