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Mehr als 350 Ukrainer im Landkreis und ein „Unterbringungsgipfel“ mit Söder

Landkreis Eichstätt stellt sich auf viele hundert Flüchtlinge ein – Videokonferenz mit der Staatsregierung

Eichstätt. – Die Not und die Hilfsbereitschaft sind gleichermaßen groß. Erst gestern haben Putins Bomben nicht nur das Theater in Mariupol in Schutt und Asche gelegt, in dem Hunderte von Zivilisten untergebracht waren – und fast wie durch ein Wunder weitgehend unversehrt blieben. Die Bombardierung aber geht weiter und zerstört weite Teile eines Landes mit 44 Millionen Einwohnern, die sich einerseits tapfer und verzweifelt gegen den russischen Überfall wehren, andererseits aber auch immer weniger sichere Zufluchtsorte finden. Immer mehr Ukrainer sind auf der Flucht. Rund 180.000 sind nach offiziellen Angaben bisher in Deutschland angekommen – zunehmend auch im Landkreis Eichstätt: Etwa 350 ukrainische Flüchtlinge sind es offiziell, wie das Landratsamt gegenüber Ei-live bestätigt. Weit mehr dürften es mit den bisher noch nicht registrierten sein. Und Landrat Alexander Anetsberger hat gerade erst gemeinsam mit anderen Landkreischef und Oberbürgermeistern am „bayerischen Unterbringungsgipfel“ per Videokonschalte mit Ministerpräsident Markus Söder teilgenommen. Hier eine Bestandaufnahme.

Betreuung von Geflüchteten nach der Ankunft am Bahnhof in Lwiw in der Ukraine
Flucht vor russischen Bomben: Nicht nur Ukrainer wie hier bei der Ankunft am Bahnhof in Lwiw in der Ukraine auf der Flucht, sondern auch die Menschen, die ihr Land nicht verlassen (können), brauchen nun Unterstützung. Foto: Taras Gipp/Malteser Ukraine.

Von Stephan Zengerle

In der Kreistagssitzung am Montag hat Landrat Alexander Anetsberger am Ende noch ein paar Einblicke in die Arbeit eines Landkreischefs gegeben, der nach zwei Jahren Pandemie derzeit von einem Termin in Sachen Agenda 2030 der Kliniken im Naturpark Altmühltal zum nächsten fährt, eigentlich Zukunft gestalten möchte, aber jetzt schon wieder von einem anderen Megathema eingeholt wird, das keinen Aufschub duldet: dem Ukraine-Krieg – einem „abendfüllenden Thema“, wie Anetsberger auf die Frage eines Kreistagsabgeordneten antwortete. Die Hilfsbereitschaft sei enorm, sagt er – allerdings auch die Kraftanstrengung, die vor dem Krieg geflohenen Neuankömmlinge unterzubringen und zu versorgen.

An jenem Montag sei der dritte Bus mit offiziell zugeteilten Flüchtlingen angekommen. Jeden Tag seien es bis dahin bis zu 50 der Geflohenen gewesen. In einer gemeinsamen Kraftanstrengung habe man ein Wochenende zuvor die Erstaufnahmestelle in der Turnhalle in Gaimersheim aufgebaut – mit großem Engagement insbesondere des THW und der Feuerwehr Gaimersheim, aber auch andere Feuerwehren, die tageweise die Fahrdienste übernähmen: Die Geflüchteten müssen zum Beispiel zur Registrierung von Gaimersheim ins Dienstleistungszentrum nach Lenting transportiert oder abverlegt und in feste Unterkünfte gebracht werden.

„Es ist abzusehen, wann diese Abverlegung schwierig wird“

Aufnehmen, Coroantesten, ersterfassen, verpflegen und spätestens nach zwei bis drei Tagen an dezentrale Stelle abverlegen – das ist der Plan, den Anetsberger ohne nachzudenken herunterbetet. Man hat inzwischen Erfahrung aus der Flüchtlingskrise ab 2015. Nur dass diesmal vieles anders ist: Polen ist plötzlich das Land, das das Gros der Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufnimmt. Und es sind zudem viele Frauen und Kinder statt junge, alleinreisende Männer, die ankommen. Von Flüchtlingen „erster und zweiter Klasse“ will man aber nichts wissen: Die Geflüchteten aus anderen Ländern hätten bisher ihre Unterkünfte nicht wechseln müssen, um den Neuankömmlingen aus der Ukraine Platz zu machen, erklärt das Landratsamt –„ außer einem afghanischen Staatsangehörigen, der in Beilngries umziehen muss“.

