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„Bem-vindo“ a Kipfenberg

Brasilianische Pflegekräfte mildern Fachkräftemangel in Kliniken in Kipfenberg und Berching

„Bem-vindo“ – „herzlich willkommen“, hieß es Anfang März, als die ersten Pflegekräfte vom Zuckerhut ins Altmühltal reisten – Coronaverzögerung und Kulturschock bereits inbegriffen. Knapp ein halbes Jahr später ziehen alle Beteiligten in den Vamed-Kliniken in Kipfenberg und Berching eine positive Zwischenbilanz. Insgesamt 18 Pflegekräfte aus Brasilien sind an den beiden Häusern bereits im Einsatz – allerdings derzeit nur sehr eingeschränkt: Sie bereiten sich auf Prüfungen vor, obwohl sie in ihrer Heimat bereits ein Pflegestudium absolviert haben. Nur eine von vielen Hürden auf dem Weg zu weniger Fachkräftemangel in der Pflege, den man in Kipfenberg und Berching nun mit der Suche in Brasilien abgemildert hat – sehr aufwändig, aber vielleicht zukunftsträchtig, wie man in Kipfenberg glaubt.

Von Stephan Zengerle

Man sei sehr froh über „unsere Brasilianer“, sagt Klinikgeschäftsführer Johannes Bracht. Sein Haus in Kipfenberg hat 200 Betten, aber nur rund 150 stationäre Fälle könnten gerade behandelt werden. Das liege aber nicht an mangelnder Nachfrage, sondern vor allem am Mangel an Fachkräften, so Bracht. „Wir sind immer auf der Suche nach Mitarbeitern“. Doch die gestalte sich in Deutschland schwierig.

Von der Copacabana nach Kipfenberg (vorne von links): Rafaela Oliveira, Camilla Medaglia und Michaela Byron bereiten sich derzeit auf die Prüfung im November vor. Praxisanleiterin Tina Roelandt (hinten links in blau) unterstützt sie dabei. Fotos: Zengerle

450 Bewerber auf Stellenanzeige in Rio

Und so war man in Kipfenberg mehr als überrascht von den 450 Bewerbungen auf ihre Stellenanzeige in einer Zeitung in Rio. „In Deutschland bekommen wir normalerweise eher eine oder zwei passende“, erzählt Pflegedirektor Yves Frömme. Unter der Fülle an brasilianischen Bewerbern seien auch zahlreiche gut qualifizierte gewesen – wie Camilla Medaglia, Rafaela Oliveira und Michaela Byron, die gerade neben ihm stehen: drei seiner zehn neuen brasilianischen Mitarbeiter und Kollegen. In Berching sind es weitere acht. Sonne und Strand, typisch brasilianisches Essen und ihre Familien vermissten sie schon sehr, erzählen Medaglia, Oliveira und Byron. Dennoch hätten sie den Entschluss, hier mit 29 ein neues Leben zu beginnen, nicht bereut.

Noch dürfen sie nur in Begleitung am Patienten in den beiden Rehakliniken tätig sein. Denn in Deutschland werden selbst höhere Qualifikationen wie ein Bachelorstudium in der Pflege, wie es die drei Brasilianerinnen mitbringen, nicht anerkannt. Zudem habe man schon gemerkt, dass es Unterschiede gebe – das Studium dort umfasse etwa nicht alle erforderlichen praktischen Anwendungen am Patienten, sagt Tina Roelandt, Physiotherapeutin und eine von zwei zentralen Praxisanleiterinnen in Kipfenberg. Das Pauken geht also für die drei 29-jährigen Neu-Kipfenbergerinnen weiter: Erst achteinhalb Monate Sprachkurs, Integrationskurs, neue Umgebung und deutsche Pflegestandards und jetzt eben noch der Vorbereitungsglehrgang mit Prüfung im November, um den Abschluss nach deutschem Ausbildungs-Curriculum als examinierte Pflegekräfte zu erlangen – ein erheblicher Aufwand also, der da betrieben wird.

Nicht nur kurzfristige Lösung

Und dennoch ein lohnenswerter, betont Anja Schlippes-Rembold, Berufsberaterin im Erwerbsleben von der Agentur für Arbeit in Ingolstadt, die das Projekt begleitet und finanziell unterstützt. Eigentlich soll die Agentur ja heimische Menschen wieder in Arbeit bringen und halten. Aber gerade in der Pflege sei die Not eben groß – ohne Perspektive der Besserung. Corona habe die Situation noch verschärft, sagt auch ihr Kollege Anton Neureiter.

