PolitikTopthema

Wahl-Serie: Kapitalismuskritik im Wald

Agrarpolitische Sprecherin der Linken zu Besuch bei Waldbauer Tim Brand

„Es wird jetzt richtig knapp“, hatte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder vor Kurzem betont und einmal mehr vor „einem historischen Linksrutsch“ und einer rot-rot-grünen Koalition gewarnt – ganz so, wie es sich für einen CSU-Chef im Wahlkampf gehört. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat sich beim „Triell“ der Kanzlerkandidaten am vergangenen Wochenende nicht davon distanzieren wollen – kein Wunder: Schließlich bietet es nach den aktuellen Umfragewerten eine realistische Chance für seine Kanzlerschaft.

Bei der Linken hofft man auf genau das. Statt Daueropposition will man unter der Doppelspitze Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler endlich in Regierungsverantwortung. Das spürt man auch hier an dem einfachen Holztisch im Wald bei Denkendorf. Vieles ist ein wenig anders bei der Linken. Und so trifft man sich zum Wahlkampfauftritt im Landkreis Eichstätt auch einmal an jenem Tisch vor einer abgelegenen, einfach eingerichteten Waldhütte mit ausgelagertem Klo und benachbartem Holzschuppen, die verwunschen und abgelegen mitten im Wald liegen. Es gibt veganen Kuchen – wie ihn der bekennende Veganer Roland Meier, Direktkandidat der Linken, oder die Bundestagsabgeordnete Eva-Maria Schreiber, Betreuungsabgeordnete des hiesigen Wahlkreises, gerne mögen. Man spricht über überklebte Wahlplakate in einer Gemeinde, die man wieder in Ordnung bringen will.

Einen „Systemwechsel“ nicht nur in der Land- und Forstwirtschaft wünschen sich die Linken hier bei einer Waldbegehung mit Ökolandwirt Tim Brand bei Denkendorf. Foto: Zengerle

Die Stimmung in der rund zehnköpfigen Gruppe ist gut und kämpferisch. Sie alle sind gekommen, um über Land- und Forstwirtschaft zu sprechen. Forstwirtschaft, wie sie eigentlich sein sollte – nicht nur nach den Vorstellungen von Kirsten Tackmann, der agrarpolitischen Sprecherin der Linken, die heute zu Besuch ist, sondern auch nach Meinung des Denkendorfer Ökolandwirts und Waldbauern Tim Brand, der hier am Standort rund 30 Hektar Wald bewirtschaftet, und zwar weitgehend natürlich. Klar, Rückegassen zur Bewirtschaftung gebe es auch hier, erzählt er der Gruppe. Aber die sind hier weniger zu erkennen. Der Wald ist weit dichter und naturbelassener als anderswo. Viel Moos und verschiedenste Baumarten von der Eberesche bis zur Douglasie stehen zwischen den Fichten, „die wir hier lichter stellen“, erklärt Brand.

Einigkeit bei „Eco-Schemes“

Ein klein bisschen solch idyllischer Abgeschottetheit wünschen sich die Linken auch wieder für die große Agrarpolitik, die sie anschließend beim agrarpolitischen Stammtisch in Eichstätt diskutieren wollen – und sind dabei auch manchmal plötzlich gar nicht so weit weg von der Union: Von den Vorschlägen der Kommission zur Zukunft der Landwirtschaft, die die scheidende Kanzlerin Angela Merkel noch ins Leben gerufen hatte, gehe überraschenderweise vieles in die richtige Richtung, so Tackmann – beispielsweise die sogenannten „Eco-Schemes“: Regelungen, durch die ökologische Leistungen der Landwirte wirkungsvoller mit Direktzahlungen honoriert werden und dadurch für Anreize sorgen sollen, statt nur wie bisher im Wesentlichen Kosten für freiwillige Leistungen zu übernehmen. „Wir sind froh, dass wir uns mit den Vorschlägen der Kommission im Grundsatz einig sind“, sagt Tackmann und sieht darin viele linke Themen aufgegriffen.

Dann aber sind da auch wieder die großen Unterschiede: Denn während man sich im Wahlkampf an der Oberfläche parteiübergreifend zu Themen wie Tierwohl, ökologischer Landwirtschaft, Maßnahmen gegen den Klimawandel oder dem Schutz der Kleinbauern bekennt, verbindet die Linke das im Detail viel mehr als andere auch mit einer Kapitalismuskritik und dem Wunsch nach mehr staatlichen Eingriffen. Es brauche völlig neue internationale Regelungen bei WTO und EU und mehr Abschottung vor Billigimporten sagt Eva-Maria Schreiber. Auch das Wort „Zölle“ fällt am Tisch vor der Waldhütte.

