Na also, geht doch. Zweites Spiel, erster Sieg, drittes Eigentor. Es ist ein ausgelassener Abend – nicht nur wegen des mitreißenden Spiels der deutschen Mannschaft beim 4:2-Sieg gestern Abend gegen Portugal, sondern auch, weil es noch mehr Spaß macht, sich nach so langer Zwangspause wieder gemeinsam im Freundeskreis zu treffen. Der EM-Abend im – nicht ganz ernst gemeinten – Rückblick auf einer Eichstätter EM-Terrasse.
Vorspiel am Grill und auf der EM-Terrasse. Die Sonne scheint, die Stimmung ist gut. Der Druck, der auf Jogis Jungs lastet, wird hier locker weggelächelt. Es gibt fränkische Bratwürste. Echte fränkische Bratwürste. Und zwar jede Menge, die unser langjähriger „Presidente“ auf der Anreise aus Nürnberg in einer fränkischen Landmetzgerei mitgenommen hat. Irgendjemand blickt skeptisch in den sommerlichen Abendhimmel: Vielleicht passt er auf, ob plötzlich ein Greenpeace-Aktivist im Garten landet. Gut, dass wir einen Jäger in unseren Reihen haben. Ok, das war jetzt ein wenig daneben und eher Humor der schwärzeren Sorte – aber so ist das eben bei den Grillfreunden Marienstein. Wer das nicht verträgt, sollte sich an dieser Stelle besser von Doms EM-Terrasse verabschieden.
Die Grillfreunde wurden 1998 gegründet und damals in der Bildzeitung als erster eingetragener Grillverein Deutschlands ausgerufen – und zwar zur Pflege des bayerischen Kulturguts. Also weil es halt einfach schmeckt, hauptsächlich. Gastgeber Dom Herrmann läuft zur Bestform auf und stellt auf dem Grill Jogis Aufstellung nach. Nicht die nominelle, sondern die taktische. Schließlich ist er als ausgebildeter Fußballlehrer einer der Fachmänner in der Runde – demnächst übernimmt er als Trainer die Frauenmannschaft des FC Ingolstadt in der 2. Bundesliga. „Fußball spielende Frauen sind doch sicher anstrengend, oder?”, fragt Christine, die sich schon so gesetzt hat, dass der Winkel zum Fernseher eher sehr ungünstig ist. Ein paar Herren lachen los, der zukünftige Frauentrainer grinst souverän. Bei uns wird heute offensichtlich nicht gegendert.
Maskenmann Rüdiger im Einsatz
Mit dem Auftakt des Spiels sind jedenfalls alle zufrieden. Dass Jogi dieselbe Mannschaft aufs Feld geschickt hat – geschenkt. Taktisch sieht das gleich viel variabler aus – wie die Würstchenaufstellung am Grill. Das Würstchen, das wohl Havertz sein soll, ist allerdings schon recht dunkel und sollte besser gewendet werden. Doch der Grill ist schnell vergessen, als erstmals Jubel aufbrandet. Gosens trifft. Wie, das war doch kein Abseits! Gnabry war doch eher passiv. Egal, so kann es weitergehen.
Ronaldo verliert immer und trifft nie gegen Deutschland. Werden beide Serien halten? Nein, das ist schon nach 15 Minuten klar, als die Portugiesen uns nach einer deutschen Ecke klassisch auskontern: Jota vorbei an Neuer zu Ronaldo, der einschiebt. Die werden doch nicht? Nein, kann nicht sein! Der Stimmung tut das nur kurz Abbruch. Die Würstchen sind einfach zu gut. Noch nie hat eines der beiden Teams nach einer Führung verloren. Heute muss, heute wird das anders werden – da sind wir uns sicher. „Wer ist eigentlich dieser Ronaldo?”, fragt da Christine unvermittelt. „Ich weiß, ich hab echt gar keine Ahnung”, sagt sie lachend. Maskenmann Antonio Rüdiger „umarmt“ kurz darauf Ronaldo ähnlich herzlich wie im letzten Spiel Pogba. Er kennt ihn anscheinend gut.
