In eigener Sache
Es geht hier nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen. Ei-live versteht sich auf der Basis demokratischer Grundwerte als politisch und weltanschaulich neutrales Medium – abgesehen davon, dass wir ein positives Menschenbild vertreten. Wir sind unabhängig und möchten möglichst objektiv sein. Wir wollen niemanden „in die Pfanne hauen“ oder sensationalistisch zuspitzen, sondern im Sinne von Rudolf Augstein „Sagen, was ist“. Dazu gehört auch ein Stück weit Einordnung, die leider manchmal auch anstrengend ist und Platz braucht. Wir bemühen uns dabei, möglichst objektiv zu bleiben – ob das immer gelingt, liegt natürlich auch im Auge des Betrachters oder im Weltbild des Lesers.
Eichstätt. – Ein Eklat ist ausgeblieben. Die sogenannte „BürgerDemo“ und die Gegendemonstration, die der linksgerichtete Offene Antifaschistische Treff (OAT) angemeldet hatte, verliefen gestern ruhig und im Rahmen des Erwartbaren. Rund 300 Menschen kamen nach Polizeiangaben zur „BürgerDemo“, etwa 80 zur Gegendemonstration: Auf der einen Seite wurde gegen rechte Hetze demonstriert, auf der anderen zumindest größtenteils gegen die Politik der Ampel – allerdings bleibt der Eindruck, dass es dort auch um mehr geht: eine fundamentalere, tiefergehende Kritik und Nachwehen der Coronazeit.
Groß war die Aufregung im Vorfeld rund um die „BürgerDemo“, bei der Landwirte, Handwerker und andere „besorgte Bürger“ gegen die aktuelle wirtschaftliche und politische Lage sowie vor allem die Politik der Ampel protestieren wollten. Die Regierung solle ihre angeblich ideologisch aufgeladene Energiewende rund um den „Klimawahn“ beenden, das Heizungsgesetz zurücknehmen, das Verbrenneraus stoppen oder die Waffenlieferungen in die Ukraine beenden und für eine „bezahlbare Zukunft für unsere Kinder“ sorgen – so hatte man unter anderem schon zuvor in den Flyern zur „BürgerDemo“ lesen können.
So weit, so normal und auch legitim in einer Demokratie – Ampelkritik an sich ist nicht unbedingt „rechts“, geschweige denn rechtsradikal, und ein „Ende der Regulierungswut und Bürokratie“ würden sich zumindest im Hinblick auf die Bürokratie wohl die allermeisten Bürger unabhängig von der politischen Ausrichtung wünschen. Die Sorgen der „normalen Bürger aus der Mitte der Gesellschaft“, die bei derartigen Demos immer beschworen werden, gab es natürlich auch: Erwin Wörle, Betriebsrat bei einem großen Automobilzulieferer, gab auf der Bühne bei der „BürgerDemo“ gestern sogar tiefe Einblicke in seine finanzielle Situation. Er habe als Ingenieur gut verdient und das Maximum eingezahlt, wie er sagte. Neulich habe er sich seine Rente berechnen lassen und komme nun nur noch auf rund 2.000 Euro netto. Schuld sei Gerhard Schröders Agenda 2010, mit der er die Reichen und die Firmen entlastet habe, aber eben normale Leute wie ihn bestraft – so die Botschaft: „Ich bekomme jetzt ein Drittel weniger Rente“.
Sorgen vor wirtschaftlichem Abstieg
2,4 Billionen Euro seien die deutschen börsennotierten Unternehmen insgesamt wert. Die Aktionäre erwarteten etwa fünf Prozent Dividende im Jahr, sodass sich aus den 2,4 Billionen 120 Milliarden Euro Dividende ergäben. Die könne man verwenden, um mehr für die Menschen zu tun. Allerdings argumentierte er hier falsch: Denn die Dividende wird ja nicht aus dem Börsenwert bezahlt, sondern aus dem Gewinn, beziehungsweise Cashflow eines Unternehmens – und der liegt weit unter jener angeblichen Summe. Dennoch: Mit der Sorge, dass die Spaltung der Gesellschaft weitergehe, ist er sicher nicht alleine, sondern wohl auf der Seite einer Mehrheit. Sie ist auch nicht radikal. Solche Abstiegsängste angesichts steigender Preise der letzten Jahre ziehen sich offenbar durch Deutschland – auch wenn Wirtschaftsexperten der deutschen Wirtschaft für dieses Jahr spätestens ab dem zweiten Halbjahr wieder anziehendes Wachstum prognostizieren.
