Seit mindestens 1.700 Jahren leben Juden in Deutschland. Auch auf dem Gebiet der heutigen Diözese Eichstätt findet sich seit dem Mittelalter jüdisches Leben. Kunsthistorikerin Katharina Hupp vom Eichstätter Gesprächskreis Christentum-Judentum hat sich anlässlich des Jubiläums auf Spurensuche begeben.
Mit zu den frühesten jüdischen Gemeinden gehören demnach neben Eichstätt und Ingolstadt Weißenburg, Amberg, Berching, Neumarkt, Gunzenhausen und Wassertrüdingen. „In den meisten dieser Dörfer und Städte werden Juden erstmals im Zusammenhang mit der sogenannten Rintfleisch-Verfolgung 1298 genannt“, erzählt Hupp. Nachdem in der Kleinstadt Röttingen (Landkreis Würzburg) Gerüchte über eine Hostienschändung aufkamen, seien Juden in ganz Franken und den angrenzenden Gebieten von einer Schlägergruppe unter der Anführung eines Mannes namens Rintfleisch verfolgt und ermordet worden. Weitere frühe Zeugnisse jüdischen Lebens geben die Berichte über die Judenverfolgungen im Zusammenhang mit der Pest 1348 bis 1349, wie zum Beispiel in Harburg, Ingolstadt und Treuchtlingen.
Bis ins 20. Jahrhundert bildeten sich laut Hupp in vielen weiteren Dörfern und Kleinstädten jüdische Gemeinden, die sich auffallend im fränkischen und schwäbischen Raum ballten. „Im oberpfälzischen Gebiet der Diözese finden sich weit weniger Spuren jüdischen Lebens, im oberbayerischen nur vereinzelt“, berichtet die Kunsthistorikerin, die im Bischöflichen Seminar Eichstätt und im Fachbereich Kultur und Denkmalpflege im Eichstätter Diözesanmuseum tätig ist.
Jüdischer Friedhof Bechhofen
Heute zeugen vor allem noch die teils erhaltenen Friedhöfe von den ehemaligen jüdischen Gemeinden. In dem Markt Bechhofen (Landkreis Ansbach) findet sich einer der größten und bedeutendsten jüdischen Friedhöfe in Süddeutschland. Die Entstehung der jüdischen Gemeinde Bechhofen geht in das 16. Jahrhundert zurück. Der heute älteste datierbare Grabstein stammt aus dem Jahr 1602. Aufgrund einer markgräflichen Verordnung mussten alle Juden aus 16 umliegenden Orten ihre Verstorbenen in Bechhofen begraben, sodass der jüdische Friedhof einer der größten in Süddeutschland wurde. Von den ehemals wohl rund 8.000 Gräbern sind noch über 2.300 erhalten. Sie sind inzwischen alle fotografiert, inventarisiert, dokumentiert und können unter www.juedischer-friedhof-bechhofen.de recherchiert werden. Auch in Georgensgmünd (Landkreis Roth) wurde der Friedhof im 16. Jahrhundert angelegt. Auf ihm ist noch das 1723 errichtete Taharahaus – ein Gebäude für die rituelle Waschung der Leichname – erhalten. Neben dem eigentlichen Tahara-Raum mit Brunnen befand sich in dem Gebäude außerdem der Trauerraum für Männer, ein Trauerraum für Frauen im Obergeschoss sowie eine Dienstwohnung für den Friedhofswärter.
Eine der größten und bedeutendsten schwäbischen Landgemeinden gab es in Hainsfarth (Landkreis Donau-Ries). Die jüdische Gemeinde ist seit dem 15. Jahrhundert belegt, Anfang des 18. Jahrhunderts wurde eine Synagoge mit einer Kantor-Wohnung erbaut und 1822 eine israelitische Volksschule gegründet. Anfang bis Mitte des 19. Jahrhundert wuchs die jüdische Gemeinde weiter an, bis die jüdischen Mitbürger in Hainsfarth einen Bevölkerungsanteil von über 30 Prozent erreichten. In der Folgezeit wanderte vor allem die jüngere Generation der jüdischen Familien in andere Städte ab, der Anteil der jüdischen Bürger betrug um 1900 schließlich noch ca. zehn Prozent.