Faire Bezahlung für Bauern – auch das wünschen sich alle Parteien. Aber die Wege dahin sind unterschiedlich. Die Linken fordern auch hier mehr Eingriffe in den Markt und wollen gegen Agrar- und Lebensmittelkonzerne vorgehen. Es müsse mehr Augenhöhe zwischen den Erzeugern landwirtschaftlicher Produkte und den Großbetrieben von Molkereien bis hin zum Schlachtbetrieb Tönnies oder den großen Lebensmittelhändlern wie Aldi geben. Klauseln für unlauteren Wettbewerb müssten endlich umgesetzt werden. Der Kapitalismus bringe Fehlentwicklungen mit sich. Die Großkonzerne diktierten heute Preise und Konditionen.

Zerschlagung der Agrar- und Lebensmittelkonzerne?

Solche Marktmacht dürfe man nicht mehr zulassen, fordert Tackmann. Eine Zerschlagung also? „An manchen Stellen, muss man die Frage stellen dürfen, ob man sich das bieten lassen will“, so die agrarpolitische Sprecherin der Partei, die selbst in einem 50-Einwohner-Dorf in Brandenburg wohnt und nach 16 Jahren im Bundestag zur aktuellen Wahl nicht mehr antritt. Und so sprechen sich die Linken nicht nur für eine Enteignung der Immobilien- und Krankenhauskonzerne aus, sondern auch dafür, dass die Energie- und Agrar- und Lebensmittelkonzerne entmachtet werden. Wo landwirtschaftliche Flächen zum Verkauf stünden, sollten öffentliche Bodenfonds sie aufkaufen, wenn das Vorkaufsrecht für Landwirte nicht greift.

Weniger Markt und dafür mehr Regulierung im ohnehin schon an Regeln nicht gerade armen Agrarbereich und eine Entmachtung der größeren Unternehmen – das hört sich fast ein wenig an wie derzeit in China, wo Staatschef Xi Jinping gerade die großen Digitalkonzerne an die Kandare nimmt, wie die Linke in ihrem Wahlprogramm (siehe Kasten) eine Vermögensumverteilung fordert und zum Beispiel von heute auf morgen kommerzielle Nachhilfe für Schüler verboten und zu einer gemeinnützigen Aufgabe erklärt hat. Dabei greift er die Ängste chinesischer Eltern auf, die sich gute Noten und damit eine erfolgreiche Zukunft für ihre Kinder wünschen – mit entsprechendem Druck. Die Bildung unabhängiger vom Einkommen der Eltern zu machen und den finanziellen Druck auf die Mittelschicht zu lockern, ist gut gemeint, aber in der radikalen Form eben dann auch wohl überhastet und schlecht gemacht. Es verlagert das Problem einfach in die Schattenwirtschaft – der finanzielle Druck dagegen wird wohl bleiben, wie es sich etwa in Südkorea gezeigt hat, wo man das ganze schon vor rund 40 Jahren ähnlich radikal versucht hat.

Auch in Deutschland gibt es nicht erst seit der Coronakrise besorgte Eltern und andere Zukunftsängste: steigende Mieten und Inflationssorgen etwa. Themen wie Tierwohl oder der Klimawandel sind ebenso omnipräsent wie natürlich Fragen der sozialen Gerechtigkeit, angesichts derer sich die Linken auf dem richtigen Weg und im Aufwind fühlen.

Und so wünschen sich auch viele in Deutschland und Bayern ebenso wie die Linken am Holztisch vor der Waldhütte bei Denkendorf zum Beispiel mehr regionale Vermarktung und kleinere Strukturen, aber auch Verbote – etwa dagegen, dass Investoren Anteile an landwirtschaftlichen Betrieben und damit letztlich auch Flächen aufkaufen dürften, ohne dafür zudem Grunderwerbssteuer zahlen zu müssen. Solche „Share Deals“ müssten endlich reguliert werden. Auch mit dieser Forderung ist man sich mit anderen Parteien und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) einig.

Die Wiedereinführung von Milchquoten und vor allem eine regionale wie auch betriebliche Deckelung der Viehbestände aber fordern so radikal nur die Linken. Auf der anderen Seite solle dafür eine Konversion, ein Umbau in der Landwirtschaft hin zu anderen Erlösquellen stehen – den Hanfanbau etwa, der viel Potenzial biete, so Roland Meier, der wie seine Partei auch in der Drogenpolitik eine „180-Grad-Wende“ fordert. Auch hier sollen die großen Unternehmen die Zeche zahlen, die kleinen Bauern aber faire Preise bekommen. Faire Preise für gute, landwirtschaftliche Produkte – auch das würden letztlich alle Politiker aus allen Parteien letztlich so unterschreiben, aber im Kleingedruckten der Wahlprogramme sind die Unterschiede dann doch groß.

