LebenPanorama

Der Regen der Pyrenäen und der Zauber der Kanaren

Motorradreisender Peter Schuster über eine besonders schöne Motorradreise

Während sich die meisten Menschen in ihrer Coronazeit ein wenig eingeschränkt und eingesperrt fühlten, erlebten Karl Seitz (Kipfenberg, 64), Herbert Stampfer (Eichsätt, 60) und Peter Schuster (Schernfeld, 63) die große Freiheit: einmal mehr waren sie auf ihren Motorrädern in der Welt unterwegs. Diesmal nicht in Island oder auf dem „Dach der Welt“ in Tibet, sondern „nur“ auf dem „Dach der Tour“ – gemeint sind die Gipfel Galibier und Tourmalet, die nicht nur jedes Jahr für spannende Bergankünfte bei der „Tour de France“ sorgen, sondern auch zumindest geografisch Höhepunkte ihrer eigenen „Tour D’Europe“ waren. Eigentlich aber ging es durch die Pyrenäen und über die Kanaren – und zwar ungewohnt „untouristisch“ in Coronazeiten. Es war keine Flucht vor der Coronaenge, aber nach langer verzögerung dann doch besonders herbeigesehntes Abenteuer auf zwei Rädern. Peter Schuster berichtet hier selbst darüber.

Auf zwei Rädern durch spektakuläre Landschaften: Peter Schuster auf dem Motorrad auf El Hierro. Fotos: oh

Von Peter Schuster

Herbert Stampfer (Eichsätt, 60), Karl Seitz (Kipfenberg, 64) und Peter Schuster (Schernfeld, 63) brauchen fünf Anläufe, bis sie mit den Motorrädern auf den Kanarischen Inseln sind. Doch die Fahrt über sechs der sieben Inseln – La Palma wurde wegen des Vulkanausbruchs ausgeklammert – entschädigt für die lange Wartezeit ebenso wie für die drei Regenwochen zu Beginn der Reise.

Motorradreisende sind keine Krachmacher, die jeden Sonntag im Sommer das Altmühltal mit überhöhter Drehzahl rauf und runter „orgeln“. Sie wollen die Welt bereisen, mit dem Motorrad unterwegs sein. Sie wollen den Wind spüren, selbst den Regen, hoffentlich bald gefolgt von der Sonne. Den Wechsel der Temperaturen, den unvergleichlichen Geruch von Zedern und Wiesen, den Staub zwischen den Zähnen nach langen Schotterpassagen. Das Fernweh steigt mit jedem Tag, den wir nicht aufbrechen.

Und genau dieses Fernweh wurde im Frühjahr 2019 bei den drei Bikern, die sich auf Whatsapp zur „Motorrad Oldtimer“–Gruppe zusammengeschlossen hatten, immer stärker. So wurde die Idee geboren, die Kanarischen Inseln mit den Motorrädern zu bereisen – Termin: Herbst 2019. Kurzfristig musste Herbert, der einzige der Drei, der noch berufstätig ist, wegen eines unaufschiebbaren Auftrages absagen. Dann kam Corona und der Abreisetag wurde halbjährig von Frühjahr auf Herbst und umgekehrt immer wieder verschoben.

Hinauf auf Galibier und Mont Ventoux

7. September 2021, 8:00 Uhr: Wir treffen uns bei Herbert im Hof, die Maschinen sind bepackt, wir sind zweimal geimpft – fast haben wir in den zurückliegenden zwei Jahren den Glauben verloren, doch nun sind wir startbereit. Endlich wieder im Sattel. Über Österreich, die Schweiz und Italien geht es, obwohl die Wetteraussichten besser sein könnten, nach Frankreich in die Westalpen. Wir haben Glück: Auf trockenem Asphalt erklimmen wir die beiden Tour-de-France-Giganten Col d`Izoard und Col du Galibier. Es folgen die Combe Laval, eine vier Kilometer lange spektakuläre Stecke entlang einer Felswand und schließlich das Highlight der ersten Woche, der Mont Ventoux, der vom Mistral sturmumtoste mystische Gigant der Provence.

Ob mit Motorrad oder Gleitschirm: Herrlicher Blick über die Alpen am Mont Ventoux.

