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Poppers „Toleranz-Paradoxon“: „Wir sind Eichstätt“ mit breitem Schulterschluss gegen Faschismus

Zweite Demokratiedemonstration in Eichstätt mit rund 40 beteiligten Organisationen

Eichstätt. – „Alle zusammen gegen den Faschismus“ – mit diesem Slogan formulierte das offene Bündnis „Wir sind Eichstätt“ am Montag eine klare Botschaft. Die Kundgebung sollte an die Veranstaltung „GemEInsam gegen rechts“, organisiert vom ‚Offenen Antifaschistischen Treff Eichstätt’, anknüpfen beziehungsweise das Engagement gegen die extreme Rechte auch auf eine breitere zivilgesellschaftliche Basis stellen. Das gelang offenbar auch in beeindruckender Manier: Insgesamt bekannten sich über 40 lokale Vereine, Verbände, Organisationen, Gruppen und Parteien zu dem Schulterschluss.

Breiter Schulertschluss: Bei der Demokratiedemo von „Wir sind Eichstätt“ versammelten sich rund 800 Menschen und Vertreter von rund 40 Organisationen in Eichstätt. Die Moderation übernahmen Eva Chloupek und Hannah Meyer (Vordergrund von links). Fotos: Zengerle

Von Felix Knopp und Stephan Zengerle

„Alle zusammen gegen den Faschismus“, so lautete der Slogan, der wie schon bei der ersten Demonstration des Offene Antifaschistische Treffen (OAT) regelmäßig gerufen wurde. Und immer noch trauen sich offenbar nicht alle Teilnehmer, das wirklich laut zu schreien. Demonstrieren und öffentlich seine Meinung kundtun – das ist für viele etwas längst nicht Alltägliches. Dennoch erscheint es vielen heute offenbar notwendig. Die Stimmung war dennoch bestens auf dem mit rund 800 Menschen gut gefüllten Marktplatz am Montagabend. Immer wieder brandete Jubel auf, und so mancher Teilnehmer bekam feuchte Augen bei den zum Teil sehr egreifenden Reden – etwa wenn die Familie Nieberle die Geschichte ihres Vorfahren Franz Josef Nieberle erzählte, der von den Nazis ins KZ gebracht und gefoltert wurde, weil er nicht kooperieren wollte.

„Der größte Feind der Demokratie ist die Bequemlichkeit“, sagte der Eichstätter OB Josef Grienberger.

Darum ging es auch: zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt: dass Menschenwürde nur mehr für die gilt, die bestimmte Kriterien erfüllen. Gemeinsam mit Hannah Meyer als Vertreterin des Jugendforums Eichstätt moderierte die ehemalige Chefredakteurin des Eichstätter Kurier, Eva Chloupek, die Kundgebung, die diesmal nach der Kundgebung eigentlich keinen Demonstrationszug durch die Innenstadt umfasste, wie bei der Demo der Antifa. Der kam am Ende dann aber spontan doch noch. Mit einem flammenden Plädoyer für die Menschenwürde, „als Wesenskern der Zivilgesellschaft“, leitete Chloupek ein. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, so steht es in Artikel 1 des Grundgesetzes. Dieser Grundsatz gelte bedingungslos für jede Person in unserem Land und den müsse man wehrhaft verteidigen, so die Moderatorin.

„Dankbarer“ OB und ergreifende Familiengeschichte

Anschließend erhielt der Eichstätter Oberbürgermeister Josef Grienberger das Wort. Von ihm kam eine emotionale Rede für eine offene Gesellschaft, Demokratie und die klare Abgrenzung gegenüber extremistischen Bestrebungen. „Wenn Menschen sich dafür einsetzen, dass die Grundordnung unserer Demokratie gefährdet wird, dann gibt es keinen Kompromisse mehr“, stellte Grienberger klar. Zum Schluss seines Beitrages ließ er noch eine sehr persönliche Note einfließen. Es waren Worte der Dankbarkeit – dafür, dass er trotz einer schweren Behinderung – seine Sehleistung beschränkt sich auf zehn. Prozent des gewöhnlichen Sehvermögens – heute hier stehen dürfe. „Weil wir ein offenes, vielfältiges Land sind, das allen Menschen Chancen bietet, war es mir möglich, meinen Weg zu gehen. Dafür bin ich dankbar.“ Er versicherte, auch aus diesem Grund alles in seiner Macht Stehende zu tun, um sich gegen Extremismus einzusetzen.

