Eichstätt. – „Wird gerade der Bischof entführt?“, fragt eine ältere Dame mit leicht verwirrtem Blick auf das massive Polizeiaufgebot mitten in der Eichstätter Innenstadt. In Wirklichkeit ist alles nur eine Übung – allerdings eine mit ernstem Hintergrund: Nicht erst seit dem Angriff dem Mord an den beiden Polizisten in Kusel durch einen Wilderer oder die jüngst verhinderten Umsturzpläne der „Reichsbürger“-Gruppierung sieht sich die Polizei mit immer wieder neuen Bedrohungslagen konfrontiert. Schon am Rande mancher der sogenannten „Querdenker-Demonstrationen“ schlug den Beamten bisweilen der blanke Hass entgegen. Darauf will man vorbereitet sein – und sei es durch eine Übung wie heute im beschaulichen Eichstätt.
Und plötzlich fallen Schüsse. Menschen schreien und laufen aus der Halle, Polizisten mit Helm, voller Schutzausrüstung und Schusswaffen Rücken an. „Hände hoch“, rufen sie den Flüchtenden zu, die panisch über den Hof laufen. Wenig später können Sie den bewaffneten „Täter“ fassen. Es ist Gott sei Dank nur eine Übung, und der Täter selbst ist Polizeibeamter, der heute nur eine Rolle spielt. Der Kreisbauhof oberhalb von Eichstätt, der gerade Schauplatz des „Schusswechsels“ war, war das letzte und wohl spannendste Übungsszenario für die 21. Hundertschaft der Eichstätter Bereitschaftspolizei, die heute einmal mehr den Ernstfall geprobt hat.
Warnschuss und mehr Gewalt gegen Polizisten
Das sei auch nötig, sagt Stefan Karrasch, Pressesprecher der II. Bereitschaftspolizeiabteilung Eichstätt – in der Stadt selbst nur „Bepo“ genannt. Polizisten müssen heute vielfach mit solchen Situationen rechnen. Die Gewalt gegen Polizisten hat in den letzten Jahren zugenommen – die Zahl der Fälle von Gewalt zwischen 2012 und 2020 etwa um 20,4 Prozent, die der Anzahl der Opfer auf Seiten der Polizei sogar um 42 Prozent – auf rund 40.000 Fälle mit über 80.000 Opfern im Jahr 2020, wie Statista auf der Basis von Daten des Bundeskriminalamtes ermittelt hat.
Auch Stefan Karrasch selbst musste 2013 einmal einen Warnschuss abgeben, als vor ein paar Jahren ein offenbar geistig verwirrter, realer Täter mit einem Messer bewaffnet in Ingolstadt unterwegs war. Viele Beamte geben in ihrem ganzen Berufsleben nie im Ernstfall einen Schuss ab. Aber wenn es so weit ist, wenn sich extreme Situationen entwickeln, muss man wissen, was man tut. Gerade in solchen Momenten liefen oft Automatismen ab, sagt Karrasch: Abläufe, die man gelernt und immer wieder geübt habe. Umso wichtiger sei es, dass man genau solche Situationen auch probe – so weit heute in der Eichstätter Innenstadt.
Eskalierende Demonstration in Eichstätt
Ein Einsatz gegen Demonstranten steht auf dem Plan – natürlich keine friedliche Demonstration, sondern eine, die ein wenig eskaliert – aber auch das nur als Übungsszenario heute morgen: Rechte Demonstranten, die in der Stadt aufmarschieren, dazu linke Gegendemonstranten, die der braunen Kundgebung etwas entgegensetzen wollen. Viel Gewalt- und Konfliktpotenzial also. Aber andererseits auch nichts, was der Bereitschaftspolizei fremd wäre – schon gar nicht in den politisch durchaus aufgeladenen Zeiten der letzten Jahre.
Um das zu üben, sei Eichstätt mit seinen verwinkelten Gassen gar nicht so schlecht, sagt Karrasch: Denn auch bei Demos in Großstädten weichen die Täter immer wieder über Nebenstraßen, Gassen und Hinterhöfe aus – oft kein einfaches Terrain für die Polizei, die bei einer großen Demo ja auch theoretisch immer in der Unterzahl ist. Oft werde man aus der Menge heraus angegangen und beleidigt – das sei dann noch das Harmloseste, erzählt Karrasch. Das Problem dabei: Bei solchen Menschenmassen sei die Kommunikation viel schwieriger als im Streifendienst. Mit Worten könne man da manchmal nicht viel ausrichten.
