Eichstätt. – Und, wie war’s? Knallbunt, manchmal schrill – und blutig auf jeden Fall. Kreativ sowieso. Musikalisch wie immer solide bis exzellent. Manchmal schockierend und gruselig auch. Vor allem aber mutig – und zwar schon wieder! Und das liegt nicht etwa daran, dass hinter „Tropical Scream“, dem neuen „Musical made in Eichstätt“, wieder einmal der „MuT e. V.“ (Musik und Theater) steckt. Das Wortspiel ist dann wohl doch schon zu oft bemüht worden. Es geht eher um den Stoff: Mit der Eigenproduktion „Tropical Scream“ geht die Eichstätter Kreativtruppe eben mit viel Courage neue, nervenaufreibende Wege – auf einem Ausflug in das Horror-Genre. Mit „Tropical Scream“ hat das rein ehrenamtliche MuT-Team ein selbstgeschriebenes und live gespieltes Musical auf die Beine gestellt, das am vergangenen Premierenwochende großen Applaus erntete. Der Mut hat sich also auch diesmal gelohnt.
Horror gibt es in vielen Facetten in Filmen und auch Musicals: Ein wenig Schauer aus „Sweeney Todd“, ein Schuss Splattermovie wie vielleicht in „Cabin in the woods“ oder vielleicht eine Prise von Hape Kerkelings gerade erst wiederbelebtem „Club Las Piranjas“ – man findet in „Tropical Scream“ viele Anklänge an diverse Film- und Horrorproduktionen – die nicht selten auch mit abgelegenen Hotels zu tun haben: vielleicht nicht gerade an die Duschszene im Bates Motel aus Hitchcocks „Psycho“. Dafür vielleicht ein wenig an die Knebelszene aus dem Horrorfilm „Hostel“, in dem Todesnachrichten in ebenso schaurig-schrägem Ostblockakzent ausgesprochen werden wie in Tropical Scream von „Betty Black“ (herrlich gespielt und „radegebrochen“ von Sisi Wein). Oder auch an das Kannibalen-Thema aus „Das Schweigen der Lämmer“ – auch wenn die Hannibal-Lector-Maske fehlt – das wäre dann auch doch des Guten zu viel.
Eigenkreation mit vielen Anspielungen
Vielleicht fühlte sich auch der eine oder andere Thriller-Filmfan ein wenig an die Irrenanstalt auf der Gefängnisinsel in „Shutter Island“ erinnert, in der „Dr. Teer“ (in „Tropical Scream“ herrlich facettenreich-schaurig und fein gespielt und gesungen von Philipp Thomas) ebenfalls gut aufgehoben wäre. Dazu gibt es viele andere Anspielungen, die auch auf den Bildschirmen auf der Kleinkunstbühne im Hintergrund immer wieder Assoziationen zu Horrorstoffen irgendwo zwischen Steven King und der „Tanz der Teufel“-Trilogie wecken.
Und dennoch ist „Tropical Scream“ etwas Eigenes, das Drehbuch-Autorin Melanie Arzenheimer hier maßgeblich erschaffen und gemeinsam mit Skriptassistentin Sisi Wein, den Regisseuren Fabian Fürbacher und Hans-Peter Schneider sowie der toll aufspielenden Band unter der musikalischen Leitung von Klaus Kopischke in den nächsten Wochen in insgesamt zehn Vorstellungen – allesamt zum Ärger zahlreicher weiterer Interessenten binnen weniger Minuten ausverkauft – bis zum 11. Mai auf die Gutmann-Bühne bringt.
„Wahnsinniges Musical“
Dass da im abgelegenen Luxushotel „Crazy Coconut“ etwas nicht stimmt, ist dabei schon zu Beginn klar: jenem kurzen Prolog mit Suspense-Effekt mit Reisebloggerin Linda Lebensfroh (tolle und vielseitige Premiere von Vanessa Rade) und ihrem ersten Selfie – mit Leichen statt mit tropischem Strand und Palmen als Hintergrund. Schließlich hat die Stimme aus den Lautsprechern ja auch gleich am Anfang schon ein „wahnsinniges Musical“ angekündigt. Und das bekommen die Besucher dann auch: Bis zur Auflösung warten in „Tropical Scream“ drei kurzweilige Stunden voller Horror, Humor und hüftschwingenden Tanzeinlagen zu den Hits eines Musicals, wie es dann doch für sich steht und Seinesgleichen sucht.
