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Herzstillstand wie bei Christian Eriksen

Auch beim Eichstätter Wirt und Fußball-Begeisterten Fred Pfaller blieb vor drei Jahren das herz plötzlich stehen

Plötzlich taumelt der dänische Superstar auf dem Spielfeld, dann bricht er zusammen. Sein Bein zuckt noch, dann scheint er leblos auf dem Rasen zu liegen. Die Bilder, wie Christian Eriksen im ersten Gruppenspiel der dänischen Mannschaft bei der Fußball-EM gegen Finnland plötzlich ohne gegnerische Einwirkung zusammensackte, haben nicht nur die Fußballfans schockiert – sie werden vor dem nächsten Gruppenspiel der Dänen am morgigen Donnerstag wieder zu sehen sein. Als Fred Pfaller aus Eichstätt die Aufnahmen sah, kamen bei ihm viele Erinnerungen hoch – an jene Stunden und Tage, in denen es ihm genauso ging. Allerdings: Nach zwei Wochen Koma habe er auch „die vielleicht schönste Zeit meines Lebens“ gehabt.

„Diagnose: überlebter plötzlicher Herztod“, sagt Fred Pfaller – und meint damit sich selbst: „So hat es mir ein Arzt gesagt.“ Ein klassischer plötzlicher Herztod ohne Voranzeigen also – ganz so, wie bei Christian Eriksen, dem dänischen Superstar: Auch bei ihm blieb plötzlich und ohne jede Vorankündigung das Herz stehen. Er brach zusammen, musste reanimiert werden, hatte Glück, dass im Stadion natürlich sofort die medizinische Versorgung vorhanden war.

Auch Fred Pfaller hatte dieses Glück. Bei ihm war es zwar nicht am Fußballplatz, aber am Abend nach einem Fußballspiel: Der VfB Eichstätt, bei dem sich Pfaller seit vielen Jahren in verschiedenen Funktionen engagiert, hatte an jenem Tag, am 1. Juli 2018, ein Testspiel gegen den 1. FC Köln absolviert – und ein gutes Spiel gemacht, über das Pfaller sich noch gefreut hatte. Dann ging es für den Gastronomen zum Arbeiten zum Eichstätter Altstadtfest, wo er als Wirt tätig war. Und als alles vorbei war, wollte er am späteren Abend selbst noch mit einigen Teammitgliedern im Irish Pub in Eichstätt einkehren. Doch daraus wurde nichts.

„Und täglich grüßt das Murmeltier“

Als er nach getaner Arbeit gegen Mitternacht mit seinem Auto rückwärts auf dem Eichstätter Marktplatz parkte, wurde die Welt plötzlich schwarz. Pfaller sackte auf dem Fahrersitz in sich zusammen, musste reanimiert werden. Doch auch danach schwebte er weiter in Lebensgefahr: Weil die Notärztin erst noch anfahren musste und Pfaller vor Ort zunächst nur behelfsmäßig intubiert werden konnte, gelangte das Erbrochene, das meist mit der Reanimation einhergeht, in seine Lunge und verätzte weite Teile. Und so kam alles darauf an, dass er zunächst die ersten 48 Stunden überlebte. Auch danach hatte er mit weiteren Folgen zu kämpfen und verbrachte die nächsten zwei Wochen im Koma, in einer Art Traumwelt mit wilden Alpträumen und Fantasien, die sich nur um ein Thema drehten: Er musste um sein Leben kämpfen, um einer Art Gefängnis zu entkommen. Ein Spiel wie in manchen Computerspielen oder Hollywood-Endzeitthrillern, das sich in seiner Fantasie abspielte. In dem er immer wieder fast entkam – und dann vielleicht aufgewacht wäre –, am Ende aber doch immer wieder scheiterte. Im Komatraum begann dann wieder ein neuer Tag und ein neuer Versuch gegen eine neue, am Ende unlösbare Aufgabe. Eine Dauerschleife wie im berühmte Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ – und ebenso mit Happy End.

Herzstillstand wie bei Christian Eriksen
Daumen hoch: Fred Pfaller hat keine Angst. Dennoch kamen ihm bei Christian Eriksens Herzstillstand die Bilder seines eigenen Zusammebruchs wieder honch. Foto: Zengerle

Denn irgendwann wachte Pfaller tatsächlich auf aus diesem Daueralptraum, in dem sein Unterbewusstsein offenbar auch zahlreiche Erlebnisse aus dem realen Leben verarbeitet hatte – war aber zunächst misstrauisch. War das hier Realität? Waren das reale Ärzte oder die aus seinem Traum, die ihn auch nicht hatten gehen lassen? „Irgendwann hab ich dann einen der Ärzte am Gang vorbeigehen gesehen, die mir das Leben gerettet haben, und da hab ich dann verstanden, dass das jetzt wieder das wahre Leben ist. Dass ich überlebt habe“, erzählt er heute.