Abenddämmerung für die Demokratie? Wenn es nach den Demonstranten geht, dann nicht – im Gegenteil.
Die ergreifende Geschichte ihre Großvaters erzählte die Familie Nieberle. Foto: Straßer

Dass der Schrecken des Faschismus zwar vermeintlich lange her ist, aber eben manchmal auch immer noch ganz nah, vermittelte hautnah die Familie Nieberle. Ihr Opa Franz Josef Nieberle aus Weigersdorf war Landwirt, Bürgermeister und engagiertes Mitglied der Bayerischen Volkspartei, einem direkten Vorgänger der heutigen CSU. Seine Enkelkinder Josef Hirschbeck, Walburga Bauer-Strobel und Katharina Nieberle-Göpfert erzählten auf der Kundgebung von seinem Schicksal. Nieberle setzte sich früh kritisch mit den Zielen der NSDAP und Hitlers Buch „Mein Kampf“ auseinander und tat das auch öffentlich.

Höckes „Drohung an uns alle“

Weil er nicht habe kooperieren wollen, sei sein Hof in Weigersdorf von der von der SA gestürmt worden, und Nieberle sei dreinal verhaftet und im KZ Dachau eingesperrt und schon bei der Ankunft brutal gefoltert worden. Den Aufenthalt, durchzogen mit weiteren Folterungen, überlebte er nur dank der Unterstützung seiner Mithäftlinge. In eindrücklichen Worten erinnerte seine Nachkommen daran und nahmen auch Bezug auf die Gegenwart: „Eine Drohung an uns alle“ – so nannte Hirschbeck einige Ausschnitte aus einem Buch Björn Höckes. Darin war bereits 2018 die Rede von Remigrations-Projekten, ‚wohl-temperierter Grausamkeit‘ und dem Verlust ‚zu schwacher‘ und ‚unwilliger’ Teile des ‚Volkskörpers‘.

Die Teilnehmerschaft der Veranstaltung gebe die Diversität der Eichstätter Zivilgesellschaft wieder – das betonten auch die Veranstalter immer wieder: Menschen aller Altersklassen, mit verschiedensten kulturellen und sozialen Hintergründen hatten sich versammelt, um sich gemeinsam für Vielfalt, Demokratie und Menschenrechte einzustehen. Insgesamt waren es laut offiziellen Angaben etwa 800 Leute. Den Initiatoren war es gelungen, selbst politisch sehr unterschiedliche Akteure wie die Linkspartei und die Jugendorganisation der CSU ‚Junge Union‘, die sonst wenig bis gar nichts miteinander zu tun haben möchten, in ihrem Bündnis zu vereinen. Wertschätzung dafür äußerte auch David Capriati von den Wirtschaftsjunioren Eichstätt: „Dass es den Veranstaltern der heutigen Kundgebung gelungen ist, ein breites Bündnis aus der Mitte der Gesellschaft zu mobilisieren, ist beeindruckend. Chapeau an Eva Chloupek und ihre Mitstreiter!“

„Ich habe Angst!“

Florian Siegmund sprach als Teil der ‚queeren‘ Community Eichstätts. „Ich habe Angst!“, gab er offen zu und nahm Bezug auf LGBTQ-feindliche Entwicklungen in den USA und Europa. Doch Versammlungen wie diese gäben ihm Hoffnung. Der Abend blieb aber auch nicht ganz frei von politischen Meinungsverschiedenheiten: Mit seinem Redebeitrag distanzierte sich Johannes Scharl, Kreisobmann des Bauernverbandes, deutlich von jeglicher extremistischer Vereinnahmung. „Die Landwirtschaft ist bunt, die Landwirtschaft ist vielfältig“ und das bleibe auch so, versicherte er.

Buhrufe für Landwirtschaftsvertreter

Foto: Straßer

Während seines Appels, nicht jeden Ampel-Kritiker und jene, denen im Dialog oder während des Protests, aus Emotionalität und in der persönlichen Betroffenheit, mal über das Ziel hinausschössen, in die rechtsradikale Ecke zu stellen, gab es Buhrufe. Diese gingen offenbar hauptsächlich von einer kleinen Gruppe an Teilnehmern mit Flaggen der Antifaschistischen Aktion aus. Noch während der Rede skandierten diese lautstark „Alerta! Alerta! Antifascista!“. Scharl ließ sich davon jedoch nicht beirren und beendete sein Statement planmäßig mit den Worten: „Dialog ist angesagt und zuhören gehört unbedingt dazu.“ Eva Chloupek nahm in ihrer Überleitung zum nächsten Beitrag Bezug auf die Ereignisse und stellte klar: „Wir sind vielfältig, wir sind die Mitte und da gehört der Bauernverband auch dazu.“