Am nächsten Tag erreichen wir Toulon, und unsere Fähre nach Mallorca wartet schon auf uns. In den Alpen sind wir immer wieder nass geworden und können es nicht erwarten, die Sonneninsel zu betreten. Wir fahren die steile Rampe der Fähre hinab, plötzlich müssen wir höllisch aufpassen – sie ist klitschnass, es gießt wie aus Kübeln, ein kräftiges Gewitter geht nieder. So haben wir uns den Empfang auf Mallorca nun wirklich nicht vorgestellt. Doch der Spuk ist schnell vorbei und wir gönnen uns nach fünf Nächten im Zelt ein Hotel in S’Arenal. Nach zwei Fahrtagen und einem Ruhetag kommen wir zu dem ernüchternden Ergebnis: der Sangria war besser als die Kurven der Insel. Zuviel Verkehr, trotz Corona zu viele Touristen, und die nördliche Küstenstraße hätten wir uns gerne etwas abenteuerlicher gewünscht.

Wir durchkreuzen das edle Barcelona und es geht steil in die Höhe. Die 430 Kilometer lange Gebirgskette der Pyrenäen verläuft vom Mittelmeer bis zum Atlantik und trennt die iberische Halbinsel vom Rest Europas. Noch einmal kommen wir nach Frankreich und müssen uns wieder umstellen, die Maskenpflicht und Abstandsregel werden hier viel stärker überwacht als in Spanien. Leider macht uns auch hier der Wettergott einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Wir stehen auf dem König der Pyrenäen, dem Col du Tourmalet und sehen: nichts. Wir sind in den Wolken und es nieselt.

Für die Nacht hat Karl im Skigebiet Val Louron eine Ferienwohnung gebucht. Es war ein nasser, kalter Tag. Es geht erneut hinauf. Über schier unzählige Kehren gewinnen wir bei einsetzender Dämmerung schnell Höhe. Oben auf fast 1500 Metern erreichen wir das Skiresort, es ist bitterkalt und vor allem eines: menschenleer. Niemand kann uns Auskunft geben. Wir brauchen über eine Stunde, bis wir das richtige Haus finden. Inzwischen ist es dunkel, und wir freuen uns riesig, dass wenigstens die Heizung in der Unterkunft funktioniert.

„Zauber“ von Santiago und Reinhard Mey „Über den Wolken“

Zurück in Spanien, wählen wir den schnellsten Weg nach Santiago de Compostela. Dort soll das Wetter endlich besser sein. Santiago ist Ziel der Pilger, die auf dem Jakobsweg ihre Pilgerreise antreten. In der Kathedrale ruhen die Gebeine des Apostel Jacobus, so die Überlieferung. Auch uns erfasst der Zauber, den dieser Ort auf die fast 200.000 Pilger, die jedes Jahr hier ankommen, ausübt. Normalerweise meide ich bei meinen Reisen größere Städte, der Anziehungskraft Santiagos jedoch können auch wir uns nicht entziehen.

Langsam fragen wir uns, was wir verbrochen haben. Wir haben uns so auf den bergigen Norden Portugals gefreut, aber auch hier zwingt uns der Regen zur Planänderung. Mit Vollgas gibt es nur eine Richtung: geradeaus nach Süden. Im wunderschönen Tal des Douro erwischen uns die ersten Sonnenstahlen. Unsere Stimmung steigt von Kilometer zu Kilometer, von Kurve zu Kurve, durch die wir in tiefer Schräglage ziehen.  Übertroffen wird die portugiesische Kurvenorgie vom Torre, dem höchsten Berg Portugals. Strahlender Sonnenschein, tiefblauer Himmel über uns und unter uns ein schier endloses Wolkenmeer. Das Lied von Reinhard Mey „Über den Wolken“ auf den Lippen werden wir diesen traumhaften Blick sicher ein Leben lang in Erinnerung behalten.

Panorama über Portugal: Blick vom Berg Torre.

Kanarischen Boden unter den Reifen

Das gute Wetter hält, das war nach miesen drei Wochen nun wirklich nötig ist. Über den Wallfahrtsort Fatima dringen wir auf kleinen Straßen ganz in den Südwesten Portugals vor. Auf der Vinha Velha, einer kleinen Ranch mit Übernachtungsmöglichkeit im absoluten Nirgendwo, lebt seit einigen Jahren Florian Neumeyer mit seiner Lebensgefährtin. Florian stammt vom Birkhof und betreibt hier eine Bio-Landwirtschaft mit Gästebetrieb. Wer einmal im Urlaub richtig abschalten möchte, der ist hier bestens aufgehoben. Leider können wir nur eine Nacht bleiben, denn morgen geht unsere Fähre von Huelva nach Lanzarote.