Dabei geht alles doch so idyllisch und harmlos los: Zum Song „Loco in Acapulco“ von den „The Four Tops“ tanzen exotische Schönheiten in bunten Karnevalskostümen, und so mancher Gast im Saal würde sich wohl auch gerne unter die stilisierten Palmen auf der Tropeninsel legen und einen Cocktail bestellen – so wie es die erfolgreiche Anwältin Cody von Kieselstein (gekonnt gespielt und gesungen von Theresa Lieb) und ihr fröhlich lispelndes weibliches „Gspusi“ Addison Usher (Michaela Nadler, die souverän die extravielen „S“-Laute in ihrem Text weglispelt) zu Beginn auch tun. Sie freuen sich ebenso wie Linda Lebensfroh, die für ihren Reiseblog „Destination Desire“ über den Trip berichten will, auf unbeschwerte Tage im „Crazy Coconut“ in tropischen Gefilden.
Vegetarische, aber nicht fleischfreie Küche
Doch spätestens als Stephanie Graf als durchgedrehte Küchenchefin Bridget Bongbong mit multipler Persönlichkeitsstörung die Bühne betritt, kann einem schnell mulmig werden – denn sofort wird klar: Sie wechselt nicht nur ihrer Persönlichkeiten rasend schnell, zum Beispiel von der Küchenchefin mit ganz besonderem Geschmack urplötzlich zu Cleopatra oder einer ihrer anderen schrägen Persönlichkeitsspaltungen. Auf dem Speiseplan stehen „Tapas de la Muerte“, das Filet gibt es nur ganz blutig und dazu „Bloody Mary“. Und die Küchenchefin gendert nicht nur schräg („ich köchinne“), sondern verzichtet auch gerne auf tierische Produkte, aber serviert dennoch keine vegetarischen Gerichte – das Fleisch muss also aus anderen Quellen stammen.
Woher, das ahnt der aufmerksame Musicalbesucher auch recht schnell, als der selbsternannte „Meister der Magier“ Flavio Fortunato (herrlich gekonnt gezaubert von Stefan Strasser) mitten im Publikum einen seiner Zaubertricks vorführt – und dabei Schwerter in den Zauberkasten mit Addison Usher darin rammt – und ein allzu echter „Tropical Scream“-Schrei aus dem inneren dringt. Usher ist natürlich längst nicht der einzige Hotelgast in Lebensgefahr, wie sich schnell herausstellt. Fortunato und vor allem Elisabeth, genannt „Betty“, Black als schräg radebrechendes und schrill lachendes Horror-Mastermind haben eine gemeinsame „True-Crime“-Vergangenheit – und arbeiten nun an einer würdigen Fortsetzung mit neuem Horror-Kick.
Schaurig assistiert werden sie dabei von der eifrig mit abgetrennten Körperteilen hantierenden Mademoiselle Fou Fou (Daniela Branner, die auch für die Tanzchoreographie zuständig ist), was übersetzt nicht umsonst so viel heißt wie „Fräulein Verrückt Verrückt“, und der ebenso stummen wie schrägen Clementine Clearwater (Melanie Arzenheimer) – mit Augenklappe wie einst Bundeskanzler Olaf Scholz nach seinem Unfall, und ähnlich kargem Minenspiel, dafür mit weit irrerem Blick. Sie räumt auf – da werden die schwarzen Müllsäcke in Menschenform auch einmal mitten durch das Publikum getragen.
