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Schwieriges Jahr, positive Bilanz: Impfverantwortliche über Omikron, Impfpflicht und einen neuen Andrang

Christian Alberter und Sigurd Eisenkeil über das „Impfjahr“ 2020 im Landkreis Eichstätt

Eichstätt. – Es ist wieder viel los im Impfzentrum Eichstätt – so viel, dass die Kapazitäten in den letzten Wochen wieder erheblich ausgeweitet wurden und seit heute gemeinsam mit dem zweiten, noch größeren Impfzentrum in Großmehring insgesamt erstmals 7500 Impfungen pro Woche durchgeführt werden können. Christian Alberter, Diözesangeschäftsführer der Malteser in der Diözese Eichstätt, die die Impfzentren im Landkreis Eichstätt betreiben, zieht nach einem wechselhaften und herausfordernden Jahr – inklusive Attacken auf sein Personal – dennoch eine positive Bilanz. Allerdings glaubt er ebenso wie Sigurd Eisenkeil, Impfarztkoordinator in den Impfzentren und langjähriger Leiter des Ärztlichen Kreisverbandes Ingolstadt-Eichstätt, dass man an einer allgemeinen Impfpflicht nicht vorbeikommen werde.

Zufrieden mit dem „Impfjahr“ 2021 sind Sigurd Eisenkeil (links) und Christian Alberter, ärztlicher Koordinator und Diözesangeschäftsführer der für die Impfzentren im landkreis zuständigen Eichstätter Malteser. Foto: Zengerle

Zu den 3500 Impfungen pro Woche, die man in Eichstätt bereits durchführen könne, kommt seit heute auch die neue Impfstation in der Nibelungenhalle in Großmehring mit einer zusätzlichen Kapazität von rund 4000 Impfungen wöchentlich. Die insgesamt 7500 Impfungen werde man auch brauchen – da ist sich Christian Alberter sicher. Aktuell gebe es eine große Nachfrage – vor allem nach Boosterimpfungen zur Auffrischung und Verstärkung des Impfschutzes, aber auch zu einem Teil noch Erst- und Zweitimpfungen. Das sei auch unbedingt nötig, sagt Sigurd Eisenkeil, der die ärztliche Koordination in den Impfzentren übernommen hat. „So viele Menschen wie möglich“, sollten sich impfen und auch boostern lassen – insbesondere Senioren. Man plane, im Februar die Kapazitäten langsam herunterzufahren, sagt Alberter. „Aber ich bin mir sicher, dass wir über das Jahr hinweg eine relativ große Zahl an Impfungen pro Woche noch durchführen müssen.“ Vor allem, wenn, wie zuletzt im Gespräch, angesichts neuer Varianten eine Auffrischung nach drei Monaten kommen könnte – „eine Herausforderung für unsere Impfstraße“, sagt Eisenkeil, der das Team aber gut gerüstet sieht.

Etwa „Vier von fünf“ mit schweren Verläufen Ungeimpfte

Die ersten Daten wiesen derzeit eindeutig darauf hin, dass Boostern auch bei der Omikronvariante zumindest gegen einen schweren Verlauf helfe. Welcher Impfstoff, sei im Prinzip egal. „Man sollte geboostert sein – nach den sechs Monaten auf jeden Fall, durchaus auch früher“, so der Arzt, der bis 2015 rund 15 Jahre an der Spitze des Ärztlichen Kreisverbandes Ingolstadt-Eichstätt gestanden hatte. Es gebe natürlich in Einzelfällen Nebenwirkungen, es gebe auch Komplikationen, so Eisenkeil. „Das ist nicht von der Hand zu weisen.“ Aber wenn man bedenke, dass man inzwischen 70 Prozent der Bevölkerung geimpft habe und es praktisch kaum Nebenwirkungen gebe, sei die Sache klar: „Die Wahrscheinlichkeit, dass man eine starke Impfreaktion, eine Nebenwirkung kriegt, ist in der Relation wesentlich geringer, als bei einer Erkrankung lange Zeit schwere Folgen zu haben“, betont er.

