Eichstätt/Wiesbaden. – Die Tourismusbranche in Deutschland hat auch im Jahr 2021 erheblich unter der Corona-Krise gelitten, konnte sich aber im Vergleich zum ersten Pandemiejahr 2020 wieder etwas erholen: Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) nach vorläufigen Ergebnissen diese Woche mitgeteilt hat, verzeichneten die Beherbergungsbetriebe in Deutschland im vergangenen Jahr 310,3 Millionen Gästeübernachtungen, und damit 2,7 Prozent mehr als 2020 – aber gleichzeitig noch gewaltige 37,4 Prozent weniger als im Vorkrisenjahr 2019. Auch für den Tourismus im Naturpark Altmühltal war die Coronapandemie eine Zäsur. „Der Tourismus wird sich verändern“, sagt Tourismusexperte Prof. Dr. Harald Pechlaner von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU). Der Neustart biete viele Chancen gerade für die hiesige Tourismusregion – aber man sei noch nicht überall gut vorbereitet: „Es gibt viel zu tun“.
Von Stephan Zengerle
Es ging aufwärts mit den Zahlen – ausgerechnet im Dezember, der nicht zu den besonders guten Monaten im „Fremdenverkehr“ zählt, wie der Tourismus inzwischen allerdings kaum mehr genannt wird: Im Dezember 2021 verbuchten die Beherbergungsbetriebe mehr als zweieinhalb Mal so viele Gästeübernachtungen wie im selben Monat ein Jahr zuvor. Das allerdings vor allem, weil damals noch ein bundesweites Beherbergungsverbot für private Übernachtungen galt. Die Corona-Beschränkungen haben den Tourismus in Deutschland jedenfalls auch 2021 hart getroffen: Zu Beginn des Jahres galten wegen der Pandemie in einigen Bundesländern teilweise bis Juni Übernachtungsverbote für Privatreisende. Im Jahr 2020 waren dagegen in der ersten Jahreshälfte nur rund zwei Monate – Mitte März bis Mitte Mai – von solchen Verboten betroffen. Am Jahresende war es dann umgekehrt.
Tourismus und Mobilität
„Die Pandemie hat uns wieder einmal gezeigt, wie sehr Tourismus mit Mobilität zu tun hat“, sagt der Eichstätter Touristikprofessor Harald Pechlaner, der auch Mitglied im Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes ist, im Rahmen des Geographischen Kolloquiums an der KU, das sich vor Kurzem mit „Tourismus & Transformation: Zukunftsperspektiven für den Destinations- und Lebensraum“ beschäftigt hat. So habe die hohe Mobilität durch den global vernetzten Tourismus durch die weltweiten Ströme an Reisenden einerseits als Beschleuniger der Pandemie gewirkt, aber sei anschließend natürlich durch die Reisebeschränkungen auch eine der am stärksten betroffenen Branchen gewesen.
Das belegen auch die aktuellen Touristikzahlen des statistischen Bundesamtes: Die Touristen aus dem Ausland fehlten größtenteils: Hier sank die Zahl der Übernachtungen im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr noch einmal um 3,1 Prozent auf 31,0 Millionen. Viele Veranstaltungen, Messen und Tagungen wurden wegen der Pandemie das zweite Jahr in Folge gestrichen. Das trifft vor allem den Städtetourismus hart.
Heftige Einbrüche…
…musste der Tourismus in Deutschland in Coronazeiten verkraften, wie die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen. 2021 lief es zwar etwas besser als 2020, aber während sich bei Campingplätzen die Zahlen seit 2019 recht stabil präsentieren, liegt man in der Hotellerie noch weit hinter dem Vorkrisenniveau (obere Grafik). Die untere Grafik zeigt deutlich die Auswirkungen der Coronamaßnahmen:
Einbrüche und ein Rekord-August im Naturpark
Das spürt man auch in der Tourismusregion Naturpark Altmühltal und der Stadt Ingolstadt. Auch hier registrierte man deutliche Rückgänge im Tagungstourismus und bei Städtereisen – nicht nur in Ingolstadt, sondern auch in Beilngries, wo dieser Bereich traditionell stark ist. Umgekehrt hätten dagegen gerade die ländlicheren, naturnahen Urlaubsregionen im Altmühltal und in Altmühlfranken sogar vom Trend zum „Urlaub dahoam“ profitiert. Hier gab es zum Teil wieder leichte Steigerungen. Insgesamt habe der Naturpark bis September 2021 ein Minus von 8,6 Prozent bei den Gästeankünften und von 5,9 Prozent bei den Übernachtungen registriert, hatte Geschäftsführer Christoph Würflein im November bilanziert. Die endgültigen Zahlen dürften angesichts der traditionell hierzulande schwächeren Wintermonate nicht besser aussehen.