Juden in Eichstätt
„In Eichstätt selbst sind heute nur wenige Spuren jüdischen Lebens zu finden“, wie Hupp feststellt. Erste schriftliche Belege für jüdische Bewohner datierten aus dem späten 13. und frühen 14. Jahrhundert. Auch in Eichstätt sei es zur Zeit des Rintfleisch-Pogroms 1298 sowie der Pest 1348 zu Judenverfolgungen gekommen. Mitte des 15. Jahrhunderts habe Bischof Johann III. von Eych die Juden dann dauerhaft aus dem Hochstift Eichstätt ausgewiesen. „Für diese Zeit ist eine ‚Judenschul‘ mehrfach belegt, von der wir heute dank den Forschungen von Magdalena Schick wissen, dass sie sich in der heutigen Webergasse befand“, berichtet Katharina Hupp. Die Wohnhäuser der jüdischen Bewohner befanden sich hauptsächlich in der heutigen Turmgasse, bis ins 16. Jahrhundert auch Judengasse genannt. Ein jüdischer Friedhof war außerhalb der Stadt im Westen angelegt, wahrscheinlich auf dem Platz des heutigen Westenfriedhofs – er wurde Mitte des 15. Jahrhundert mit der Ausweisung der Juden aus Eichstätt aufgegeben.
Von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts sind in Eichstätt keine Juden dauerhaft ansässig gewesen. Erst mit Aufhebung des sogenannten Judenedikts 1861 siedelten sich wieder jüdische Familien in Eichstätt an. Das Bayerische Judenedikt, eigentlich „Edikt über die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche Baiern“ von 1813 hatte die Rechtsverhältnisse von Juden im bayerischen Königreich geregelt. „So konnten Juden zwar nun die Bürgerrechte und Grundbesitz erwerben, jedoch wurde für jeden Ort eine Höchstzahl an jüdischen Familien festgelegt“, erklärt Hupp. In Eichstätt siedelten sich nach 1861 vor allem jüdische Familien aus Pappenheim und Thalmässing an. Ihr erster Betsaal ist in der Westenstraße 2 bezeugt, wo ab 1880 die jüdische Kaufmannsfamilie Schaalmann lebte.
Hermann Schaalmann war Vorbeter, Schächter und unterrichtete jüdische Kinder. Ab 1903 befand sich der Betsaal in der Pfahlstraße 45, dem Haus von Emil Goldschmidt, der die Aufgaben von Hermann Schaalmann übernommen hatte. Die Verstorbenen wurden auf den Friedhöfen in Pappenheim oder Thalmässing begraben. Um 1900 lebten knapp 50 Juden in Eichstätt. Insgesamt waren im 20. Jahrhundert nur wenige jüdische Familien in Eichstätt ansässig: 1910 lebten 46 Juden, 1933 noch 27 in Eichstätt. Unter ihnen befand sich zum Beispiel auch die Familie von Salomon Guttentag, die 1911 das heutige Gebäude Domplatz 5 erwarb und dort das Kaufhaus Guttentag betrieb.
„Vor allem aufgrund des wirtschaftlichen Boykotts in der Zeit des Nationalsozialismus verließen die meisten jüdischen Bewohner die Stadt“, erklärt Katharina Hupp. Das Kaufhaus Guttentag sei im Februar 1936 verkauft und die Familie nach Südafrika ausgewandert. Die letzten jüdischen Bewohner Eichstätts waren die Brüder Friedrich, Albert und Wilhelm Schimmel, die in der Pfahlstraße einen Vieh- und Getreidehandel betrieben hatten. Albert und Friedrich verließen nach dem Pogrom am 10. November 1938 die Stadt. Wilhelm Schimmel wurde schon vor dem Pogrom aufgrund eines „Devisen-Vergehens“ zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus und einer Geldstrafe verurteilt. Seit seiner Überstellung 1942 zur Gestapo-Leitstelle Nürnberg-Fürth gilt er als verschollen.
Auch wenn in der Bischofsstadt kaum mehr Spuren jüdischen Lebens sichtbar sind, wie Katharina Hupp feststellt, erinnern doch die an den verschiedenen Häusern verlegten Stolpersteine des Künstlers Günter Demnig an die ehemals in Eichstätt lebenden jüdischen Menschen.
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Juden und ihrer Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus ist eines der Arbeitsschwerpunkte des Eichstätter Gesprächskreises Christentum-Judentum, der in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen feiert. Informationen dazu gib es unter www.bistum-eichstaett.de/christentum-judentum. Unter dem Stichwort „#2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland“ werden bundesweit rund tausend Veranstaltungen ausgerichtet, darunter Konzerte, Ausstellungen, Musik, ein Podcast, Video-Projekte, Theater, Filme und Vieles mehr. Ziel des Festjahres ist es, jüdisches Leben sichtbar und erlebbar zu machen und dem erstarkenden Antisemitismus etwas entgegenzusetzen.
Mehr zum Festjahr 2021 Jüdisches Leben in Deutschland gibt es im Internet unter https://2021jlid.de – oder einfach HIER KLICKEN!