Eichstätt. – Nein, „koit“ (kalt) war es für die Jahreszeit seit Wochen nicht. Dennoch werden die Eichstätter Schäffler morgen wieder ihren traditionellen Ohrwurm „Oba heit is koit“ anstimmen – und zwar zum ersten Mal seit acht Jahren bei einem öffentlichen Auftritt: Mit einem Jahr „Coronaverspätung“ wird die jahrhundertealte Schäfflertradition, die in Eichstätt im Jahr 1966 neu begründet und seitdem normalerweise alle sieben Jahre gepflegt wird, wieder lebendig – und zwar auch nach einem ganz klar festgelegten Prozedere.
Der erste Tanz gilt immer dem Eichstätter Bischof, der zwar heute in Rom weilt, um sich von Papst Benedikt XVI. zu verabschieden, aber bis morgen zurückerwartet wird. Morgen aber wird er etwa Aufheiterung durch die Schäffler erfahren: Los geht es um 13.30 Uhr vor dem Bischofspalais am Leonrodplatz in Eichstätt. Weiter geht es um 14.30 Uhr auf dem Marktplatz mit dem Tanz vor dem Rathaus zu Ehren des Oberbürgermeisters, ehe um 15.30 Uhr der dritte Tanz der Äbtissin und dem Kloster St. Walburg gewidmet ist.
Um 17 Uhr kommt dann auch der Landrat in den Genuss des „Oba heit is koit“ – und ja vielleicht eines der herzhaften Schäffler-Getränke, die man gege einen „Obolus“ erwerben kann und die wie die Gelder der Stifter des jeweiligen Tanzes auch einem wohltätigen Zweck in Eichstätt zufließen. So steht es in der Satzung, des Vereins, der den Schäfflertanz trägt. Aktuell sind auf der Homepage der Eichstätter Schäffler bereits rund 60 Auftritte im detail aufgeführt. Es seien aber schon weit mehr, sagt Klaus Dorsch, ebenfalls eingefleischter Schäffler wenige Stunden vor der Generalprobe am heutigen Abend.
Rund 90 Tänze seien insgesamt geplant, bis die Saison mit dem Ende des Faschings auch zuende geht. Ob es bis dahin noch einmal so richtig „koit“ wird, bleibt abzuwarten. Die Schäffler werden so oder so tanzen – so will es die uralte Tradition (siehe Kasten unten).
Die Termine und die Daten der öffentlichen Auftritte der Schäffler finden Sie auf der Homepage (einige werden noch ergänzt) unter https://www.schaefflertanz.de/termine/ – oder EINFACH HIER KLICKEN!Die Schäfflertradition:
Ein Jahr Verspätung und die Metapher des Schäfflertanzes
Die Pause ist ohnehin lang: Die Schäffler tanzen schließlich auch in normalen Zeiten nur alle sieben Jahre. Normalerweise wäre es im letzten Jahr wieder so weit gewesen: Am 6. Januar hätte Reifenschwinger Karl Daum mit seinem Prolog das Schäfflerjahr 2022 eröffnet: „Ihr Bürger der Stadt! Die Sieben sind um! Schon gellen die Pfeifen. In zierlichen Reifen. Die Gläser geschwungen. Den Achter geschlungen. Wohlauf nun zum Tanz. Mit dem buchsenen Kranz“. Aber das Jahr 2022 ist für die Eichstätter Schäffler quasi zum sprichwörtlichen „verflixten siebten Jahr“ geworden: Wegen der Coronapandemie musste ihr traditionsreicher Tanz abgesagt werden und soll im nächsten Jahr nachgeholt werden. Dafür geht es morgen – pünktlich zum 6. Januar – wieder los – und eine lange gepflegte Tradition wird fortgeführt.