Denn auch er bestätigt aus dem Kontakt mit seinen ärztlichen Kollegen die Erfahrungen, die überall in Deutschland und anderswo längst bekannt sind: „Das, was ich aus den Kliniken, aus dem Kollegenkreis, aus dem Austausch erfahre, ist, dass die Ungeimpften weitaus die Mehrzahl der schweren Verläufe ausmachen – vier von fünf, so etwa in der Größenordnung auf jeden Fall.“ Selbst wenn die Zahl der Geimpften nicht ganz korrekt erfasst wäre, wie von Gegnern manchmal postuliert werde, wäre es immer noch eine weitaus größere Zahl der Ungeimpften gegenüber den Geimpften – was auch völlig einleuchtend sei, so Eisenkeil.

Impfpflicht „der einzige Weg“ – Masernimpfung auch kein Thema

Dennoch glaubt er, wie auch Christian Alberter, dass die Fronten inzwischen verhärtet seien. Er selbst bekomme viele positive Reaktionen, aber das sei wohl nicht ganz repräsentativ, meint Christian Alberter – „schließlich werde ich natürlich auch persönlich mit dem Impfen in Verbindung gebracht.“ Aber er kenne das Thema der Impfskeptiker aus dem privaten Umfeld. „Das trifft im Endeffekt genau das, was wir in unserer Gesellschaft haben: Es gibt einfach Leute, die sich weigern und die da jetzt auch keine Lust mehr haben, die sich auch mittlerweile sehr unter Druck gesetzt fühlen. Und bei denen ist es natürlich schwierig, sie zu einer Impfung zu bringen.“

Die Impfpflicht sei daher „der einzige Weg“, glaubt Alberter. Die gebe es ja nun bereits für die Pflegeberufe. „Das wird aber für das gesamte Gesundheitssystem ein Problem werden, wenn sie nur für das Gesundheitswesen kommt. Denn die Spaltung, der Graben, ist gerade so tief, dass die Leute, die sich jetzt vehement weigern, sich impfen zu lassen, lieber aus ihrem Job rausgehen und woanders hin wechseln“, ist Alberter überzeugt. „Darum, glaube ich, kommt man an der Impfpflicht gar nicht vorbei. Die haben wir ja bei der Masernimpfung auch, da redet auch keiner darüber.“

„Das Thema Impfpflicht ist von Haus aus schwierig“, glaubt zwar Sigurd Eisenkeil, tendiert aber dennoch dazu, weil „eine generelle Impfflicht den großen Vorteil hätte, dass die Diskussionen dann endlich einmal zur Ruhe kämen – weil sonst immer überlegt wird: Soll man oder soll man nicht? Muss ich unbedingt? Wenn einmal die Pflicht da ist, muss man sich damit abfinden und sich impfen lassen, und dann ist, wie sagt man so schön: ,Dann ist der Kas bissen‘.“ Dann merke man im Nachhinein, dass es gar nicht so schlimm sei.

Impfteam angegriffen

Alberter selbst hat im Lauf des Jahres mit seinem Team auch persönlich Erfahrungen mit manchen Impfgegnern gemacht – besonders, als zum Beispiel im September sein Impfteam beim Einsatz an der Köschinger Realschule von einer kleinen Gruppe von Impfgegnern nicht nur unter Druck gesetzt und als „Kindermöder“ verunglimpft, sondern auch zum Teil körperlich angegangen worden sei. „Ich habe da selbst auch entsprechende E-Mails gekriegt, als es die Attacken auf unsere Mitarbeiter gab, nachdem ich bei RTL und in den Medien war“, erinnert sich Alberter.

Besonders hochhängen möchte er das nicht, aber die Spaltung gewisser Teile der Bevölkerung macht ihm durchaus Sorgen. Sie sei aber nicht erst durch das Impfen entstanden, glaubt er. „Das ist etwas, was wir seit einigen Jahren einfach bei uns in der Gesellschaft haben. Das ist schon in der Flüchtlingsdebatte losgegangen“, sagt er. „Es gibt einfach Menschen, die ihre Informationen woanders herziehen, als über die normalen Medien, die normalen Informationskanäle.“ Jeder finde da in den Weiten des Internets so sein Plätzchen. „Bevor es das Internet gegeben hat, war jeder noch mehr in seine analoge Gesellschaft eingebunden und konnte das gar nicht so ausleben – jetzt hat er einfach die Möglichkeit: Wenn jemand eine Meinung hat, findet er zehn Leute im Internet, die die gleiche Meinung haben. Die muss nicht richtig sein, aber er wird dadurch bestätigt. Und das ist das Problem.“