„So Typen wie den Gosens brauchst du im Team.“
Auf der Gegengerade ist die Expertenrunde angetan vom weiter mutig aufspielenden deutschen Personal. Der Exprofi in unseren Reihen ist begeistert: Ganz andere Körpersprache! „So Typen wie den Gosens brauchst du im Team.“ Recht hat er. Dann unterbricht der Schiedsrichter das Spiel zur ersten „Cooling Break“. Trinkpause? Ok, da machen wir natürlich mit. Der Obstler landet in den Gläsern – die erste von ein paar außerplanmäßigen Trinkpausen. Eines der Würstchen fällt zu Boden – fast so schlimm wie ein Eigentor von Hummels. Aber der reißt sich heute zusammen. Stattdessen schlagen die Portugiesen zurück – mit ebenfalls zwei Eigentoren durch Dias (35.) und Guerreiro (39.). Drei Treffer ins eigene Tor in zwei Spielen? Das hat selbst Jogi in seiner merkelartig langen Laufbahn noch nicht erlebt. Auf jeden Fall erzwungene Eigentore und hochverdiente Führung – da ist sich die Runde vor und nach dem Pausentee einig.
Deutschland hat nach Halbzeitführung noch nie ein EM-Spiel verloren. Das soll so bleiben, denkt sich wohl auch Havertz, der nach herrlicher Kombination über Gosens den Ball zum 3:1 über die Linie drückt – mit 22 Jahren und acht Tagen als jüngster deutsche EM-Torschütze. Da ist selbst der Clubfan unter uns sicher, dass es auch in München heute mit dem Sieg klappt – „In Nürnberg hätten wir längst gewonnen“, behauptet er grinsend. Ronaldo schießt wuchtig über das Tor. Christine hat wieder nicht aufgepasst.
„Ja, du warst immerhin auch Linksverteidiger“
Gosens macht das Spiel seines Lebens. Als er nach herrlicher Flanke von Kimmich zum 4:1 einköpft, werden Vergleiche zu unserem Exprofi in der Truppe gezogen, der immerhin 72 Bundesligaspiele und rund 150 Zweitligaspiele absolviert hat. „Ja, da sind schon viele Parallelen da“, antwortet Oliver Straube grinsend. „Ja, du warst immerhin auch Linksverteidiger“, entgegnet ein anderer – darunter auch beim Club, da freut sich unser Clubfan. Diogo Jota erzielt kurz darauf das 2:4 für Portugal (67.). Ronaldo hat herrlich vorgelegt. Christine interessiert sich immer noch nicht für ihn. Der nächste „Cooling Break“ mit Trinkpause steckt uns noch in den Knochen, als Renato Sanches auch noch wuchtig den Pfosten trifft (78.). So hat der bei Bayern nie geschossen.
Dass Bayernspieler auch so schießen können, zeigt der eingewechselte Goretzka: Sein Ball touchiert die Latte (83.) und unsere Fankurve springt noch einmal auf, während auf den teuren Plätzen auf der Haupttribüne gerade über fußballferne Themen geredet wird. Der Abpfiff naht, aber noch einmal wird in unserer Reihen vehement eine Trinkpause gefordert – und realisiert. Echte Fans leiden mit. Dann ist Schluss – verdienter Sieg unserer Mannschaft. Auch jetzt stimmen wir vorsichtshalber keine „Schlaaand-Gesänge“ an – schließlich wollen unsere Gastgeber Claudia und Dom hier noch länger wohnen. Dann taucht noch einmal Ronaldo am Bildschirm auf, zieht sein Trikot aus. „Ach der“, sagt Christine. Am Sixpack hat sie ihn dann doch noch erkannt. „Schaut aus wie geschminkt“, fügt sie hinzu und schaut zu ihrem Mann hinüber, der sich gerade noch im Pool die Beine gekühlt hat. Damit wäre das auch geklärt. Das nächste Spiel kommt bestimmt. Und die Grillfreunde sind sicher wieder auf der EM-Terrasse dabei – mit Sieggarantie.