2015 sangen, spielten und tanzten sie zum letzten Mal zum volkstümlichen Ohrwurm „Oba heit is koit“ – den man anschließend auch gefühlt sieben Jahre lang nicht aus dem Kopf kriegt – zumindest, wenn man auch noch den einen oder anderen Schäffler-Schnaps dazu trinkt. Bis zum nächsten Schäfflerjahr eben. Vorsitzender und Erster Reifenschwinger Karl Daum hat für uns im Eichstätzter Journal (Ausgabe 01/2022) an die Schäffler-Tradition erinnert, die mit eben jenem Prolog, mit dem auch morgen wieder vor dem Bischofspalais der erste Tanz und damit die Saison eröffnet wird, beginnt. Die mache auch in schweren Zeiten immer Mut – schließlich ist die Schäfflertradition nach der Pestepidemie entstanden:
Die Schäfflersaison beginne alle sieben Jahre am 6. Januar mit einem Tanz zu Ehren des Bischofs, erklärt Karl Daum. 2022 aber mussten die Eichstätter Schäffler erstmals seit ihrer Neugründung im Jahre 1966 den Sieben-Jahres-Rhythmus coronabedingt unterbrechen. „In dieser Zeit der Einschränkungen heißt es nun zum Wohle aller Verzicht zu üben, um zu einem späteren Zeitpunkt tanzend und spielend auf den Straßen der Stadt unbeschwerte Freude zu schenken“, sagte er im Schäffler-Jargon im letzten Jahr – und freut sich nun seit Wochen trotz des erheblichen Aufwands in Sachen Proben auf die Schäffler-Saison 2023.
Aber worum geht es eigentlich bei der Schäfflertradition? Der Tanz wolle der barocken Lebensfreude der Stadt Eichstätt und ihrer Bürger Ausdruck verleihen – und das in vielen geordneten Formen, in denen synchrone Schrittfolgen gefragt seien und buchstäblich keiner aus der Reihe tanzen dürfe – einmal abgesehen natürlich von den Schabernack des „Kasperls“, der auch dabei ist und seine Späße treibe, erklärt Daum. Der Vortänzer gebe den Takt an und eine feste Folge der Figuren vor. Das Senken der grünen Bögen, die die Tänzer über ihren Köpfen halten, zum Gruß solle die Hochachtung gegenüber dem Stifter der jeweiligen Aufführung und den Anwesenden ausdrücken. „Der große Tanz im Lebenskreis beginnt“, erklärt Daum philosophisch: „Die einzelnen Figuren symbolisieren das Leben mit seiner Freude und seinem Leid, mit dem Mut zum Neuanfang, mit Hoffnung und Dank.“
Ursprung im Pestjahr 1517 in München
Der Ursprung der altbayerischen Schäfflertänze liegt in München. Dort wütete 1517 der „Schwarze Tod“. Nach der Pestepidemie trauten sich die Überlebenden zunächst kaum mehr auf die Straße. Die Fassmacher, auch Schäffler genannt, waren die ersten, die es wieder nach draußen drängte. Ihre Zunft führte allerlei Spektakel auf, um auch die anderen Bewohner Münchens wieder auf die Straße zu locken. Erst 1702 wird allerdings erstmals von einem Tanz der Schäffler berichtet, der seit 1760, als der Kurfürst den Schäfflern alle sieben Jahre einen Zuschuss zusagte, regelmäßig aufgeführt wird. Seitdem ist jedes siebte Jahr nicht nur sprichwörtlich ein „verflixtes“, sondern auch ein Schäfflerjahr.
Dem gennanten Gruß zu Beginn folge zuerst der Laubentanz, so Daum. Er versinnbildliche paradiesische Harmonie der mit Gott und untereinander versöhnten Menschheit unter dem bergenden Dach der immergrünen Kränze – „hoffnungsvoller Rückzugsort und Ruhepunkt bis zu dem Tag, an dem der Friede gestört wird: Im Schlangentanz schleiche dann der Widersacher durch die aufgelösten Laubengänge: die Flucht der Getriebenen beginnt“, führt Daum in bildlicher Sprache weiter aus. „Die Schlange steht allegorisch für alles, was die göttliche und menschliche Ordnung aus dem Gleichgewicht bringt.“ Im Jahr 1517, als in München erstmals die Schäffler getanzt haben sollen, sei es die Überwindung der Pest gewesen, in unseren Tagen sei es im letzten Jahr mit Corona eine ähnliche Krankheit gewesen – aber auch Misserfolg, Krieg, Streit und Missgunst vielleicht. Hätten sie getanzt, hätten sich die tanzenden Schäffler von derlei Ungemach nicht beirren lassen und ihren Tanz in stoischem Rhythmus fortgesetzt.