Möglich war das nur durch die sofortige Hilfe, mutiger und umsichtig handelnder junger Leute. Sein Freund und langjähriger Mitarbeiter Thomas Kerscher etwa war gleich zur Stelle, aber auch mehrere medizinisch ausgebildete junge Leute wie beispielsweise Intensivpfleger Michael Mederer, der in der Näher war und die Schreie hörte. „Ihnen verdanke ich mein Leben“, sagt Pfaller. „Da zählt ja jede Minute.“ Und auch die Rettungskräfte hatten ihre medizinische Station vom Altstadtfest noch nicht ganz abgebaut. So konnte Fred Pfaller sofort professionell versorgt werden.

So wie bei Christian Eriksen auch. Auch er war schon wenig später wieder bei Bewusstsein, sandte seinen Mitspielern eine Videobotschaft, in der er ihnen sagte, sie sollten das Spiel fortsetzen. Am liebsten wäre er selbst gleich wieder am Ball gewesen, so habe er ihnen gesagt, verriet sein Trainer Kasper Hjulmand später mit Tränen in den Augen im Interview. Auch die Spieler schienen waren geschockt, schienen auch in den restlichen Minuten der Partie ein wenig geschockt, die sie dann auch gegen Außenseiter Finnland mit 0:1 verloren.

70.000 Menschen betroffen

Aber nun beginnt die Ursachensuche: Wie kann ein 29-jähriger durchtrainierter Profisportler ohne jede Vorwarnung zusammenbrechen? Das ist genau das Teuflische daran: Der plötzliche Herzstillstand kommt ohne Vorwarnung. Auch bei Fred Pfaller konnten trotz eingehender Untersuchungen keine Herzfehler oder andere konkrete Ursachen festgestellt werden. In Deutschland seien mindestens 70.000 Menschen betroffen, die jedes Jahr an plötzlichem Herzversagen sterben – vermutlich sogar noch deutlich mehr. Als Todesursache sei der plötzliche Herz-Kreislaufstillstand fast so häufig wie alle Krebserkrankungen zusammen, sagte Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin des Universitätsklinikums Köln der Deutschen Presse-Agentur. Wüssten alle Menschen, wie Wiederbelebung funktioniert, könnten jährlich rund 10.000 Menschenleben zusätzlich gerettet werden.

Herzstillstand wie bei Christian Eriksen
Entwarnung aus dem Krankenbett: Christian Eriksen und seine Twitterbotschaft (Übersetzung siehe Text).

Auch bei Fred Pfaller kam das Ganze ohne Vorwarnung. Allerdings hat er kleinere Erinnerungslücken, etwa zu Begegnungen während jenes Spiels des VfB Eichstätt gegen Köln, wie er im Nachhinein im Gespräch mit anderen festgestellt hat. „Es war kein stressiger Tag, alles war gut“, sagt er. Und auch die Ärzte haben bei ihm wie bei so vielen anderen nicht wirklich eine konkrete Ursache feststellen können. Bisweilen kann eine verschleppte Grippe mit Herzmuskelentzündung oder Herzrhythmusstörungen dazu führen, wie etwa der ehemalige Profifußballer Daniel Engelbrecht gerade erst bei Markus Lanz berichtet hat: Bei mir ist es identisch abgelaufen wie bei Christian Eriksen, erzählt er über ein Spiel seiner Stuttgarter Kickers gegen Erfurt 2013. Er habe anschließend sogar weiterspielen wollen, bis ihm der Trainer sagte, dass er getaumelt sei. Auch Engelbrecht ließ sich wie Fred Pfaller operieren, um später sogar wieder Fußball spielen zu können – und zwar mit einem Defibrillator. Der bringt das Herz im Ernstfall wieder in Gang.

„Die Bilder haben mich schon getriggert“

Und so ist es bei Fred Pfaller vor allem das Umfeld, das Angst um ihn hat. „Ich bin nicht der Typ dafür“, sagt Pfaller. „Die Ärzte haben mir einen unheimlichen Lebenswillen bescheinigt“, erzählt er. Irgendwie habe auch alles sein Gutes, sagt er. Nachdem er endlich aus jenem Komatrauma aufgewacht war, habe er eine tolle Zeit gehabt. „Das war die schönste Zeit in meinem Leben, weil ich so viel Positives erlebt und so viel Zuspruch gespürt habe. Es ist immer bergauf gegangen“, erzählt er. Kinder malten ihm Bilder, unzählige Nachrichten von Freunden, Besuche, Ermutigungen.

Ganz so, wie sie auch Christian Eriksen gespürt hat. „Großer Dank für eure lieben und großartigen Grüße und Nachrichten aus der ganzen Welt. Das bedeutet mir und meiner Familie viel“, schrieb der 29 Jahre alte Spielmacher von Inter Mailand in einer Instagram-Botschaft, die auch der dänische Verband am Dienstagmorgen veröffentlichte. Zu der Nachricht gehört auch ein Foto, das Eriksen lächelnd und mit erhobenem Daumen in seinem Krankenhaus-Bett zeigt. Fred Pfaller freut sich ein wenig mit. „Die Bilder haben mich schon getriggert“, sagt er. Mir ist sofort wieder gekommen, wie ich da am Marktplatz vor der Metzgerei Kettner gelegen bin, sagt er. „Aber ich hab keine Angst. Das Leben geht weiter.“

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