Lange 27 Stunden Fährfahrt später haben wir endlich kanarischen Boden unter den Reifen. Gestern haben wir am Fährhafen noch Carlos getroffen. Er ist Spanier, lebt auf Teneriffa, spricht perfekt Deutsch, war schon oft Tourguide bei BMW-Motorradreisen und kehrt eben von einer 14-tägigen Tour auf dem Festland zurück. Mit reichlich Tipps eingedeckt kann unser Kanaren-Abenteuer fast nicht mehr schief gehen. Kaffeetrinkertipp: Nicht Cafe con leche bestellen! Hier auf den Kanaren gibt es „Cafe con leche leche“ – mit einer dicken Schicht Kondensmilch auf dem Boden.

Farbenspiel in Ockertönen: Landschaft auf Fuerteventura.

Farbenspiel aus Ockertönen

Gleich am ersten Fahrtag morgens Regen auf Lanzarote? Kann bei zwei Regentagen im Oktober eigentlich nicht sein! Macht nichts, eine Stunde später ist der Spuk vorbei, und wir parken die Motorräder im Parque Nacional de Timanfaya. Wie gerne wären wir die Routa de los Volcanes mit den Bikes gefahren, ist jedoch strengstens verboten. So nehmen wir wie alle anderen den Bus. 1730 gab es hier die stärksten Vulkanausbrüche. Wir erleben eine Landschaft von karger Schönheit, an deren Farbenspiel aus Ockertönen wir uns fast nicht satt sehen können. Ich sage zu Herbert: „Kanaren? Oder hat uns jemand nach Island gebeamt?“ – eine unserer vorherigen Reisen. Auf schmalen Straßen nähern wir uns nach einer ausgiebigen Mittagspause mit köstlichem Fisch dem Mirador (Aussichtspunkt) del Rio. Der grandiose Ausblick auf die kleine Nachbarinsel Isla Graciosa raubt uns schier den Atem. Doch dieses Phänomen werden wir auf den Kanaren noch öfter erleben.

Warmes Licht: Leuchtturm im Gegenlicht an Portugals Atlantikküste.

Abends sitzen wir in einem gemütlichen Restaurant direkt am Meer. Es ist der 4. Oktober 2021, und um 24 Uhr hat Herbert sein 60. Lebensjahr vollendet. Von Sangria zu Sangria steigt die Stimmung, der Wirt schaut schon besorgt. Ab 23 Uhr sind wir die einzigen Gäste, er möchte schließen. Wir erklären ihm den Grund, bitten um Verlängerung. Er drückt ein Auge zu, und zum „Happy Birthday“ um Mitternacht gibt’s sogar noch einen spendierten Limettenlikör. Bei den beiden zuvor genossenen achtjährigen „Chivas“ wäre das Zuckerwasser allerdings zu vernachlässigen gewesen. Auf dem Nachhauseweg, angelockt durch laute Musik, legen wir noch einen außerplanmäßigen Zwei-Caipirinha-Boxenstop in einer Disco ein, wo wir uns allerdings schnell eingestehen müssen: Das ist nicht mehr ganz unsere Altersklasse.

So hangeln wir uns langsam von Insel zu Insel. Auf Fuerteventura erkunden wir zwei abgelegene Schotterpisten, die uns durch langersehnte Einsamkeit immer am Meer entlangführen. Teneriffa ist die größte der kanarischen Inseln. Sie beheimatet den Parque Nacional del Teide, eine einzigartige Kraterlandschaft mit Vulkanen und versteinerten Lavaflüssen, die die beeindruckende Silhouette des Vulkans Teide, der an seinem höchsten Punkt 3.718 m erreicht, säumt. Nachmittags verlassen wir den Park und folgen der TF 24 in Richtung Osten. Mit jedem Kilometer wird es einsamer, doch die Landschaft bleibt weiterhin absolut grandios. So toll haben wir uns das Fahren auf den Kanaren in unseren kühnsten Träumen nicht vorgestellt.