Das „Räderwerk des Lebens“ und neuer Mut nach Rückschlägen
Nach Niedergeschlagenheit durch Pest, Krankheit und Tod fordern die Schäffler nun im Tanz der vier kleinen Kreise auf, das Leben mit neuem Mut in die Hand zu nehmen. „Das Räderwerk des Lebens muss auch nach Niederlagen und Rückschlägen wieder ineinander laufen, sorgt es doch letztlich für Wohlstand und Zufriedenheit“, erklärt Daum. Gott richte auf nach jedem Scheitern. Es liege am Menschen, immer wieder neu zu beginnen – so die Botschaft. Die schäfflertypischen Fassschläger symbolisieren diesen Aufbruch durch Arbeit, die nach überstandener Pest wieder zum Alltag der Menschen gehören soll.
„Geht aufeinander zu und seid fröhlich!“
Dieses Streben nach Wohlstand sei allerdings keine egozentrische Einbahnstraße: Die vier kleinen Kreise lösen sich auf in den großen Kreistanz aller Teilnehmer. Das Streben des Einzelnen soll von Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft getragen sein, „nur dann mündet alles in ein schöpferisches und verantwortungsvolles Ganzes“, erläutert der Eichstätter Reifenschwinger. Beim Changieren oder „Kontratanz“ bewegen sich die Schäffler dann grüßend aufeinander zu und ermahnen die Umstehenden: „Der schwarze Tod ist besiegt. Begegnet einander und sorgt euch umeinander, geht aufeinander zu und seid fröhlich!“
Alle Figuren beginnen und enden im Kreis, dem Symbol für das Vollkommene, das Ewige, für das es keinen Anfang und kein Ende gibt: Hoffnung, Glück, Freundschaft, Liebe. Schließlich strebt der Tanz dem Höhepunkt zu: der Krone, die von den 16 Tänzern geformt wird. Die Mitte der Krone bildet auf dem Kronenbaum eine goldene Kugel, die von einem Kreuz bekrönt wird. „Stat crux – dum volvitur orbis!“, lautet die lateinische Botschaft: „Die Welt mag sich drehen – das Kreuz bleibt bestehen!“
Schließlich wird der Kronenbaum erhoben und auf das Fass als Symbol der Schäfflergilde gestellt: „In der Arbeit soll sich der Mensch selbstverwirklichen, dabei aber nicht vergessen, dass das Göttliche über allem steht“, erklärt Daum. Daran erinnert auch der Reifenschwinger, wenn er mit dem anschließenden Reim auf den Großmut der Stifter den Tanz mit dem Ruf beendet: „zur größeren Ehre Gottes und dass er dem Deife recht stinkt!“
Tanzen für wohltätige Zwecke
„Dieser Verpflichtung stellen sich die Eichstätter Schäffler mit einer in Bayern wohl einmaligen Vereinssatzung, in der festgeschrieben ist, dass der Reinerlös der Tanzsaison einem wohltätigen, caritativen Zweck an die Bürger der Stadt Eichstätt zu stiften ist“, sagt Daum. Dieses ehrenamtliche und unentgeltliche Engagement der Eichstätter Schäffler stehe gewissermaßen repräsentativ für jeden Bürger, die sich für das Gemeinwohl einsetzten. Nicht nur zu solchem Engagement wollten die Eichstätter Schäffler mit ihrem Tanz ermuntern, sondern auch zu Rücksichtnahme, gegenseitiger Achtung und Hilfe. „Kurzum: zu den Grundlagen einer weltoffenen Kultur“, fasst Karl Daum mit einem Schuss Pathos hinzu – aber der gehört zu einer Tradition, die Jahrhunderte alt ist – und nach einer Pandemie entstanden ist, die damals weit schlimmer gewütet hat, als jene andere heute. Die scheint nun größtenteils überwunden. Und so darf Daum morgen und in den nächsten Wochen als Reifenschwinger zu gegebener Zeit dem Publikum zurufen:
„Die Sieben sind um,
Ihr Schäfflergesellen!
Heraus auf die hellen,
liebfreundlichen Gassen –
Euch sehen zu lassen
Zu lustigem Fest –
Wie einst nach der Pest!“