Und so ergreifen viele Pflegeeinrichtungen immer neue Maßnahmen, um Menschen in Deutschland zu finden, die sich zu Fachkräften ausbilden lassen wollen. Aber das reicht schon seit Jahren nicht mehr aus. Wie viele andere Häuser auch hat man sich in Kipfenberg längst im Ausland umgeschaut: in Serbien, im Kosovo oder in Ungarn etwa. „Seit Oktober 2019 hat kein einziger Mitarbeiter, den wir EU und Drittstaaten gewonnen haben, das Haus verlassen“, freut sich Steven Theilig, der sich als Integrationsbeauftragter um die neuen Kollegen kümmert. Er wendet sich damit auch gegen Kritik, dass das nur kurzfristig angelegte Lösungen seien. Osteuropäische Pflegekräfte sind in Deutschland ohnehin längst gang und gäbe – bisweilen gibt es auch feste Kooperationen, wie sie etwa das Klinikum Ingolstadt seit vielen Jahren mit der Universität Oradea in Rumänien unterhält. In Kipfenberg und Berching ist man nun eben auf einem anderen Kontinent fündig geworden.

Gut gelaunt trotz Kulturschock: „Das Leben ist schon ganz anders“, sagen Michaela Byron, Camilla Medaglia und Rafaela Oliveira, die in Kipfenberg zum ersten Mal Schnee gesehen haben. Aber dank guter Vorbereitung vor Ort in Brasilien wussten sie, was sie erwartet.

Dabei gehe es auch keinen „Brain Drain“, also den Verlust gut ausgebildeter Arbeitskräfte vor Ort, der oft in diesem Zusammenhang kritisiert werde, sagt Neanis De’l Lutzer von der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV), die dabei unterstützt hat und das Projekt auf den Weg gebracht hatte. Die ZAV sei nur in Ländern tätig, wo eine solche Vermittlung auch erwünscht sei. Die Fülle an Bewerbungen in Rio zeige, dass es dort keinen Mangel gebe, und ein Exodus im großen Stil aus Brasilien nach Deutschland sei auch nicht zu erwarten. Die ZAV unterstützt regelmäßig bei der internationalen Suche und Integration von Fachkräften, die in Deutschland nicht nur in der Pflege händeringend gesucht werden – und den vielen Dingen, die es dabei zu beachten gilt.

Sicherheit als Motivation, Dialekt als Hürde

Neben rechtlichen Fragen seien die Sprache und die interkulturelle Integration dabei besonders wichtig, sagt De’l Lutzer, die selbst Brasilianerin ist und daher gut nachempfinden kann, wie es ihren Landsfrauen und den zwei Männern gehe, die dem Aufruf gefolgt und nach Deutschland gekommen sind. Das Team aus Kipfenberg um Theilig habe bisher sehr gute Arbeit geleistet, lobt sie. Per Integrationskonzept wurden die Südamerikaner in Pflege und Therapie langsam an die Arbeit auf Station herangeführt. Denn von der Copacabana ins Altmühltal ist der Weg nicht nur geografisch weit, sondern auch der Kulturschock groß.

Manche der Bewerber aus Brasilien hätten sogar vorübergehend Familie und Kind zurückgelassen, um sich hier ein neues Leben aufzubauen, verrät Tina Roelandt. Dabei gehe es vor allem um das in Rio offenbar sehr präsente Thema der Sicherheit und ein gutes, ruhiges Leben, das sie hier erhoffen, wie Medaglia, Oliveira und Byron sagen. In Rio traue man sich als Frau kaum allein nachts auf die Straße. Auch wenn der Sommer recht kühl war – sie seien froh, hier zu sein. Der Dialekt habe ihnen anfangs schon Kopfzerbrechen bereitet, erzählen die drei. „Aber inzwischen geht es schon ganz gut“, erzählt Michaela Byron lachend. „Die Leute fragen, wo wir herkommen und freuen sich, wenn wir ,aus Brasilien’ sagen. Sie reden dann über Fußball und fragen nach dem Zuckerhut“ – ein wenig Heimweh inklusive. Vor dem Winter jedenfalls hätten sie dann doch ein wenig Angst, wie die drei sympathischen Frauen lachend erzählen.

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