Er mache sich Sorgen um seine Zukunft, sagte Redner Franz Böhnlein in seiner Rede. Nicht nur die Landwirte hätten erkannt, dass es um „die Existenz“ gehe. Den Unternehmern fehle Planungssicherheit. Auch Klaus Hengl als Redner sieht Deutschland auf einer „rasanten Talfahrt“ – und „keine Opposition“. Die Parteien steckten doch alle unter einer Decke, so die Vermutung – ein tiefes Misstrauen also gegen alle Parteien, zumindest die sogenannten „Altparteien“. Denn er sprach ausschließlich über die Parteien, die zumindest auf Länderebenen in Koalitionen seien – was eben nicht für die AfD gilt. Aber was würde passieren, wenn die AfD dann an der Regierung wäre? Wäre sie dann auch automatisch sofort Teil dieser Verschwörung? Koalitionen sind in der Demokratie völlig normal – und die permanenten Ampelstreitigkeiten widerlegen wohl sein Argument, dass hier eine Krähe der anderen kein Auge aushacke, wie er es formulierte. Dennoch: All das muss nicht automatisch radikal oder extrem sein. Aber wo Politikverdrossenheit in ein generelles Misstrauen in politische Institutionen übergeht, ist der Weg in radikale Positionen nicht mehr weit.
„Gehirnblähungen“ und andere Verschwörungsmythen
Dann aber war da auch die Rede von Klaus Schwarz. Er stellte sich nicht vor, aber ist offenbar der Kandidat der Partei „Die Basis“ im jüngsten Landtagswahlkampf, die in der Coronazeit auftrat und offen als eine Art Querdenker-Partei gilt – und als solcher trat Schwarz dann auch auf. Zehn Minuten lang ließ er sich an den Medien aus – ohne jegliche Differenzierung: Die Medien seien sowieso alle „rot-grün“ orientiert. Dabei galt der Bayerische Rundfunk über Jahrzehnte sicher nicht als grüne Hauspostille, die Frankfurter Allgemeine Zeitung war und ist sicher kein gewerkschaftsnahes SPD-Blatt und die Bildzeitung ohnehin nicht. Aber Schwarz und anderen ist konservativ eben offenbar nicht rechts genug.
Er sprach von „Gehirnblähungen“ und gab sich auch sonst trotz ruhiger Stimme angriffslustig. Der Rundfunkstaatsvertrag sei gekündigt, weil sich Regierung und Medien abgesprochen hätten, und gelte nicht mehr. Die Anwesenden sollten aufhören, ihre GEZ-Gebühren zu zahlen, rief er sie auf – zu zivilem Ungehorsam, um mehr Menschen gegen den Staat und andere Institutionen zu mobilisieren. Der Verfassungsschutz habe „jede Rechtfertigung verloren“, weil er sich in Sachen AfD-Verbot auf die Seite der Regierung geschlagen habe. Dabei gibt es aktuell selbst in Regierungskreisen gar keine klare Meinung hinsichtlich eines AfD-Verbotsverfahrens, und wenn, dann würde das das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Aber auch die Staatsanwaltschaften seien schließlich weisungsgebunden, so Schwarz – eine klassische Delegitimierung rechtsstaatlicher Institutionen. Es ist die Geschichte einer großen Verschwörung, die weit über berechtigte Sorgen und Regierungskritik hinausgeht.
Nawalny-Tod relativiert
„Alle, die jetzt mit dem Finger nach Osten zeigen, weil da jemand im Gefängnis gestorben ist – das sind alles Heuchler“, sagt Schwarz mit Blick auf den offenbar auf Befehl des Kremls im Gefängnis getöteten Oppositionsführer Alexej Nawalny. „Das sind alles Heuchler, solange Julian Assange im Gefängnis sitzt“ – viel mehr Nähe zu Wladimir Putins Propaganda geht nicht mehr. Die Waffenlieferungen müssten aufhören, wurde ebenfalls unter dem Deckmantel des Wunsches nach Frieden gefordert. Dabei hieße das, dass Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine gewinnen würde und seine neoimperialistischen Ambitionen, Russland wieder auf die Größe der Sowjetunion auszudehnen, die er immer wieder geäußert hat, weiterverfolgen könnte. Frieden will jeder – aber die allermeisten Europäer haben zurecht große Sorgen vor einem aggressiven Russland, das nach der Ukraine in Moldawien oder dem Baltikum genau so weitermachen könnte.
