Eichstätt. – „Meinungsbildung und Meinungsfreiheit im Zeitalter sozialer Medien“ – schon der Titel weist auf die tiefgreifenden Veränderungen und Herausforderungen hin, die die sogenannten sozialen Medien für Presse, Demokratie und Gesellschaft bringen. Wem kann man noch glauben in Zeiten, in denen sich reales und digitales Leben vermischen, in denen selbst Videos manipuliert sein können und wildeste Verschwörungstheorien in den digitalen Filterblasen ihr gläubiges Publikum finden? Und was bedeutet das für die Demokratie, besonders im Hinblick auf junge Menschen, die sich besonders stark aus manchmal zweifelhaften digitalen Quellen informieren? Darüber haben diese Woche die Teilnehmer einer Diskussionsrunde im Büro für die Bürgerschaft der KU in Eichstätt diskutiert. Das Fazit: Es gibt viel zu tun, aber auch Hoffnung.
„Das Jahr der Nachricht“ hat ein Bündnis großer deutscher Medien von den öffentlich-rechtlichen über die RTL-Gruppe oder den Spiegel gerade erst für 2024 ausgerufen. Das Ziel: Ein Zeichen gegen die Flut an Falschnachrichten im Internet zu setzen, die auch in Nach-Corona-Zeiten viele Menschen in die Irre führen, und die Bedeutung des Journalismus sichtbar zu machen. Bei aller bisweilen berechtigten Kritik – Journalismus habe nichts von seiner Bedeutung verloren und müsse Teil der Lösung sein, so Annika Sehl, Journalistikprofessorin an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU), die intensiv zum Einfluss der digitalen Plattformen auf die Medien forscht und Mitglied im „Zukunftsrat“ ist, der die öffentlich-rechtlichen Medien auf dem Weg in die Zukunft begleiten soll.
Die Rolle des Journalismus habe sich allerdings verändert: vom „Gate Keeper“, dem „Schleusenwärter“, der Nachrichten prüfe und nach professionellen Kriterien auswähle und aufbereite, hin zum „Gate Watcher“: einer Art wachsamem Beobachter all dessen, was an Nachrichten in die Welt hinausströmt – jener Flut an Botschaften aus unzähligen, oft gar nicht mehr nachvollziehbaren Quellen, die auch für Überforderung sorge.
Zuhören und „Gelten-Lassen“
Viele Jugendliche informierten sich vorwiegend digital und aus sozialen Medien – und seien dadurch auch manipulierbar, so Nicole Balzer vom Haus der Jugend in Eichstätt und Evelyn Hermannseder vom Stadtjugendring Ingolstadt. Jugendliche würden sehr stark von ihrem sozialen Umfeld, von der Familie beeinflusst, aber eben auch von digitalen „Freunden“, die so mancher Falschmeldung vermeintliche Glaubwürdigkeit verleihen könnten. Im Umgang mit den Jugendlichen gehe es auch im Hinblick auf extremen Meinungen immer zuallererst um Beziehungsarbeit, sagt Balzer. Zuerst einmal sei das Zuhören und „Gelten-Lassen“ wichtig, um dann später aufzuzeigen, dass es eben auch gute Gründe für andere Meinungen gebe.
Glaubwürdigkeit sei auch für den Journalismus entscheidend, bestätigt Sehl. Es gebe viele, vor allem extreme Kräfte, die genau dieses Vertrauen in die Medien untergraben wollten. Journalistische Angebote müssten durch gute Recherche überzeugen, dabei transparent und in den sozialen Medien präsent sein, ohne sich allzu sehr in Abhängigkeit der Digitalkonzerne zu begeben, denen es in erster Linie um Gewinnmaximierung gehe. Auch das journalistische Selbstverständnis habe sich verändert: „Was im Donaukurier nicht passiert, existiert nicht“ – diese Überzeugung früherer Jahre gebe es heute in dieser Form nicht mehr, sagt Marco Schneider, Redaktionsleiter des Eichstätter Kurier. Stattdessen versuche man vor Ort im Kontakt zu sein und durch neue Formen und Diskussionsmöglichkeiten wie „Townhalls“ oder Angebote in sozialen Medien, Jugendliche für die eigenen Inhalte zu gewinnen – inklusive Rückkopplung auf die Interessen des Publikums. „Aber da gibt es sicher noch Luft nach oben.“
Bei aller Bedrohung durch die Flut an „Fake News“ gebe es auch viele positive Entwicklungen. Auch junge Menschen seien zum Beispiel bereit, trotz der „Kostenlos-Mentalität“ im Internet für gute journalistische Inhalte zu bezahlen, weiß Sehl aus Studien. Bei privaten wie auch den öffentlich-rechtlichen Medien habe sich auch im Bereich der Faktenchecks und neuen Angeboten schon viel getan, so ihre Zwischenbilanz bei der Diskussionsrunde – etwa durch neue Debattenformate wie „13 Fragen“ im ZDF, in dem kontrovers diskutiert wird und das sich besonders an junge Leute richtet. Demokratie müsse auch im digitalen Raum wehrhaft sein und gegen Hassbotschaften und Propaganda vorgehen. Aber sie müsse auch eine breite Vielfalt von Meinungen aushalten – da waren sich alle Diskutanten einig.
AfD bei U18-Landtagswahl zweitstärkste Kraft
Das unerwartet starke Abschneiden der AfD als zweitstärkste Kraft mit fast 15 Prozent bei der U18-Landtagswahl jedenfalls habe durchaus überrascht, sagt Hermannseder. Auch wenn das Ergebnis vielleicht nicht repräsentativ sei – „wir haben immer gedacht, dass Jugendliche eher links-liberal wählen. Aber vielleicht ist das Wahlverhalten hier doch nicht so anders als bei den Älteren.“ Man sei hier noch in der Aufarbeitung. Viele Jugendliche würden sich auch eher in den privaten Raum zurückziehen. Von 10.000 jungen Menschen, die man angeschrieben habe, am Ingolstädter Jugendparlament teilzunehmen, habe man nur 45 gewinnen können, an dem Gremium teilzunehmen. Dort werde ein breites Spektrum an Meinungen zugelassen und man greife nur ein, wenn die Demokratie angegriffen und Hassrede geführt werde.
Entscheidend sei vor allem, Kindern und Jugendlichen das richtige Rüstzeug in Form von Medienkompetenz mit auf den Weg zu geben: Eltern sollten mit ihren Kindern über deren Medieninhalte sprechen, ihnen helfen, Dinge einzuordnen und sie zu hinterfragen. Schule und Bildungseinrichtungen müssten noch viel mehr tun, um junge Menschen zu befähigen, Quellen zu prüfen, Narrative zu erkennen und letztlich seriöse Informationen von Fake News zu trennen. Auch die KU wolle durch öffentliche Angebote wie die Veranstaltungsreihe „Wozu Demokratie?“, in der die Diskussion stattfand, dazu beitragen, so Moderator Thomas Metten, der die Runde präzise moderierte, zu der am Dienstagabend allerdings nur eine Handvoll Bürger gekommen war. Man dürfe vielen Jugendlichen aber auch viel zutrauen – da waren sich die Diskutanten einig. Sie seien die Halbwahrheiten des Internets gewöhnt und wüssten sie manchmal besser einzuschätzen als so mancher Erwachsene. Dennoch: Es gebe viel zu tun, wenn politische Meinungsbildung, öffentlicher Diskurs und damit auch Demokratie weiter fundiert und auf Fakten basiert funktionieren solle. Die Flut der Informationen, die durch die Schleusen dringe, wird jedenfalls nicht kleiner.