„Unterbringungsgipfel“: Landrat Anetsberger (links oben) beim Videogipfel mit Ministerpräsident Markus Söder. Foto: Landkreis Eichstätt

Zwar lässt sich spontane Not nicht wirklich bis ins Detail planen, aber man hat inzwischen ein wenig Routine und Netzwerke. Mit der Erstaufnahmestelle in Gaimersheim aber ist es längst nicht getan: „Wir sind gehalten, 1.000 Plätze zu schaffen in dezentralen Einrichtungen“, so der Landkreischef im Kreistag. „Bisher funktioniert das ganz gut. Aber es ist abzusehen, wann diese Abverlegung schwierig wird“, so der Landkreischef. Nämlich dann, wenn der Unterkunftsaufbau nicht mehr Schritt halte mit der Ankunft der Geflüchteten.

203 Ukrainer in Gaimersheim angekommen, 149 privat registriert

203 Personen sind bisher offiziell auf Anfrage der Regierung in Gaimersheim angekommen, wie das Landratsamt am Donnerstagabend mitgeteilt hat. Privat untergebracht und Leistungen beantragt hätten 149 Personen. Aber es seien noch viel mehr privat untergekommen und hätten erst Termine beim Landratsamt vereinbart oder hätten sich noch gar nicht gemeldet. „Die Ausländerbehörden haben hier die Meldelisten mit Privatpersonen in den Gemeinden“, erklärt  Manfred Schmidmeier, Pressesprecher im Landratsamt. Aber eine Meldepflicht bestehe nicht. Um Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu können, müssten sich alle ausländer- und sozialhilferechtlich registrieren lassen. In Lenting gebe es für beide Bereiche Teams, die das übernähmen. Bisher sei es hier auch zu keinen größeren Wartelisten gekommen, so Schmidmeier: „Durch die große Bereitschaft der Teams konnten bisher alle Personen registriert werden.“ Nur für privat untergebrachte Personen ergebe sich eine Wartezeit von ein paar Tagen.

Landkreis rechnet mit rund 300 weiteren Geflüchteten pro Woche

Aber auf wieviele weitere muss man sich einstellen? Trotz der Verhandlungen scheint Putin in all seiner Wut, die er erst gestern öffentlich an angeblichen pro-westlichen Vaterlandsverrätern unter seinen Landsleuten ausgelassen hat, die Ukrainer mit Bomben bestrafen zu wollen für ihren unerwartet heftigen Widerstand, der nicht nur die russischen Streitkräfte, sondern auch den Kremlchef selbst plötzlich weit weniger mächtig und unangreifbar erscheinen lässt. Und so geht man im Landkreis Eichstätt von „auf Sicht derzeit 150 Personen pro Woche über die Erstaufnahme in Gaimersheim sowie wohl noch einmal derselben Zahl“ aus, die privat unterkämen. Wer helfen oder privat Flüchtlinge aufnehmen will, kann sich direkt unter der zentralen E-Mail-Adresse ukraine@lra-ei.bayern.de beim Landratsamt melden.

Die Hilfsbereitschaft sei enorm, sagt Landrat Anetsberger. Es gebe jede Menge Unterstützer, engagierte Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz, aber auch ehrenamltiche Helfer, die zum Beispiel gemeinsam von Samstag vorletzter Woche bis Freitag letzter Woche per Feldküche die Verpflegung übernommen hätten. Erst seit dem vergangenen Wochenende habe ein offizieller Caterer übernommen, so der Landrat. In den letzten Tagen sei man bisweilen von Hilfsanfragen überhäuft worden, „die uns momentan manchmal mehr bremsen, als dass sie weiterhelfen“, so Anetsberger, der sich aber über die Hilfbereitschaft der Landkreisbürger freut. Man habe die Verwaltung der Hilfsgüter an Hilfsorganisationen delegiert, die nun systematisch nach den Gütern anfragten, die auch tatsächlich gebraucht würden. Derzeit versuche man, ein Netzwerk aufzubauen, um einen genauen Überblick zu bekommen, wer wo untergebracht sei. Denn wenn es so weitergehe, könne sich irgendwann mit steigender Zahl an Geflüchteten auch „die Frage der Gleichverteilung“ stellen, um die Lasten gleich zu verteilen. Aber das sei eine Frage, die erst in zwei, drei Monaten eine Rolle spiele, so der Landkreischef – in Krisenzeiten ist Improvisieren gefragt.

