EventLebenPolitikTopthema

Miteinander reden: Premiere der „Langen Nacht der Demokratie“

KU-Veranstaltung setzt sich mit Rolle der Medien auseinander und fordert Gesprächskultur, die Andersdenkende einbezieht

Was bedeutet Demokratie? Ist es genug, alle paar Jahre zur Wahl zu gehen oder ist Teilhabe am politischen System doch mehr? Wer sollte an demokratischen Prozessen beteiligt werden und was haben mit alledem die klassischen und die sozialen Medien zu tun? Es waren tiefschürfende Themen, die am ersten Oktobersamstag in der Mensa der Katholischen Universität (KU) behandelt wurden. Das Datum für die „Lange Nacht der Demokratie“ war nicht willkürlich gewählt, sondern bewusst auf den Vorabend des 3. Oktober gelegt, dem Tag der Deutschen Einheit. Im Kern ging es dabei um die Frage, was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält. Eichstätt war dabei nicht der einzige Schauplatz: Die „Lange Nacht der Demokratie“ wurde in mehr als 30 bayerischen Kommunen abgehalten. Schirmherrin ist Ilse Aigner (CSU), Präsidentin des Bayerischen Landtags.

Medien, Meinungen, Manipulation: Bei der Premiere der langen Nach der Demokratie ging es um eine neue Gesprächskultur, mehr Meinungsvielfalt und mehr Transparenz der sozualen Medien. Fotos: ej

Erstmals wurde eine derartige Veranstaltung, deren Konzept seinerzeit an der Universität Augsburg entwickelt worden war, 2012 abgehalten; voriges Jahr hätte es bereits eine Neuauflage geben sollen, doch kam Corona dazwischen. In Eichstätt wurde die „Lange Nacht“ von Dozenten und Studenten der KU, vom Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft und vom Zentrum Flucht und Migration getragen. Beteiligt waren ferner der Arbeitskreis Shalom, AI, der Kreisjugendring, die Kommunale Jugendarbeit Eichstätt und Bahnhof lebt.

Gegliedert war die Veranstaltung in drei Themenbereiche: Medienwelten, Weltenbilder und ein Miteinander zum Ausklang. Im ersten Teil konnten die Teilnehmer viel über den Zusammenhang von Demokratie und Medien erfahren. Über sein individuelles Medienverhalten konnte jeder einen Fragebogen ausfüllen und dabei viel über sich selbst und seine Persönlichkeit herausfinden. Verschiedene Apps standen unter dem Aspekt ihrer Demokratietauglichkeit zum Ausprobieren bereit. Tanja Evers, selbst Kommunikationswissenschaftlerin und Leiterin des Forschungsteams am Zentrum für Flucht und Vertreibung an der KU, hielt einen Vortrag und appellierte darin, in einen aktiven Austausch untereinander zu treten.

Kernstück des Abends war eine Diskussionsrunde, die jedem die Möglichkeit bot, seine Meinungen, Erfahrungen und Ansichten kundzutun. Wobei Runde wörtlich zu nehmen ist. Stühle waren in Kreisen angeordnet; der innerste Kreis bestand aus sechs Sitzgelegenheiten, von denen aber nur fünf besetzt waren: Auf ihnen saßen Tanja Evers, Professorin Johanna Haberer, Inhaberin des Lehrstuhls für Christliche Publizistik an der FAU Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Bayerischen Ethikrates, Tom Muhr, 2. Vorsitzender des Vereins „Bahnhof lebt“, und Manfred Muthig, Vorsitzender des Kreisjugendrings. Ebenfalls anwesend war Clemens Finzer, Leiter der Ausbildungsredaktion beim Bayerischen Rundfunk.

Konflikte als Kitt der Demokratie

Auf dem sechsten Sitz konnte jeder spontan Platz nehmen und das Mikrofon ergreifen. Auch auf den anderen fünf Stühlen wurde gewechselt, so dass die gesamte Runde ständig in Bewegung war, was dem Austausch der Argumente sehr zugute kam. Laut einer Studie des Robert-Bosch-Instituts gaben 94 Prozent der Befragten an, es sei ihnen wichtig, in einer Demokratie zu leben. „Was aber ist Demokratie?“, wurde provokant in die Runde geworfen. Auf einen Konsens kam man da schnell: „Demokratie lebt vom Mitmachen.“ Und es sei in Ordnung, wenn nicht immer alle einer Meinung seien. Konflikte seien auch als Kitt der Demokratie zu betrachten. Man müsse miteinander ins Gespräch kommen.

Aber da beginnen die Probleme. Die technischen Mittel, alle zu beteiligen, seien vorhanden. Der Unterbau der Demokratie, die nicht nur aus Parteien bestehe, müsse aber ausgebaut werden. Der Schwung zur Beteiligung möglichst vieler Bürger sei bei Parteien noch nicht besonders ausgeprägt. Zudem solle es mehr Beteiligung außerhalb von Wahlen geben, lautete eine weitere Forderung.