Impfquote im Landkreis wohl höher als offizielle Zahlen

Die Impfquote im Landkreis Eichstätt ist nach offiziellen Zahlen auch mit 57,8 Prozent (Stand: 13.12.) Erstimpfungen in der Bevölkerung vergleichsweise niedrig. „Das ist das, was tatsächlich im Landkreis verimpft wurde, inklusive der Hausärzte. Das Problem, das wir eben haben, ist, dass wir gerade im Speckgürtel um Ingolstadt zum Beispiel viele Audi-Mitarbeiter haben, die über Firmenimpfungen geimpft worden sind“, sagt Alberter. Die seien daher nicht im Landkreis Eichstätt registriert. „Wir haben in einer kleinen Zahl natürlich auch welche, die sich aus anderen Landkreisen über die Firma bei uns haben impfen lassen, aber der große Strom war da sicher Richtung Ingolstadt.“ Darauf deutet auch eine andere Zahl in der offiziellen Statistik hin: Nach den offiziellen Zahlen liegt die Quote der Zweitimpfungen im Landkreis über der der Erstimpfungen: nämlich bei 59,8 Prozent (Stand: 13.12.). „Die Impfquote im Landkreis liegt insgesamt sicher höher. Genau kann man es aber nicht beziffern. Da war einfach die Datenerfassung zu ungenau.“

Die niedrige Impfquote im Landkreis Eichstätt täuscht wohl – allein bei Audi hätten sich viele Mitarbeiter in Ingolstadt impfen lassen und seien nicht in Eichstätt registriert. Grafik: Landratsamt Eichstätt

Sprunghafte Politik und plötzlich verkündete Entscheidungen

Insgesamt aber zieht Alberter eine positive Bilanz des Impfjahres 2020: Klar, vor allem am Anfang habe es immer wieder Probleme mit der neu entwickelten, zum Teil etwas unflexiblen Software gegeben, besonders aber durch die oft wechselnden, vor allem aber schnellen Beschlüsse: „Das Problem, das für uns ab dem ersten Tag bestanden hat, war, dass die Politik schneller in den Medien ihre Nachrichten gebracht hat, als wir überhaupt Handlungsvorgaben bekommen haben. Das hat uns ganz, ganz oft das Leben und die Arbeit schwer gemacht.“ Die politischen Entscheidungen seien sofort öffentlich vermeldet worden. Danach aber habe es noch zwei Tage gedauert, bis die entsprechenden praktischen Handlungsempfehlungen ausgearbeitet worden seien. So sei eine Erwartungshaltung in der Bevölkerung entstanden, „die wir nie erfüllen konnten“.

Ähnliches gelte für den Informationsbedarf in den Hotlines. „Der Landkreis hat 130.000 Einwohner, am Anfang hatten wir über 50.000 Menschen über 70, die geimpft werden wollten. Die haben alle Fragen gehabt. Das kann ich nicht in einer Hotline abfangen. Das ist gar nicht möglich – ob das jetzt die Hotline vom Landratsamt war oder unsere oder noch andere. Die Leute wollten Antworten haben, aber unser System wäre definitiv nie in der Lage gewesen, das gut abzuarbeiten. Dem mussten wir uns einfach stellen. Wir wussten genau: Wir schaffen nicht 100 Prozent. Und wenn wir 60 Prozent geschafft haben, waren wir schon gut.“

Und dennoch: Am Ende eines langen Jahres „mit vielen Höhen und Tiefen“, die Christian Alberter und Sigurd Eisenkeil gemeinsam erlebt hätten, fällt ihre Bilanz positiv aus. „Es ist immer noch ein tolles Erlebnis. Es ist so die wahrscheinlich größte Krise nach dem Zweiten Weltkrieg, und jeder unserer Mitarbeiter hat sich da voll identifiziert und eingebracht und seinen Teil dazu beigetragen“, sagt Alberter und lobt sein Team. „Es war ein tolles Gemeinschaftserlebnis auch für alle Mitarbeitenden, und so muss man das auch mehr als positiv sehen.“ Die allermeisten Menschen seien sehr freundlich und positiv geblieben. „Aber zu uns kommen auch vor allem die, die ihre Entscheidung schon getroffen haben.“

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