Zwischen Langeweile und Verletzten Kollegen
Er selbst und die allermeisten Eichstätter Bereitschaftspolizisten waren bei solchen Einsätzen dabei: beim G7-Gipfel etwa in Elmau, wo alles ruhig blieb und ihnen wohl oft schon eher langweilig war. Die Kollegen der 21. Hundertschaft aber auch zum Beispiel auf dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg, wo es zu massiven Ausschreitungen mit vielen Verletzten auch unter den Polizisten gekommen war – aber auch zu Vorwürfen gegen Polizeibeamte wegen angeblicher Polizeigewalt. Auch so ein „Modewort“, sagt Stefan Karrasch zum anwesenden Journalisten – wie „Lügenpresse“ oder „Mainstream-Medien“. Der Begriff werde oft einfach nur missbraucht.
Mit solchen Vorwürfen sieht sich die Polizei auch immer wieder konfrontiert – zum Teil mit völlig aus dem Zusammenhang gerissenen oder manipulierten Videosequenzen in den sozialen Medien. Umso wichtiger sei es, die Ruhe zu bewahren, deeskalierend und streng nach den Vorschriften und gesetzlichen Regelungen vorzugehen und solche Situationen zu üben – wie heute die rund 70 jungen Polizistinnen und Polizisten, die den Ernstfall üben. Viele Passanten staunen nicht schlecht, wenn in Eichstätt plötzlich ein Großaufgebot der Polizei auftritt, um gewaltbereite Demonstranten unter Kontrolle zu bringen. Heute am Morgen sind es rund 100 „Randalierer“ – ebenfalls gespielt von Polizisten unter anderem der 24. Hundertschaft ebenfalls aus Eichstätt sowie unterstützenden Kräften aus Ingolstadt. Insgesamt sind mit Führungskräften rund 200 Polizisten im Einsatz.
Amoklauf im Kreisbauhof
Nachdem die Demonstration beendet ist, geht es in die auf dem Residenzplatz und anderswo in der Stadt abgestellten Fahrzeuge und zum nächsten Einsatzort. Ein kurzer Funkspruch – und es geht los: Auf dem Gelände des Kreisbauhofs sind Schüsse gefallen – ein Amoklauf. Schrittweise erfahren die jungen Beamten per Funk mehr: Zwei gekündigte Mitarbeiter haben sich mit Schusswaffen in einer Halle verschanzt, es gibt Verletzte. Das nächste Szenario auf dem Gelände oberhalb von Eichstätt. Schreie sind zu hören, Schüsse, es gibt Verletzte, die vor Schmerzen brüllen. Die Beamten nähern sich in voller Montur. Fliehende stürmen aus der Halle. Dann folgt jenes „Hände hoch“: Die Polizisten müssen schnell erkennen, wer hier Täter und wer harmloses Opfer ist.
Hier auf dem weitläufigen, offenen Areal des Kreisbauhofs ist das noch recht einfach zu erkennen. Es gibt auch weit schwierigere Einsatzszenarios. Man übe zum Beispiel auch in großen Gebäuden wie Schulen oder Krankenhäusern, sagt Karrasch. Die Eichstätter Bepo ist hier in ganz Bayern oder bei Großereignissen auch zur Unterstützung in anderen Bundesländern im Einsatz. Erst vor wenigen Wochen sei man in Regensburg im Großeinsatz gewesen, erzählt Einsatzleiter Josef Waffenschmidt. Im Ernstfall wisse man nie so ganz genau, was einen erwartet.
Heute ist er zufrieden mit seiner Truppe, wie er gegen Ende sagt. Gerade werden die Verletzten versorgt – inzwischen sei man auch dafür ausgebildet und auch entsprechend ausgerüstet, um Schwerverletzte erstzuversorgen, erklärt Karrasch. Da habe sich in den letzten Jahren schon vieles verbessert und sei intensiver geworden. Die Polizei will vorbereitet sein.
Nach vier Stunden Übung ist erst Mittag. Nachmittags folgt der nächste Einsatz – diesmal ist die 24. Einsatzhundertschaft dran, um die neuen Flüchtlingsunterkünfte in der Turnhalle Schottenau in Eichstätt mit aufzubauen, die gerade noch „Demonstranten“ und „Täter“ gespielt haben. Aus ihnen werden dann wieder helfende Staatsdiener – das wolle man ja auch sein, sagt Stefan Karrasch. Aber wenn es ernst wird, müsse man eben auch im Rahmen der rechtlichen Vorgaben das Gewaltmonopol des Staates umsetzen – auch um friedliche Bürger zu schützen. Und auch die ältere Dame konnte von Beobachtern wie Bezirksrat Reinhard Eichiner, der sich den „beeindruckenden“ Einsatz den ganzen Vormittag über mit angesehen hat, beruhigt werden: Nein, der Bischof wurde nicht entführt. Alles nur eine Übung.