Allerdings hätte die Zahl der Übernachtungen im August mit 225.721 sogar deutlich über dem Wert von 2019 gelegen – und damit auf Rekordniveau. „Im Bereich Urlaub und Erholung geht es deutlich aufwärts“, urteilte auch Landrat Alexander Anetsberger, der erste Vorsitzende des Tourismusverbands Naturpark Altmühltal, bei dessen Mitgliederversammlung Ende November. „Bei Tagungen und Geschäftsreisen bleibt die Nachfrage jedoch sehr verhalten. Hier wird sich in Zukunft wohl einiges ändern.“
Das glauben auch Pechlaner und sein Team vom Lehrstuhl für Tourismus und Zentrum für Entrepreneurship, die die Zeit genutzt haben, um zahlreiche Studien durchzuführen – insbesondere zu den großen touristischen Trends, die vor der Coronazeit begonnen hatten – aber durch sie noch einmal eine Beschleunigung erfahren hätten: Digitalisierung, Nachhaltigkeit, dauerhafte Veränderungen bei geschäftlichen Reisen und neue Formen hin zu einem authentischen, naturnahen, sinnstiftenden Tourismus.
„Es geht um Sinnstiftung. Es geht um eine Spiritualität der Räume. Das hat nichts mit Religion zu tun, sondern es hat mit der Fähigkeit der Räume zu tun, auch sinnstiftend zu wirken – das ist Spiritualität der Räume. Und dazu sind wir eigentlich prädestiniert in unserer Region. Aber da sind wir erst am Beginn einer Entwicklung.“
Harald Pechlaner, KU-Tourismusexperte
„Resilienz“ und radikaler Wandel
„Der Business-Tourismus wird sich radikaler verändern“, so Natalie Olbrich, Mitarbeiterin am Tourismuslehrstuhl in einem Vortrag des Kolloquiums, in dem sie die Ergebnisse einer Exkursion vorstellte. Es werde in Zeiten der Normalisierung des Homeoffice und der Videokonferenzen neue Formen von Wohnen und Arbeiten, von Beherbergung sowie Freizeit geben, die die städtische Landschaft verändern würden, bilanzierte sie nach Besuchen und Gesprächen mit Experten in ganz Deutschland. Zudem hatten sich die KU-Wissenschaftler in weiteren Projekten unter anderem mit der „Destination“, also der touristischen Zielregion, Franken beschäftigt, dessen Ergebnisse Elina Störmann vorstellte. Auch hier spürt man die Veränderungen und möchte sich besser für die „Transformation“ der Branche aufstellen – und mehr „Resilienz“ entwickeln, mit der sich auch Doktorand Daniel Zacher in seiner Doktorarbeit an der KU beschäftigt hatte: gemeint ist Widerstandsfähigkeit für Krisenzeiten, wie wir sie gerade erlebt haben.
Dazu solle neben starken touristischen Netzwerken auch die Digitalisierung beitragen – und zwar nicht nur, was digitale Infrastruktur, sondern vor allem auch, was strategische Aspekte angehe. Besucherlenkung, Dialogmanagement und Partizipationsmethoden sind nur drei Aspekte, die neben vielen anderen eine Rolle spielen. Auch der Naturpark Altmühltal habe hier und in anderen Bereichen viel getan, aber noch zu tun, so Pechlaner. Während man im südlichen Bayern, im Voralpenland, bereits sehr starke Tourismusnetzwerke habe und teilweise unter „Overtourism“, also „Übertourismus“ leide, gelte es hier in der Region, noch stärkere touristische Netzwerke zu entwickeln und den Tourismus auszubauen. In beiden Fällen aber sei wichtig, den Lebensraum nachhaltig in den Tourismus zu integrieren und umgekehrt. Hier sei auch die Kultur ein wichtiger Faktor – sie bringe die Menschen zusammen, und könne auch zu dieser Widerstandsfähigkeit beitragen.