Pfarrerin Anna Grapentin richtete sich mit den Worten „Fürchtet euch nicht“ an die Menge. „Solange wir zusammenhalten und daran glauben, dass jeder Mensch eine Würde hat, können wir auch die schützen, gegen die sich diese falschen Parolen richten.“ Sie warb für Zuversicht und gesellschaftlichen Zusammenhalt: „Wenn wir gemeinsam an unserer Zukunft arbeiten und uns auf Augenhöhe begegnen, gibt es Hoffnung für unsere Gesellschaft, der auch alle einen Platz haben.“

Ulrike Schurr-Schöpfel bezog Stellung für den ,Arbeitskreis Shalom für Gerechtigkeit und Frieden‘. Auch sie bezog sich auf das Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar, ungeachtet der Hautfarbe, Herkunft, Sexualität oder wie ‚nützlich‘ jemand für die Gesellschaft gehalten wird.“ Volksmusiker Andreas Würzburger rief schließlich dazu auf „klare Grenzen zu ziehen und für unsere gemeinsamen Werte einzustehen“ – auch am Stammtisch oder in den sozialen Medien, wo es eben oft gar nicht so sozial zugehe.

„Toleranz-Paradoxon“

Doch was lässt sich mit so einer Aktion überhaupt erreichen? Chloupek gab sich schon zu Beginn nur bedingt optimistisch, manche Menschen zu einer Umkehr zu bringen. „Eingefleischte Faschisten und Rassisten werden wir mit unserer Kundgebung heute nicht überzeugen.“ Doch gerade für Verzweifelte und diejenigen, die ‚Protest‘ wählten, sei dieser Abend ein starkes Signal, erklärt sie. In der Tat: Ein breites Bündnis aus verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen mit unterchiedlichen Meinungen hat damit erneut ein Zeichen gesetzt.

Aber eines ist für Eva Chloupek auch klar: Nichts zu tun, ist keine Lösung. Es geltze das „Toleranz-Paradoxon“ von Karl Popper: Dort, wo eine tolerante Gesellschaft durch Intolerante Kräfte bedroht werde, dürfe sie an dieser Stelle selbst intolerant sein – sonst drohe ihr schließlich die Vernichtung. Der Abend stand ansonsten eindeutig im Zeichen des Grundgesetzes, der Vielfalt und der Demokratie. Damit fand man die Grundlage für einen breiten Schulterschluss der Zivilgesellschaft. ‚Wir sind Eichstätt’ kündigte weitere Aktionen an.

Spontaner Demonstrationszug

Die Veranstaltung am Marktplatz war eigentlich schon beendet, als sich doch noch ein kleiner Demonstrationszug in Bewegung setzte. Der „Offene Antifaschistische Treff Eichstätt“ meldete spontan eine weitere Demonstration an, und rund 30 Leute folgten dem Zug durch die Innenstadt. Lautstark wurden Parolen skandiert wie „von Eichstätt bis nach Rojava – Widerstand heißt Antifa“, „Feuer und Flamme den Abschiebe-Behörden!“ und „One solution: revolution!“. Die Sprechchöre forderten zudem ein Verbot der CSU. Neben Antifa-Logos schwenkte die Gruppe auch ‚Fridays for Future‘-Fahnen.

„Mit unserer Eilversammlung wollten wir zum Ausdruck bringen, dass wir mit der Verhamlosung rechter Positionen durch mehrere Render*innen nicht einverstanden waren und sind“, heißt es in einer Stellungnahme der des OTA dazu. „Die Gleichsetzung von Links-und Rechtsextremismus entspricht nicht der statistischen Faktenlage und ist im Kontext einer Kundgebung mit dem Slogan ,Gemeinsam gegen Rechts‘ unpassend und gefährlich. Da wir es trotz unserer Mitarbeit im Bündnis ,Wir sind Eichstätt‘ als unsere Aufgabe sehen, auf alle Gefahren von rechts hinzuweisen, haben wir einen spontanen Protestzug angemeldet. „Wehret den Anfängen!“, so lautete also auch hier die klare Botschaft am Montagabend.

 

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