In der Diskussionsrunde wurden grundlegende Fragen zur demokratischen Beteiligung gestellt. Jeder Teilnehmer konnte sich bei dieser „Fish-Bowl-Diskussion“ beteiligen und im Zentrum der Runde mitdiskutieren.

Bei Stichwort Wahlen tauchte eine große Hürde auf: „Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre dürfen nicht wählen“, machte Schmitt aufmerksam und wurde dabei von Muhr und Muthig unterstützt. Klar sei, dass Ein-, Zwei- oder Dreijährige keine solchen Entscheidungen treffen könnten. „Studien haben aber ergeben, dass Kinder ab zwölf Jahren sehr wohl verstehen, was Wahlen bedeuten“, erklärte Muthig und plädierte auf eine Absenkung des Wahlalters auf ab 14. Hier wagte der Journalist Clemens Finzer einen Einwand. Jugendliche seien sehr leicht beeinflussbar, sagte er und führte die Jugend im Dritten Reich als Beispiel an. Gegen einen solchen Vergleich mit heutigen Jugendbewegungen wie „Fridays for Future“ verwahrte sich Tom Muhr energisch.

Damit der Nachwuchs sich aber durch Wahlen und auf andere Weise an demokratischen Prozessen beteiligen könnte, müsste mehr Augenmerk auf die politische Bildung an Schulen und anderen Einrichtungen gelegt werden. Hier müsste viel mehr getan werden, lautete der allgemeine Tenor. Eine junge Frau meldete sich zu Wort: „Viele Jugendliche haben Interesse an der Zukunft, doch Entscheidungen über die Zukunft treffen ältere Menschen, die wiederum ihre Interessen haben.“

Facebook & Co transparenter gestalten und regulieren

Die Medien wurden ebenfalls unter die Lupe genommen. Ein mündiger Bürger müsse valide informiert sein. „Schaffen die Medien heute eine vernünftige Recherche?“ Schließlich würde das Weltbild des einzelnen durch die Medien gestaltet. Ebenso komme es auf die Gesprächskultur an. Man müsse auch mit Andersdenkenden reden, hieß es. Dafür müssten gerade junge Menschen früh an die dazu nötigen Kompetenzen herangeführt werden. Die sogenannten profitorientierten Sozialen Medien seien dafür aber ungeeignet. Mehrere Teilnehmer wiesen auf den rüden und beleidigenden Umgangston auf diesen Plattformen hin. Dafür – nämlich dafür Kommunikationskompetenzen aufzubauen – seien die auch nie gedacht gewesen. Sie hätten auch nicht diesen Anspruch, warf Finzer trocken ein.

Was man tun könne, sei, sie staatlichen Regeln zu unterwerfen. „Sie müssten gezwungen werden, ihre Auswahlkriterien für Löschungen öffentlich zu machen“, schlug er vor. Gänzlich verteufeln wollte die Diskussionsrunde Facebook, Twitter und Co aber auch nicht. „Sie sind wichtig für Bewegungen und nützlich, um zu mobilisieren“, erklärte die junge Frau, die sich selbst als sehr medienkompetent bezeichnete. Ein weitere Herausforderung stellt die Tatsache dar, dass mehr als 90 Prozent der für „Fridays for Future“ Engagierten dem Gymnasium entstammen. Mit anderen Worten: Realschüler erreiche man kaum und Mittelschüler praktisch gar nicht. Das könne sich nur ändern, wenn an verschiedenen Orten, etwa Jugendtreffs, niederschwellige Angebote bereitgehalten würden, so ein Lösungsvorschlag

Die öffentlich-rechtlichen Medien und das Gendern

Gegen Ende der Diskussionsrunde ging Finzer auf die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien ein. Heute müsse man für ganz bestimmte Gruppen auch ganz gezielte Angebote machen, und zwar auf allen Kanälen. Junge Menschen hätten kaum noch einen Fernseher zu Hause. Für sie müsse man andere Formate bespielen. Den Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen, aber auch die Spielregeln der Demokratie und damit verbundene etwaige Schwierigkeiten schilderte er am Beispiel des Genderns. Es gebe gesellschaftliche Kräfte, die genau das fordern, doch weit mehr als 80 Prozent der Gesellschaft könnten mit Binnen-I, Doppelpunkten und der damit verbundenen Aussprache nichts anfangen. Deshalb, so Clemens Finser, werde beim Bayerischen Rundfunk, bis auf wenige Formate, nicht gegendert.

Nach einer kurzen Pause zog die Diskussionsrunde in einer Reflexion Bilanz; sie fiel durchaus zufriedenstellend aus. Auch das Organisationsteam zeigte sich zufrieden, sowohl mit dem Verlauf als auch mit der Beteiligung. Anschließend war Discofeeling angesagt. Es gab Discjockeys und eine Besonderheit: Statt lauter Musik bekamen die Tänzer Kopfhörer, mit denen sie aus zwei verschiedenen Stücken ihren Musikgeschmack wählen konnten. Und so endete die „Lange Nacht der Demokratie“ ganz im Sinne der Veranstaltung: Miteinander. ej

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"