„Sinnstiftung“ statt „Übertourismus“
„Natürlich haben wir hier den Vorteil, dass wir von vorne herein so planen können, dass es zum Overtourism gar nicht kommen wird, weil wir den Lebensraum mitdenken, weil wir dieses systemische, sozialökologische, dynamische Gleichgewicht eben durch die Erfahrungen in tourismusintensiven Gebieten im Blick haben können“, betont Pechlaner. „Von daher haben wir gute Voraussetzungen. Aber es ist ein hartes Stück Arbeit, das noch vor uns liegt.“ Denn Authentizität und Nachhaltigkeit, nicht nur in ökologischer, sondern in vielfältiger Hinsicht, würden in Zukunft ein entscheidendes Thema im Tourismus sein. Die Reisenden selbst würden als nachdenkende Menschen durch ihre Erwartungshaltung in Sachen Nachhaltigkeit zu „reflexive Agents“, also zu immer bewusster agierenden Treibern des Wandels.
Nicht nur in Coronazeit suchen Menschen in der hektischen und durchdigitalisierten Gegenwart nach Ruhe und echten Werten: „Es geht um Sinnstiftung. Es geht um eine Spiritualität der Räume“, sagt Pechlaner daher auch mit Blick auf ein besonderes Element des Tourismus im Naturpark Altmühltal. „Das hat nichts mit Religion zu tun, sondern es hat mit der Fähigkeit der Räume zu tun, auch sinnstiftend zu wirken. Das ist Spiritualität der Räume. Und dazu sind wir eigentlich prädestiniert in unserer Region. Aber da sind wir erst am Beginn einer Entwicklung.“
Der Naturpark Altmühltal habe naturgemäß viel getan in diesem Bereich – nicht zuletzt beim Thema Architektur, das Christoph Würflein angegangen sei. „Aber ich denke, das wird weitergehen. Da können wir nur investieren. Und das ist wichtig.“ Das weiß natürlich auch Würflein, der sich immr wieder für eine Weiterentwicklung des Tourismus in Themenfelder wie Entschleunigung, Nachhaltigkeit oder regionale Produkte ausgesprochen hatte.
„Weltbeziehung“ und Investitionsbedarf
„Eigentlich, wenn ich das marketingtechnisch sagen darf, zahlt die gesamte Entwicklung auf den Naturpark Altmühltal ein“, sagt Pechlaner und entwirft damit eine für die Region positive Ausgangssituation. „Denn nichts ist im Moment so wichtig für die Menschen, wie die Nähe zur Natur. Sie kommen gerne in die Natur, und die ist bei uns noch sehr authentisch. Die Menschen suchten die Natur und die Berührung. Es gehe um Berührung, um eine Art „Weltbeziehung“, wie sie Philosoph Hartmut Rosa skizziert habe. „Und wir im Naturpark Altmühltal haben eigentlich alle Karten in der Hand. Aber: Es ist viel zu tun“, betont Pechlaner. „Die Betriebe sind eigentlich auf diese Entwicklung nur teilweise vorbereitet. Es muss investiert werden.“
Über viele der Themen hatte man 2019, also schon vor der Pandemie, auch beim Eichstätter „Tourismuskonvent“ gesprochen, den sein Lehrstuhl ausgerichtet hatte und an den Pechlaner beim Geographischen Kolloquium erinnerte: Damals hatten er und sein Team im Gespräch und Austausch mit Stakeholdern und interessierten Bürgern gemeinsam Konzepte entwickelt, die die Bürger selbst nun weitertragen sollten. Den auch hier gelte: Die Menschen selbst müssten Botschafter des Wandels sein – eines Transformationsprozesses, von dem der Naturpark Altmühltal als authentischer, sinnstiftender Natur- und Kulturraum profitieren könnte. Jedenfalls wenn er selbst bereit sei, sich aktiv zu verändern nach der Corona-Zäsur und einem nicht nur touristischen Neustart.
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