Eichstätt. – Es ist mucksmäuschenstill in der Trainingshalle der DJK Eichstätt: Eine Gruppe von weiß gekleideten jungen Menschen, etwa 15 an der Zahl, steht einer zierlichen Frau, ebenfalls weiß gekleidet, gegenüber. Sie begrüßen einander durch eine Verneigung, es bleibt still im Raum. Wir sind Zeuge der rituellen Begrüßungszeremonie, wie sie jeder Taekwondo-Sportler zu Beginn einer Trainingseinheit vollzieht, weltweit und in Eichstätt. Doch hier gibt es heute ein besonderes Novum: Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern des Willibald-Gymnasiums hat sich über ein halbes Jahr lang auf eine Taekwondo-Prüfung vorbereitet, und nun ist es endlich soweit: Sie bekommen ihre erste, hochoffizielle Urkunde der Deutschen Taekwondo Union, dem einzigen in Deutschland anerkannten Fachsportverband für olympisches Taekwondo, und damit auch ihren ersten Gürtel in der koreanischen Kampfsportart Taekwondo.
Von Andreas Graf
Es ist so still in der Trainingshalle, dass man fast schon die berühmte Stecknadel hören könnte, wenn nicht der Untergrund so weich wäre. Doch freilich geht hier in erster Linie nicht um Stille. Die Stille ist vielmehr die Konsequenz aus der Art und Weise, wie sich Meister und Schüler begegnen: In Reih und Glied stehen die jungen Menschen ihrem Meister (oder hier besser: Meisterin) gegenüber, akkurat und penibel aufgestellt und der Stellenwert der Disziplin in dieser Sportart wird unmittelbar sicht- und spürbar. Die einheitliche, uniform-artige Kleidung unterstützt den Eindruck eines in sich homogenen, stimmigen Kollektivs. Doch bei all dieser über allem schwebenden Korrektheit breitet sich vor allem eine friedliche Atmosphäre aus, denn auch wenn Taekwondo eine Kampfsportart ist, so geht es nicht darum, jemanden zu verletzen.
Schon bei dieser Begrüßungszeremonie wird klar, dass es sich beim Taekwondo-Sport nicht nur um eine Leibesertüchtigung handelt, sondern auch um eine Lebensschule. „Wenn wir uns zu Beginn einer Trainingseinheit begrüßen, dann drücken wir unserem Gegenüber Respekt und Vertrauen aus“, sagt Angelika Bußmann, die einerseits zertifizierte Schulsporttrainerin sowie Trainerin C für Taekwondo ist, andererseits aber auch Lehrerin für Mathematik und Schulpsychologie am Willibald-Gymnasium. Jeden Freitagnachmittag schlüpft sie daher nach der Lehrerrolle in die Funktion einer Anleiterin im Schulsport.
Die Verbeugung ist auch das Signal, von nun an höchste Konzentration walten zu lassen: Denn die ist bei einer Kampfsportart wie Taekwondo unabdingbar, wenn es darum geht, die verschiedenen Fuß- und Handtechniken zu erlernen und in unterschiedlichen Kontexten anzuwenden. Denn Kraft wird hier nicht durch den stumpfen Einsatz von Muskeln entwickelt, obgleich diese durch das Training ergänzend gestärkt werden. Vielmehr sorgen korrekt ausgeführte Techniken für eine ungleich größere und präzisere und gleichzeitig sogar weniger anstrengende Kraftentwicklung, die zum Ende einer jeden Trainingseinheit sichtbar gemacht und auf die Probe gestellt wird: Jeder, der möchte (und das sind immer alle), darf mit einer eingeübten Technik spezielle Bretter durchkicken oder -schlagen.
Komplexe Koordinations- und fordernde Dehnübungen als Basis
Doch bis es soweit ist, warten in der bevorstehenden Trainingseinheit noch andere Herausforderungen auf den Taekwondo-Nachwuchs: Von komplexen Koordinationsübungen über fordernde Dehnübungen, die dem Körper helfen, sich aktiv vom langen Sitzen zu regenerieren und das Körpergefühl zu verbessern, bis bin zu Partner- oder Teamübungen, bei denen es um die Einübung realistischer Selbstverteidigungstechniken geht, oder auch spielerische Wettkämpfe mit nur leichtem Körperkontakt. Wer „richtig“ kämpfen möchte, mit Schutzausrüstung in einem Modus, der Sieger und Verlierer hervorbringt, der ist im Vereinstraining des PSV gut aufgehoben, da der Zweikampf kein Element des Schulsporttrainings ist.