Zwar backt der Musik- und Theater-Verein mit „Tropical Scream“ auf den ersten Blick weniger große Brötchen als bei der gigantischen „Rock of Ages“-Show vor zwei Jahren, als mehrere tausend Besucher zu den Vorstellungen in der Boxerhalle strömten. Mit „Tropical Scream“ aber hat die komplett ehrenamtliche Truppe von Kulturfans mit Neigung zu derbem Humor sich wieder an eine eben auch sehr aufwendige Eigenproduktion gewagt und kehrt stattdessen auf die weit kleinere, dafür engere und gemütlichere Gutmann-Bühne zurück, wo auch ihre Wurzeln liegen. Das Publikum im gut 100 Besucher fassenden Gutmann-Saal darf dafür auch aus nächster Nähe die Zaubertricks von Flavio Fortunato erleben und bekommt auch Shots mit einer blutroten Flüssigkeit serviert, die sich aber als Erdbeerlimes entpuppt, und auch kräftig bei „Who let the dogs out“ mitbrüllen.
„Do you really want to hurt me?“
Der Horror ist in „Tropical Scream“ eben immer ganz nah und hat Programm, aber ist eben auch immer mit einem Augenzwinkern versehen. Das Ergebnis ist ein herrlich-klamaukiges Schauermärchen, das zwischen Schock und Schauder und Galgenhumor wechselt – etwa als Anwältin Cody von Kieselstein als letzten Wunsch vor ihrer drohenden Massakrierung à la „Jack the Ripper“ noch schnell den „Culture-Club“-Klassiker „Do you really want to hurt me?“ anstimmt. Da brach das Publikum am Samstagabend schon fast unfreiwillig in breites schwarzhumoriges Lachen aus und klatschte dann kräftig mit.
Auch das gelingt „Tropical Scream“: den Horror nicht zu leicht „wegzuspielen“, aber auch nicht zu schwere Kost, sondern angenehme Samstagabendunterhaltung zu servieren. Dafür sorgen freilich auch die rund 20 Lieder und Tanzchoreographien, die das Splattermovie im „Crazy Coconut“ eben auch zu einem ironisch-beschwingten Musical mit Gute-Laune-Faktor machen, bei dem auch kräftig mitgeklatscht und mitgeschunkelt wird – bis einem der nächste Lacher dann doch wieder ein wenig im Hals steckenbleibt.
Während im ersten Teil die Besucher noch nicht so genau wissen, wie sie mit der Mischung aus klamaukigem Horror umgehen sollen, nimmt „Tropical Scream“ nach der Pause so richtig Fahrt auf. Zum Beispiel, wenn plötzlich Dr. Luzius Teer im Keller auftaucht und in der Zwangsjacke „I want to break free“ (Queen) singt. Als er dann auch noch ein wenig Licht ins Dunkel rund um die düstere Vorgeschichte des „Crazy Coconut“ bringt, verwandelt sich auch das sonst so rosige Gemüt der verhinderten Reisebloggerin Linda Lebensfroh – das Handy wurde den Gästen zur Entspannung vom digitalen Stress („Digital Detox“) längst abgenommen – dann doch in blankes Entsetzen. Doch das Stück hat auch dann noch die eine oder andere Wendung parat (und ein weiteres Filmzitat – „Kill Bill“ von Quentin Tarantino lässt grüßen). Und so wird aus dem Reiseblog dann eher ein True-Crime-Podcast und Linda Lebensfroh entdeckt ganz neue Seiten an sich.
Horror ist nicht gleich Horror. Im Falle von „Trocpical Scream“ ist es ein herrlich-klamaukiges Schauermärchen mit guter Stimmung, das bei allem Schock-Potenzial auch bestens unterhält und den Gast auch mit dem guten Gefühl aus dem Saal gehen lässt, dass man sich, das Leben und die gefühlten Dauerkrisen da draußen nicht ganz so ernst nehmen muss. Jedenfalls wenn man den Darstellern auf der Bühne glaubt. Denn auch musikalisch darf der Galgenhumor in „Tropical Scream“ natürlich nicht fehlen. Und so stimmen sie inmitten all des irren Urlaubsalptraums auch einmal den gute Laune-Song „Don’t Worry, be Happy“ (Bobby McFerrin) an – und zum großen Finale sang und klatschte am Ende sowieso der ganze Saal mit.