Wie ernst gemeint ist die Absage der Veranstalter an jene zumindest naheliegende Unterwanderung durch zumindest AfD-nahe oder rechtsradikale Kreise? Vieles bleibt hier ohnehin schwer zu fassen oder Spekulation – und die Unschuldsvermutung sollte gelten. Das Schubladendenken in „links und rechts“ hilft auch nicht weiter. Und Veranstalter Enrico Ullmann gab sich auch gestern im Gespräch gegenüber Ei-live sachlich: Man müsse die Vorwürfe gegen ihn akzeptieren, aber er habe sich dennoch nicht abschrecken lassen wollen. Die AfD habe mir der Veranstaltung nichts zu tun, das Ganze sei unparteiisch, sagt er – abgesehen davon, dass hier natürlich massiv die Ampel und vor allem die Grünen kritisiert werden.
Ob dahinter allerdings auch im Rahmen der Demo ausschließlich derartige Sorgen dahinterstecken, daran waren kurz nach Bekanntwerden der Demopläne Sorgen laut geworden, als immer mehr Bürger wissen wollten, wer denn Enrico Ullmann, der Anmelder der „BürgerDemo“, sei. Schnell stieß man dann auf diverse Posts, die für die AfD warben und mehr. Als Ei-live darüber berichtete, war die Aufregung groß. Der Landwirtschaftsverband LSV zog sich ebenso zurück wie andere Unternehmer. Die Demonstration wurde abgesagt. Dann die Kehrtwende. Enrico Ullmann und die Mitorganisatoren, die sich nach Angaben eines Mitglieds in einer WhatsApp-Gruppe organisiert haben, meldeten mit dem Slogan „Jetzt erst Recht!“ eine neue „BürgerDemo“ und distanzierten sich in der öffentlichen Einladung auch „von Propaganda, Hass und Hetze, nicht von Menschen“.
„Es fährt ein Land gegen die Wand“
Dennoch gab es auch bei der Demonstration gestern wieder Indizien, die erneut Fragen aufwerfen: Da war schon die Musikauswahl, die im Rahmen der Demonstration gespielt wurde. Die Playlist warf dann doch einige Fragen auf: Lieder wie „Es fährt ein Land gegen die Wand“ von „Alien’s Best Friend“ etwa. Das Video zum Lied kommt zwar mit dem Hinweis „Achtung Satire!“ daher, aber enthält ebenso wie die zahlreichen anderen Folgen, die es vom „Intermezzo des Tages“ der Band gibt, eben zu bekannten Schlagermelodien massive Vorwürfe und immer wieder Verschwörungsnarrative: „Stoppt die Irren!“, die das Land zerstören wollten, wie es im Liedtext der Band heißt, die schon bei den Querdenker-Demos in der Coronazeit regelmäßig gespielt worden war – damals noch unter der Großen Koalition wohlgemerkt. Alien’s Best Friend, das sind Sängerin Nathalie Brink und Musiker Christian Lotte aus der ländlichen Eifel. Bereits im Januar 2021 veröffentlichten sie „Wir sind soviel mehr“ – eine regelrechte Hymne für Deutschlands Querdenker – womit wir zurück in der Coronazeit wären. Die hallt offenbar nach – vielleicht in Form einer nachhaltigen Entfremdung von diesem Staat.
„Bayern steht zusammen“, so stand es gestern zudem auf der Bühne auf dem Volksfestplatz. Der Verein „Bayern steht zusammen“ allerdings ist auch einschlägig bekannt als aktiver Unterstützer solcher Proteste gegen die Politik. Das Thema: Nicht etwa die aktuelle Ampel-Politik, sondern: Corona. „Ein weiteres Jahr ist ohne eine breite gesellschaftliche Aufarbeitung der letzten dreieinhalb Jahre vergangen – ohne dass Politik oder Justiz auch nur ansatzweise einen kritischen Blick auf die zahlreichen Grundrechtseinschränkungen im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen und den inzwischen immer offenkundiger werdenden gesundheitsschädigenden Auswirkungen der „Impfung“ geworfen hätte“, heißt es auf der Internetseite der Organisation – was natürlich nicht ganz richtig ist: Schließlich gibt es sehr wohl eine kritische Aufarbeitung der Coronazeit, in der durchaus auch von wissenschaftlicher Seite manche Maßnahme kritisiert wurde und andere Empfehlungen für die Zukunft gegeben werden. Aber das reicht den Akitvisten nicht: „Im Gegenteil: Es wird nach wie vor vertuscht, verharmlost und die Menschen, welche dieses schreiende Unrecht klar benennen und gesellschaftlich anklagen, werden auch weiterhin diskreditiert und diffamiert“, heißt es auf der Vereinsseite weiter.