Die Linke fordert in ihrem nicht nur in der Landwirtschaft nicht weniger als einen „sozialökologischen Systemwechsel“ hin zu einem „gerechteren, klimaneutralen“ Europa – so steht es im Wahlprogramm. Auch das „gerechtere, klimaneutrale Europa“ würden sich – wohl mit Ausnahme der AfD – alle Parteien auf die Fahnen schreiben. So klingen die Wahlkampfparolen bei Schlagwörtern wie Tierwohl, soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und ökologischer Landwirtschaft zwar überparteilich ähnlich – im Detail aber sind die Unterschiede an manchen Stellen so groß wie zwischen dem monumentalen Kanzleramt und jener Waldhütte bei Denkendorf.

„Grüner als die Grünen, sozialer als die SPD“

„Grüner als die Grünen, sozialer als die SPD“ sei man, so sagt es auch Direktkandidat Roland Meier. Mietendeckel, kostenloser ÖPNV, ein höherer Mindestlohn (13 Euro), die Abschaffung von Hartz IV, dafür Mindesteinkommen und Mindestrente von 1200 Euro, ein Rechtsanspruch auf eine Vollzeitstelle und Weiterbildung, höhere Renten bei gleichzeitig früherem Renteneintritt mit 65 oder nach 40 Beitragsjahren, mehr Urlaub und arbeitsfreie Tage, mehr Personal in Krankenhäusern und Pflegeheimen, Einschränkungen der Finanzmärkte – nur einige einer langen Liste teurer Wahlversprechen.

Die will die Linke über einen höheren Spitzensteuersatz (53% ab 76.000€), eine Reichensteuer, eine einmalige Vermögensabgabe (10-30 Prozent ab zwei Mio. Privat- und fünf Mio. Betriebsvermögen, zahlbar über 20 Jahre), eine Vermögenssteuer (Steuersatz zwischen 1% ab einem Privatvermögen von 1 Mio. und 5% ab ab 50 Mio., 5 Mio. Freibetrag und ermäßigter Steuersatz für arbeitsintensives Handwerk) sowie eine Erbschaftssteuer und über mehr Personal und Kontrollen im Steuervollzug sowie den Abbau klimaschädlicher Subventionen finanzieren. Auch sonst sollen Steuerschlupflöcher geschlossen, die Körperschaftssteuer erhöht, eine Finanztransaktionssteuer und eine Übergewinnsteuer für Krisengewinner der Coronakrise eingeführt werden. Zudem soll die Schuldenbremse abgeschafft werden. Gesetzliche und private Krankenversicherung sollen zu einer Gesundheitsversicherung zusammengelegt werden.

Ein riesiges Umverteilungsprogramm also, das für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen soll, so sagen die Linken. Was für die einen die Hoffnung auf mehr Gerechtigkeit für die kleinen Leute ist, sind für andere eine sozialromantische Utopie und sozialistisch anmutende, wachstumsschädliche Klientelpolitik. „Europaweit: Reichtum von oben nach unten verteilen“, heißt es im Wahlprogramm der Linken. Der Kapitalismus sei auch in der Landwirtschaft zum Problem geworden, sagen die Vertreter der Partei im Wald bei Denkendorf.

NATO-Austritt gefordert

Besonders deutlich werden die Unterschiede auch bei der Forderung nach der Auflösung der NATO und einer Annäherung an Russland, die ebenfalls explizit im Parteiprogramm der Linken formuliert sind. All das wird auch in einem rot-rot-grünen Bündnis bei allen Übereinstimmungen an manchen Stellen nicht im Entferntesten konsensfähig sein. Frieden will jede Partei – aber die Konzepte darum herum sind eben unterschiedlich. Auch hier zeigen sich viele potenzielle Konfliktlinien, die sich in einer rot-rot-grünen Koalition anbahnen würden.

Auf Seiten der Linken weiß man natürlich, dass die Maximalforderungen eines Wahlprogramms natürlich in Kompromissen enden werden. Wenn man gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr wie jüngst bei der Rettungsmission der Bundeswehr in Afghanistan sei, wo man sich enthalten hatte, werde es auch in Zukunft dennoch eine Mehrheit im Bundestag für Auslandseinsätze geben, sagt die langjährige Linken-Bundestagsabgeordnete Eva Bulling-Schröter ganz pragmatisch. Nach Jahren der Daueropposition will man die aufkeimende Chance einer Regierungsbeteiligung nun offenbar um jeden Preis ergreifen. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist oft viel Platz – nicht nur in der Agrarpolitik.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"