Doch auch ohne den Zweikampf üben sich die Sportler in einer wettkampftauglichen Disziplin: dem Formenlaufen. Hierbei geht es darum, eine Art Choreografie aus zum Teil spektakulären Techniken zu zeigen und die Ausführung jener zur Perfektion zu bringen. Körperbeherrschung par excellence. Doch egal, ob der Schwerpunkt einer Einheit auf Selbstschutztraining, Koordinations- und Kraftentwicklungstraining, koordiniertem Wettkampf oder dem Techniktraining mit dem Formenlauf liegt: „Der Spaß ist noch nie zu kurz gekommen“, sagt Angelika Bußmann. „Spätestens wenn die Pratzen, also die Schlagpolster zum kraftvollen Üben der Techniken auf ein Ziel, ausgepackt werden, haben alle ihr Mittagstief überwunden und sind voll bei der Sache. Vielen sieht man es richtig an, wie gut es ihnen tut, ihren Kräften gefahrlos und in geschützter Umgebung freien Lauf zu lassen und die Kraftentwicklung ihres Körpers zu spüren.
Novum in Schullandschaft und „Meister-Trainerin“
Das Angebot im Bereich des Schulsports des Willibald-Gymnasiums ist seit über einem Jahr ein Novum in der örtlichen Schullandschaft. Dass Schüler sich allerdings auch noch einer Prüfung in einer koreanischen Kampfsportart unterziehen und diese auch allesamt bestehen, diese Tatsache stellt in Eichstätt eine weitere Premiere dar. Umso glücklicher stehen die Nachwuchs-Taekwondo-Sportler auf ihrer Matte und strahlen ihrer Trainerin Angelika Bußmann in die Augen.
Und in der Tat haben die Schüler des Willibald Gymnasiums in Angelika Bußmann „ihren Meister“ gefunden: Bußmann ist immerhin dreifache Deutsche Meisterin und gemeinsam mit ihrem Mann, Michael Bußmann, dem zweimaligen Weltmeister, dürfen die beiden damit als eines der erfolgreichsten Taekwondo-Paare Deutschlands gelten. Seit eineinhalb Jahren nun unterrichtet sie jeden Freitag Nachmittag für etwa 90 Minuten interessierte Schüler am Willibald-Gymnasium in ihrer Passion. „Für diese Sportart ist prinzipiell jeder geeignet. Es ist eine sehr gute Schulung für das Körpergefühl, denn bei dieser Sportart werden beide Körperhälften in symmetrischer Weise gleich beansprucht“, sagt Bußmann. „Besonders schön ist auch, dass die jungen Taekwondo-Sportler schnelle Erfolgserlebnisse verbuchen können. Das stärkt das Selbstbewusstsein ungemein“, verrät Bußmann. „Und nicht zuletzt legen wir ganz großen Wert auf den Zusammenhalt in unserer Gruppe: Jeder unterstützt jeden, man hilft einander, ist sich Trainingspartner. Und niemals Gegner.“
Und so haben die Nachwuchs-Kampf-Sportler in den vergangenen Monaten auf vielen verschiedenen Ebenen dazugelernt: Geistig in Sachen Teamentwicklung und Disziplin und physisch im Hinblick auf Körpergefühl und -kraft. Waren der aktuellen Gruppe Begrifflichkeiten wie Fauststoß oder Handkante vor einem halben Jahr noch unbekannte Fremdwörter, so sind sie ihnen jetzt in Mark und Bein übergegangen und können ohne Zögern wiedergegeben werden. Und die Mühe der zahlreichen Trainingsstunden hat sich ausbezahlt: Alle angetretenen Schüler haben die Prüfung bestanden, sie dürfen sich nun mit einem gelb-weißen Gürtel schmücken, dem so genannten neunten Kup.
„Glücksfall für mich“
Einer der Prüflinge ist Lenno. Der Sechstklässler ist durch einen Mitschüler auf das besondere Sportangebot aufmerksam geworden. Seit einem halben Jahr trainiert er nun mit. „Ich habe mich schon immer für Kampfsport interessiert“, sagt der Blondschopf. „Dass ich Taekwondo nun auch an der Schule machen kann, ist ein Glücksfall für mich.“ Ein paar Schüler trainieren zusätzlich auch im Verein, dem Polizeisportverein Eichstätt (PSV), in deren Sparte auch Bußmann trainiert. Der Verein sieht das schulische Angebot dabei in keinster Weise als Konkurrenz, ganz im Gegenteil: „Über den schulischen Sport können wir auch Mitglieder für den Verein gewinnen“, verrät Bußmann.
„Alles in allem geht es vor allem darum“, meint die Trainerin, „dass Schülerinnen und Schülern mit Taekwondo als Schulsport eine tolle Möglichkeit geboten wird, sich gemeinsam mit anderen zu bewegen, Spaß zu haben, sich fit zu halten oder zu werden und auf vielen verschiedenen Ebenen zu profitieren. Jeder, der zu uns stößt, wird ganz herzlich aufgenommen und ist dann Teil der Taekwondo-Gemeinschaft Willibald-Gymnasium.“ Also: Auf geht’s – yeogi ganda!