Enorme Hilfsbereitschaft: Das THW und viele ehrenamtliche Helfer von Feuerwehr und anderen Hilfsorganisationen haben die Turnhalle des Gymnasiums Gaimersheim mit Stockbetten, Matratzen und Spinden zur Erstaufnahmestelle ausgebaut, damit ukrainische Flüchtlinge schnell eine vorläufige Unterkunft bekommen. Landrat Alexander Anetsberger und Gaimersheims 1. Bürgermeisterin Andrea Mickel (Bildmitte) dankten allen Helfern vor Ort für das tatkräftige Anpacken zum Wohle der Kriegsflüchtlinge. Foto: Landkreis Eichstätt

„Bayerischer Unterbringungsgipfel“ mit Söder und Ministerriege

Dennoch soll in Bayern diesmal alles planvoller laufen als als in der Flüchtlingskrise im Syrienkrieg. Angesichts der Ankunft Zehntausender Flüchtlinge aus der Ukraine, die wohl auch weiter kommen werden, hat sich Ministerpräsident Markus Söder mit den bayerischen Landräten und Oberbürgermeistern im Rahmen einer kurzfristig angesetzten Videoschalte beraten und über die relevanten Fragestellungen ausgetauscht. Neben dem Ministerpräsidenten standen den Landkreis- und Gemeindechefs auch die Staatsminister Herrmann, Bernreiter, Scharf, Piazolo und Füracker Rede und Antwort. Schließlich stellen Unterbringung, Beschulung und Integration der Geflüchteten nicht nur den Freistaat selbst, sondern besonders die Kommunen erneut vor sehr große Aufgaben.

Eine Milliarde Euro und rund 50.000 Geflüchtete in Bayern

Aus dem „bayerischen Unterbringungsgipfel“ hätten sich „konstruktive Ergebnisse“ ergeben, so das Fazit von Anetsberger. Insbesondere die Finanzierung wurde vorerst geklärt: Bayern stellt für die Unterbringung von Flüchtlingen aus der Ukraine künftig bis zu eine Milliarde Euro bereit, kündigten Söder und Innenminister Herrmann nach der Videoschalte an. Die Kommunen sollen die Kosten, die ihnen für die Unterbringung entstehen, zu 100 Prozent erstattet bekommen – das sei die Zusage des Freistaats. Gleichzeitig fordert die Staatsregierung vom Bund, die Kosten zu übernehmen. Man hoffe dann auf entsprechende Erstattungen, so Herrmann.

Rund 50.000 Menschen sind nach den Angaben bisher bereits aus der Ukraine nach Bayern geflüchtet, Tausende weitere würden wohl folgen. Landrat Anetsberger zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass auch künftig eine enge Abstimmung und Verzahnung der Kommunen mit der Staatsregierung erfolgen werde. Der Eichstätter Landrat habe selbst wichtige Themen in die Diskussion eingebracht: so die Herausforderung des Corona-Managements, die sehr differenzierten Anforderungen durch die „Drittstaatler“ hinsichtlich Sprache und Registrierung sowie die unzureichende Digitalisierung der Registrierungsprozesse.

Viele Herausforderungen also, aber auch mehr Gelassenheit und eine Welle der Hilfsbereitschaft, die ein Land, das zuvor in der Coronakrise zum Teil sehr gespalten schien, plötzlich aufgeweckt und in Mitgefühl, Menschlichkeit und blau-gelber Solidarität wiederaufgeweckt hat, statt Wut und Hass so mancher Querdenker und Verschwörungstheoretiker. Von denen sind zwar manche inzwischen offenbar schon wieder dabei, die Verschwörung weiterzuspinnen und zu „Putin-Verstehern“ zu werden. Aber vieles wirkt gelassener in diesen Tagen – und irgendwie alles bewältigbar. Nur einen Satz wird wohl kein Politiker öffentlich in den Mund nehmen „Wir schaffen das!“ – selbst, wenn es auch diesmal so ist.

Beeindruckende Hilfsbereitschaft: Malteser sammeln Hilfsgüter für Ukraine

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