„Insel zum Verlieben“

La Gomera ist eine Insel zum Verlieben. Auf bestens ausgebauten Straßen fahren wir uns in einen Kurvenrausch, der droht, im Delirium zu enden. Die Schräglage nimmt bedrohlich zu, was wir abends am seitlichen Reifenabrieb deutlich sehen. Der Mirador de Abrante stellt alles bisher Gesehene in den Schatten: hier stehst du nicht am Rande einer Felswand, du schwebst! Vom Rand des Aussichtspunkts aus ragt eine sieben Meter lange Plattform, die nicht nur rundherum verglast ist, sondern auch einen Glasboden hat, direkt über den Abgrund. El Hierro dagegen können wir nicht viel abgewinnen. In den Höhen fahren wir meist im Nebel der Wolken, und sonst folgen ermüdende Passagen durch schier endlose Lorbeer- und Pinienwälder.

Tierischer Beobachter: ein aurisches Atlashörnchen.

Das Beste kommt bekanntlich zum Schluss: Gran Canaria. Nichtsahnend verlassen wir Las Palmas in Richtung Cruz de Tejeda, dem Zentrum der Insel. Oben an der Kante blicken wir ohne jegliche Vorwarnung auf ein atemberaubendes Labyrinth aus hohen, felsigen Bergen, tiefen Tälern und einer Extraklasse an abenteuerlichsten Straßenkonstruktionen. Alles überragt vom grandiosen Roque Nublo, dem Wahrzeichen der Insel und einem der größten natürlichen Felsen weltweit. Tags darauf halten wir im Barranco de Fataga am Mirador Astronómico und sehen tief unten im Tal eine Schotterstraße, die mich unweigerlich an die „White Rim“ im Canyonland-Nationalpark in Utah erinnert, die ich 2001 gefahren bin, und die noch immer die Nummer 1 meiner bisher gefahrenen Pisten ist. Von Island in die USA gebeamt? Der Barranco de Fatago führt uns geradewegs weiter in Richtung Meer, und der grandiose Tag findet in den Dünen von Maspalomas einen mehr als würdigen Ausklang.

Unseren Abschied von den Kanaren erleben wir in einem abgelegenen Fischrestaurant direkt am Meer, das Herbert nachmittags beim Joggen entdeckt hat. Hierher finden nur Einheimische den Weg. Die blutrote Sonne versinkt langsam im Meer, wir genießen ein letztes Mal eine köstliche Fischmahlzeit und blicken wehmütig auf die vergangene Zeit hier auf den wunderbaren Inseln zurück. Mit dem Motorrad die Kanaren bereisen – vom Motorradfahren her unsere bisher schönste Reise. Es ist der 20. Oktober, morgen geht die Fähre zurück ans Festland. Vor uns liegen noch vier Tag Autobahnschruppen mit 2550 Kilometern, und es wird wieder kalt werden – doch daran verschwenden wir an diesem Abend noch keinen Gedanken.

Hier Peter Schusters persönliche „Inselrangliste“ für Motorradfahrer:
Platz 7: La Palma (außer Konkurrenz), Mallorca
Platz 6: El Hierro (die raue Kleine)
Platz 5: Lanzarote (die Schwarze)
Platz 4: Fuerteventura (die Rote)
Platz 3: Teneriffa (die Große, die Hohe, die Teide)
Platz 2: La Gomera (die Bezaubernde)
Platz 1: Gran Canaria (die Königin)

Wer mehr über die Tour wissen will und auch die Bilder dazu im Rahmen einer multimedialen Show erleben möchte, für den hat Peter Schuster noch ein spezielles Angebot parat:

„Nachdem ich coronabedingt 2021 keine Vorträge durchführen konnte, ist auch die Unterstützung für meine Spendenprojekt in Bolivien, welches Weihbischof Adolf Bittschi ins Leben gerufen hat und das Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution unterstützt, zum Erliegen gekommen. Deshalb zeige ich im März 2022 meine drei Vorträge (4. Island, 5. Kathmandu und 25. Südamerika) im Wirtshaus ,Zum Gutmann‘ in Eichstätt, und der gesamte Erlös der Veranstaltungen geht nach Bolivien.

Mehr Informationen über die Reise und die Veranstaltungen gibt es auf www.nurkurznachkathmandu.de und rechtzeitig in der Presse.

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