Video von Hendrik P.
Auf solche Bezüge einer weit fundamentaleren Kritik an Staat und Regierung weisen auch einige der Fahnen hin, die hier geschwenkt wurden – mit der Aufschrift „Macht Frieden“ der gleichnamigen Organisation, die sich selbst als „Bündnis oppositioneller Bürgerinitiativen“ bezeichnet und das am Samstag noch in der Landeshauptstadt gegen die Münchner Sicherheitskonferenz demonstriert hatte. Solche Indizien und die Einlassungen von „Hendrik P.“, der ein Youtube-Video über die Demonstration gemacht hat und auf dessen Seite auch Videos zum Thema „Remigration“ und anderen eindeutig rechtsradikalem Gedankengut geteilt werden, lassen vermuten, dass hier nicht nur heimische Bürger dabei waren – auch P. war wie offensichtlich auch einige andere Teilnehmer nicht aus der Region, sondern angereist.
War es nun eine reine Demonstration besorgter Bürger? In Teilen ja – die Sorgen vor sozialem Abstieg oder illegaler Migration müssen ernst genommen werden und sind per se nicht automatisch ideologisch. Wer aber dahinter ein abgekartetes Spiel geheimer Kräfte vermutet, Staat und Gesellschaft zutiefst misstraut, der driftet schnell ab und verliert sich in solchen Erzählungen und in den Narrativen der Hetzer, denen es oft nicht mehr um konkrete Politik geht, sondern um einen Systemwechsel. Wer dazwischen unterscheiden will, der muss genau hinschauen oder hinhören – wie bei jenem bereits erwähnten Lied der Band „Es fährt ein Land gegen die Wand“, das gestern auf der „BürgerDemo“ gespielt wurde. „Die Pandemie war nur ein Test. Der Mord war sorgsam inszeniert“, heißt es darin zur Schlagermelodie. Von „Enteignung“, „Klimalüge“, Krieg und „Messerstechern ohne Gesicht“ handelt der umgedichtete Schlager weiter – und von der „Transagenda bei den Kids – die Kinder sind ihr liebstes Spiel“. „Oh Deutschland“, heißt es darin weiter, „was auch immer mit dir geschieht, das ist gewollt, bitte glaub es mir!“ Auch das war gestern – gewollt oder ungewollt – neben jenen berechtigten Sorgen – Inhalt der „BürgerDemo“ – und sei es nur als Soundtrack.
„Nazis essen heimlich Döner“
Eichstätt. – Parallel zur „Bürgerdemo“ fanden sich gestern auf der gegenüberliegenden Seite des Volksfestplatzes rund 80 Leute für eine Gegendemonstration zusammen. Dazu aufgerufen hatte der „Offene Antifaschistische Treff Eichstätt“ (OAT). Die Veranstalter hoben dabei die Gewaltfreiheit ihres Protest hervor, als essenzielle Abgrenzung von den Aktivitäten anderer radikaler Kräfte im politischen Spektrum. Zuvor war der OAT bereits als Initiator der Demo „GemEInsam gegen rechts“ und anschließend auch Bündnispartner bei der Demokratiedemo von „Wir sind Eichstätt“ in Erscheinung getreten. Die Gruppe stellte gestern klar, dass sie für die Demokratie eintrete, man sich nicht grundsätzlich gegen das bürgerliche Milieu oder die Landwirte richte, sondern die Unterwanderung dieser durch rechtsextreme Akteure beobachte. Vor allem aber habe man ein Zeichen setzen wollen gegen die Unterwanderung bürgerlicher Proteste durch rechtsradikale Kräfte. Teilnehmer Andreas Kohout ergriff das Wort und sprach der „Bürgerdemo“ ihre Bürgerlichkeit und ihr Bekenntnis zur Demokratie sogleich ganz ab. „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ wurde immer wieder skandiert. Und: „Nazis essen heimlich Döner“, so stand es auf einem der Plakate – wohl als Hinweis auf die Remigrationsideen, die bei jenem Treffen in Potsdam geäußert worden waren, das das Recherchekollektiv „Correctiv“ aufgedeckt hatte und bei dem auch AfD-Vertreter anwesend gewesen waren.